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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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an dem dargestellten Gegenstande -- statt bloß am Sinnenschein -- sei kein
ästhetisches oder habe überhaupt mit der Kunst nichts zu thun.

Nun bezeichnet aber doch schon der unentbehrliche Begriff der "Stimmung"
die Übertragung geistigen Gehalts auf das Gemälde; er ist dem menschlichen
Geistesleben entnommen. Die Stimmung in einem Bilde ist das der Seelen-
stimmung verwandte, das der Künstler aus feinem eignen Gemütsleben schöpfend
in die Natur hineingesehen und in seinem Abbilde zum Ausdruck gebracht hat.
Auch der Beschauer empfindet diese Stimmung, weil der unter ihrer Leitung
komponirte Sinnenschein des Bildes auch in ihm dieselbe geistige Wirkung
hervorbringt.

Nach der Auffassung der modernen Richtung wäre "Stimmung" selbst
ein bloßer Bestandteil des Siunenscheins; dann hat aber die Anwendung
dieses Wortes nicht den geringsten Sinn mehr. Daß das Wort trotzdem von
der modernen Richtung beibehalten werden mußte, ist für die wahre Sachlage
bezeichnend genug.

Besonders hat man das Erzählen aus dem Strich; das soll allein des
Dichters Sache sein. Der Maler soll bloß zum Ansehen einladen. Die An¬
hänger der modernen Richtung schütten deshalb die ganze Schale ihrer Gering¬
schätzung über die "Historienmalerei" aus.

Wie werden doch diese "Stürmer und Dränger" mit einemmale pedan¬
tisch! Sie messen dem künstlerischen Genius mit dem Ellenmaß die Grenzen
ab, innerhalb deren er seinen Stoff wählen soll, sie, die sonst behaupten,
jegliches Ding von der Welt, wenn es nur dem Künstlerauge auffüllt, könne
ein wahres Kunstwerk geben! Machten sie nun bloß für sich selbst von dieser
Freiheit keinen Gebrauch -- und sie scheinen eine gewisse Vorliebe für einen
engern Umkreis, nämlich für das Gebiet des Geringen und Häßlichen in der
Natur zu haben --, so wäre dagegen nichts einzuwenden, wenn auch die
Griechen diese Geschmacksrichtung, wie Lessing lobend erwähnt, von Polizei
wegen verboten hatten. Wenn sie aber auch andern die ganze unerschöpflich
reiche Welt des geschichtlichen Lebens verschließen wollen, so widerspricht das
doch zu sehr ihrem eignen Grundsatz, dem Künstler das ganze Gebiet des An¬
sehbaren freizugeben.

Aber entbehren nicht gerade die geschichtlichen Vorgänge dieses Merkmals,
daß sie ansehbar sind? Wieso? Muß denn nicht jede künstlerische Anschauung
von dem geistigen Auge des Künstlers geleitet sein, selbst die Auffassung
der Naturwirklichkeit, damit er daraus ein andres Bild Herausfehe, als das,
das die schärfste Beobachtung eines Naturforschers liefert? Mit andern Worten:
jeder Maler durchdringt und verbindet die angesehenen Gegenstände mit
Phantasie. Dabei wird ein Bild nicht schlechter, wenn es Erinnerungen sind,
die die Phantasie in sinnliche Erscheinungen kleidet, sondern nur dann, wenn
dieses Gewand des Sinnenscheins zu kurz oder zu lang ausfällt; das kann


an dem dargestellten Gegenstande — statt bloß am Sinnenschein — sei kein
ästhetisches oder habe überhaupt mit der Kunst nichts zu thun.

Nun bezeichnet aber doch schon der unentbehrliche Begriff der „Stimmung"
die Übertragung geistigen Gehalts auf das Gemälde; er ist dem menschlichen
Geistesleben entnommen. Die Stimmung in einem Bilde ist das der Seelen-
stimmung verwandte, das der Künstler aus feinem eignen Gemütsleben schöpfend
in die Natur hineingesehen und in seinem Abbilde zum Ausdruck gebracht hat.
Auch der Beschauer empfindet diese Stimmung, weil der unter ihrer Leitung
komponirte Sinnenschein des Bildes auch in ihm dieselbe geistige Wirkung
hervorbringt.

Nach der Auffassung der modernen Richtung wäre „Stimmung" selbst
ein bloßer Bestandteil des Siunenscheins; dann hat aber die Anwendung
dieses Wortes nicht den geringsten Sinn mehr. Daß das Wort trotzdem von
der modernen Richtung beibehalten werden mußte, ist für die wahre Sachlage
bezeichnend genug.

Besonders hat man das Erzählen aus dem Strich; das soll allein des
Dichters Sache sein. Der Maler soll bloß zum Ansehen einladen. Die An¬
hänger der modernen Richtung schütten deshalb die ganze Schale ihrer Gering¬
schätzung über die „Historienmalerei" aus.

