Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Die Umsturzvorlage nicht, wie der Entwurf wollte, schlechthin, sondern nur als Mittel zum An¬ Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn sich die Kommission in dem Die Umsturzvorlage nicht, wie der Entwurf wollte, schlechthin, sondern nur als Mittel zum An¬ Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn sich die Kommission in dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219839"/> <fw type="header" place="top"> Die Umsturzvorlage</fw><lb/> <p xml:id="ID_561" prev="#ID_560"> nicht, wie der Entwurf wollte, schlechthin, sondern nur als Mittel zum An¬<lb/> reizen unter Strafe gestellt und das „als erlaubt darstellen" durch das Wort<lb/> „rechtfertigen" ersetzt. Aber wenn es, wie die Kommission doch annimmt,<lb/> möglich ist, einen Ehebruch, einen Diebstahl, eine Nötigung u. s. w, wirklich<lb/> zu „rechtfertigen," so muß doch auch der Fall so liegen, daß seine Straf-<lb/> barkeit, und zwar aus gesetzlich anerkannten Befreiungsgrttnden, etwa Notwehr,<lb/> Notstand, Irrtum u. s, w, wirklich aufgehoben ist. Der bloße Versuch der<lb/> Rechtfertigung, etwa aus vermeintlich höhern sittlichen Gründen, ist nicht mit<lb/> Strafe bedroht, wenn er sich nicht bis zum Anpreisen steigert. Man kommt<lb/> also zu dem sonderbaren Ergebnis, daß die öffentliche Rechtfertigung eines<lb/> vielleicht im Stande der Notwehr begangnen, vom Strafrecht selbst als straflos<lb/> anerkannten Verbrechens künstig bestraft wird, wenn daraus ein Anreiz entsteht,<lb/> ähnliche, aber durch Notwehr nicht entschuldigte Verbrechen zu begehen. Ist<lb/> dies, wie wir gern glauben, nicht die Meinung der parlamentarischen Gesetz¬<lb/> geber, so hätten sie sich, da sie doch auch die deutsche Sprache reden, eben<lb/> anders ausdrücken sollen. So leichthin macht man eben keine Strafgesetze.<lb/> Auch die Arbeit, in den Seelen von vielleicht tausend Hörern oder Lesern<lb/> nachzugraben, ob denn nun wirklich durch das Anpreisen oder Rechtfertigen<lb/> ein Anreiz zum strafbaren Handeln entstanden sei, wird von den Achtund-<lb/> zwanzigmännern fröhlich dem Richter überlassen. Nebenbei sei bemerkt, daß<lb/> die Anreizung zum Zweikampf dnrch Anpreisung oder Rechtfertigung dieses<lb/> vom göttlichen wie vom menschlichen Rechte doch unzweifelhaft schwer ver¬<lb/> urteilten Vergehens vom Zentrum schließlich freigegeben worden ist, obwohl<lb/> gerade die katholische Kirche ihre Grundsätze in dieser Frage von jeher streng<lb/> gewahrt hat, und obwohl, wie wir noch sehen werden, gerade die kirchlichen<lb/> Lehren von demselben Zentrum unter den strengen Schutz der Strafgesetze<lb/> gestellt worden sind. Daß die Anreizung zum Ehebruch für strafbar erklärt<lb/> wird, während selbst der vollendete Ehebruch ohne Ehescheidung immer und<lb/> auch dann noch ohne Strafantrag thatsächlich meist unbestraft bleibt, sind kleine<lb/> Grundsatzlosigkeiten, die den Gesetzgeber des um as Äsols nicht stören. Überhaupt<lb/> entstehen durch die Kombination des neuen Anpreisungsparagraphen mit sämt¬<lb/> lichen Verbrechen des Strafgesetzbuchs und seiner Nebengesetzc, sowie mit den<lb/> Vergehen des Ehebruchs, des Aufruhrs, der Zusammenrottung, des Land¬<lb/> friedensbruchs, der Religionsvergehen, der Nötigung, des Diebstahls und ge¬<lb/> wisser schwerer Sachbeschädigungen, wie sie der Entwurf einzeln aufzählt,<lb/> Bilder von wunderbarer strafrechtlicher Schönheit und schier unerschöpflicher<lb/> Mannichfaltigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_562" next="#ID_563"> Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn sich die Kommission in dem<lb/> folgenden § 112 sogar zur Bildersprache erhoben hat. Er lautet: „Wer in<lb/> der Absicht, die militärische Zucht und Ordnung zu untergraben, durch Wort,<lb/> Schrift, Druck oder Bild gegenüber einem Angehörigen des aktiven Heeres</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
Die Umsturzvorlage
nicht, wie der Entwurf wollte, schlechthin, sondern nur als Mittel zum An¬
reizen unter Strafe gestellt und das „als erlaubt darstellen" durch das Wort
„rechtfertigen" ersetzt. Aber wenn es, wie die Kommission doch annimmt,
möglich ist, einen Ehebruch, einen Diebstahl, eine Nötigung u. s. w, wirklich
zu „rechtfertigen," so muß doch auch der Fall so liegen, daß seine Straf-
barkeit, und zwar aus gesetzlich anerkannten Befreiungsgrttnden, etwa Notwehr,
Notstand, Irrtum u. s, w, wirklich aufgehoben ist. Der bloße Versuch der
Rechtfertigung, etwa aus vermeintlich höhern sittlichen Gründen, ist nicht mit
Strafe bedroht, wenn er sich nicht bis zum Anpreisen steigert. Man kommt
also zu dem sonderbaren Ergebnis, daß die öffentliche Rechtfertigung eines
vielleicht im Stande der Notwehr begangnen, vom Strafrecht selbst als straflos
anerkannten Verbrechens künstig bestraft wird, wenn daraus ein Anreiz entsteht,
ähnliche, aber durch Notwehr nicht entschuldigte Verbrechen zu begehen. Ist
dies, wie wir gern glauben, nicht die Meinung der parlamentarischen Gesetz¬
geber, so hätten sie sich, da sie doch auch die deutsche Sprache reden, eben
anders ausdrücken sollen. So leichthin macht man eben keine Strafgesetze.
Auch die Arbeit, in den Seelen von vielleicht tausend Hörern oder Lesern
nachzugraben, ob denn nun wirklich durch das Anpreisen oder Rechtfertigen
ein Anreiz zum strafbaren Handeln entstanden sei, wird von den Achtund-
zwanzigmännern fröhlich dem Richter überlassen. Nebenbei sei bemerkt, daß
die Anreizung zum Zweikampf dnrch Anpreisung oder Rechtfertigung dieses
vom göttlichen wie vom menschlichen Rechte doch unzweifelhaft schwer ver¬
urteilten Vergehens vom Zentrum schließlich freigegeben worden ist, obwohl
gerade die katholische Kirche ihre Grundsätze in dieser Frage von jeher streng
gewahrt hat, und obwohl, wie wir noch sehen werden, gerade die kirchlichen
Lehren von demselben Zentrum unter den strengen Schutz der Strafgesetze
gestellt worden sind. Daß die Anreizung zum Ehebruch für strafbar erklärt
wird, während selbst der vollendete Ehebruch ohne Ehescheidung immer und
auch dann noch ohne Strafantrag thatsächlich meist unbestraft bleibt, sind kleine
Grundsatzlosigkeiten, die den Gesetzgeber des um as Äsols nicht stören. Überhaupt
entstehen durch die Kombination des neuen Anpreisungsparagraphen mit sämt¬
lichen Verbrechen des Strafgesetzbuchs und seiner Nebengesetzc, sowie mit den
Vergehen des Ehebruchs, des Aufruhrs, der Zusammenrottung, des Land¬
friedensbruchs, der Religionsvergehen, der Nötigung, des Diebstahls und ge¬
wisser schwerer Sachbeschädigungen, wie sie der Entwurf einzeln aufzählt,
Bilder von wunderbarer strafrechtlicher Schönheit und schier unerschöpflicher
Mannichfaltigkeit.
Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn sich die Kommission in dem
folgenden § 112 sogar zur Bildersprache erhoben hat. Er lautet: „Wer in
der Absicht, die militärische Zucht und Ordnung zu untergraben, durch Wort,
Schrift, Druck oder Bild gegenüber einem Angehörigen des aktiven Heeres
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