Wie werden doch diese „Stürmer und Dränger" mit einemmale pedan¬
tisch! Sie messen dem künstlerischen Genius mit dem Ellenmaß die Grenzen
ab, innerhalb deren er seinen Stoff wählen soll, sie, die sonst behaupten,
jegliches Ding von der Welt, wenn es nur dem Künstlerauge auffüllt, könne
ein wahres Kunstwerk geben! Machten sie nun bloß für sich selbst von dieser
Freiheit keinen Gebrauch — und sie scheinen eine gewisse Vorliebe für einen
engern Umkreis, nämlich für das Gebiet des Geringen und Häßlichen in der
Natur zu haben —, so wäre dagegen nichts einzuwenden, wenn auch die
Griechen diese Geschmacksrichtung, wie Lessing lobend erwähnt, von Polizei
wegen verboten hatten. Wenn sie aber auch andern die ganze unerschöpflich
reiche Welt des geschichtlichen Lebens verschließen wollen, so widerspricht das
doch zu sehr ihrem eignen Grundsatz, dem Künstler das ganze Gebiet des An¬
sehbaren freizugeben.

Aber entbehren nicht gerade die geschichtlichen Vorgänge dieses Merkmals,
daß sie ansehbar sind? Wieso? Muß denn nicht jede künstlerische Anschauung
von dem geistigen Auge des Künstlers geleitet sein, selbst die Auffassung
der Naturwirklichkeit, damit er daraus ein andres Bild Herausfehe, als das,
das die schärfste Beobachtung eines Naturforschers liefert? Mit andern Worten:
jeder Maler durchdringt und verbindet die angesehenen Gegenstände mit
Phantasie. Dabei wird ein Bild nicht schlechter, wenn es Erinnerungen sind,
die die Phantasie in sinnliche Erscheinungen kleidet, sondern nur dann, wenn
dieses Gewand des Sinnenscheins zu kurz oder zu lang ausfällt; das kann


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[0143] an dem dargestellten Gegenstande — statt bloß am Sinnenschein — sei kein ästhetisches oder habe überhaupt mit der Kunst nichts zu thun. Nun bezeichnet aber doch schon der unentbehrliche Begriff der „Stimmung" die Übertragung geistigen Gehalts auf das Gemälde; er ist dem menschlichen Geistesleben entnommen. Die Stimmung in einem Bilde ist das der Seelen- stimmung verwandte, das der Künstler aus feinem eignen Gemütsleben schöpfend in die Natur hineingesehen und in seinem Abbilde zum Ausdruck gebracht hat. Auch der Beschauer empfindet diese Stimmung, weil der unter ihrer Leitung komponirte Sinnenschein des Bildes auch in ihm dieselbe geistige Wirkung hervorbringt. Nach der Auffassung der modernen Richtung wäre „Stimmung" selbst ein bloßer Bestandteil des Siunenscheins; dann hat aber die Anwendung dieses Wortes nicht den geringsten Sinn mehr. Daß das Wort trotzdem von der modernen Richtung beibehalten werden mußte, ist für die wahre Sachlage bezeichnend genug. Besonders hat man das Erzählen aus dem Strich; das soll allein des Dichters Sache sein. Der Maler soll bloß zum Ansehen einladen. Die An¬ hänger der modernen Richtung schütten deshalb die ganze Schale ihrer Gering¬ schätzung über die „Historienmalerei" aus. Wie werden doch diese „Stürmer und Dränger" mit einemmale pedan¬ tisch! Sie messen dem künstlerischen Genius mit dem Ellenmaß die Grenzen ab, innerhalb deren er seinen Stoff wählen soll, sie, die sonst behaupten, jegliches Ding von der Welt, wenn es nur dem Künstlerauge auffüllt, könne ein wahres Kunstwerk geben! Machten sie nun bloß für sich selbst von dieser Freiheit keinen Gebrauch — und sie scheinen eine gewisse Vorliebe für einen engern Umkreis, nämlich für das Gebiet des Geringen und Häßlichen in der Natur zu haben —, so wäre dagegen nichts einzuwenden, wenn auch die Griechen diese Geschmacksrichtung, wie Lessing lobend erwähnt, von Polizei wegen verboten hatten. Wenn sie aber auch andern die ganze unerschöpflich reiche Welt des geschichtlichen Lebens verschließen wollen, so widerspricht das doch zu sehr ihrem eignen Grundsatz, dem Künstler das ganze Gebiet des An¬ sehbaren freizugeben. Aber entbehren nicht gerade die geschichtlichen Vorgänge dieses Merkmals, daß sie ansehbar sind? Wieso? Muß denn nicht jede künstlerische Anschauung von dem geistigen Auge des Künstlers geleitet sein, selbst die Auffassung der Naturwirklichkeit, damit er daraus ein andres Bild Herausfehe, als das, das die schärfste Beobachtung eines Naturforschers liefert? Mit andern Worten: jeder Maler durchdringt und verbindet die angesehenen Gegenstände mit Phantasie. Dabei wird ein Bild nicht schlechter, wenn es Erinnerungen sind, die die Phantasie in sinnliche Erscheinungen kleidet, sondern nur dann, wenn dieses Gewand des Sinnenscheins zu kurz oder zu lang ausfällt; das kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/143>, abgerufen am 24.08.2024.