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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Sprachinsel Gottschee

ab; in den sechziger Fahren lebte in Nieg noch ein Dienstmädchen, das sich
der Kenntnis von zweihundert Liedern rühmte. "Der Wohlklang, die feierlich
vorgetragne ernste Melodie, die von allen Schöpfungen der Kunstmusik völlig
abweicht," sagt Hauffer, der sich selbst die meisten der von ihm aufgezeichneten
Lieder hat vorsingen lassen, "machen einen erhebenden Eindruck, zumal da diese
Fertigkeit den Leuten förmlich angeboren scheint, sodaß ihre Gesänge Natur¬
erzeugnissen gleichen. Auch in Bezug auf den Text. Wie oft versichert eine
Sängerin, daß sie das Lied nicht kenne; sobald sie aber zu singen anfängt,
löst sich das ganze Lied ohne Stocken und Zaudern von ihren Lippen los.
Sie singt scheinbar ganz unbewußt; es ist als, ob das Lied von selbst ertönte.
Weichen beim Zusammensingen die Worte der Einzelnen unter einander ab,
so entsteht über die Varianten heftiger Streit, jede Abweichung gilt als großer
Fehler, und niemand giebt nach."

Unter der Einwirkung tüchtiger nationaler Erziehung, wie sie in den
letzten Jahrzehnten von einigen wackern Männern durch Wort und Schrift
nachhaltig geübt worden ist, wird sich das Landvolk in der deutschen Sprach¬
insel Gottschee, was früher nur kümmerlich dann und wann geschah, jetzt von
Tag zu Tag deutlicher der innern Zusammengehörigkeit mit dem großen
deutschen Volle bewußt, und mit dem Erwachen dieses freudigen Stolzes über
ihre deutsche Heimat und ihre deutsche Abstammung ist auch das Bedürfnis
nach einem besondern vaterländischen Liede rege geworden. Professor Obergföll,
der sich auch sonst noch um die Pflege des nationaldeutschen Geistes in Gott¬
schee verdient gemacht hat, schenkte es seinen Landsleuten, und nun singen
diese seit einigen Jahren die stolze, trutzige "Gottscheeer Hymne," die auf dem
Wege ist, zum allgemeinen Volksliede zu werden, da sie schon heute auch der
einfachste Mann in Gottschee kennt:

[Beginn Spaltensatz] ... Uralt ist unsers Stammes Ruhm,
Wie unsrer Wälder Eichen;
Gott Schirm dich, deutsches Herzogtum,
Steh fest, magst nimmer weichen! Osmanenblut, Franzosenblut
Hat unser Land gefärbet,
Den unverdrossnen deutschen Mut,
Den haben wir ererbet. [Spaltenumbruch] Ob auch manch feiger Feindcswicht
Uns lästern mag und hassen,
Wir werden deutsche Sitte nicht
Und deutsche Art nicht lassen. Drum, Brüder, schließet fest den Bund
Für unsre deutsche Sache!
Wir schwören es mit Hand und Mund,
Zu halten treue Wache! . . . [Ende Spaltensatz]

Die über dem Meere in Amerika lebenden Gottscheeer aber singen dazu noch,
als wären sie nur vorübergehend im Exil, folgende schlichte Schlußstrophe:


F. v.


Die deutsche Sprachinsel Gottschee

ab; in den sechziger Fahren lebte in Nieg noch ein Dienstmädchen, das sich
der Kenntnis von zweihundert Liedern rühmte. „Der Wohlklang, die feierlich
vorgetragne ernste Melodie, die von allen Schöpfungen der Kunstmusik völlig
abweicht," sagt Hauffer, der sich selbst die meisten der von ihm aufgezeichneten
Lieder hat vorsingen lassen, „machen einen erhebenden Eindruck, zumal da diese
Fertigkeit den Leuten förmlich angeboren scheint, sodaß ihre Gesänge Natur¬
erzeugnissen gleichen. Auch in Bezug auf den Text. Wie oft versichert eine
Sängerin, daß sie das Lied nicht kenne; sobald sie aber zu singen anfängt,
löst sich das ganze Lied ohne Stocken und Zaudern von ihren Lippen los.
Sie singt scheinbar ganz unbewußt; es ist als, ob das Lied von selbst ertönte.
Weichen beim Zusammensingen die Worte der Einzelnen unter einander ab,
so entsteht über die Varianten heftiger Streit, jede Abweichung gilt als großer
Fehler, und niemand giebt nach."

Unter der Einwirkung tüchtiger nationaler Erziehung, wie sie in den
letzten Jahrzehnten von einigen wackern Männern durch Wort und Schrift
nachhaltig geübt worden ist, wird sich das Landvolk in der deutschen Sprach¬
insel Gottschee, was früher nur kümmerlich dann und wann geschah, jetzt von
Tag zu Tag deutlicher der innern Zusammengehörigkeit mit dem großen
deutschen Volle bewußt, und mit dem Erwachen dieses freudigen Stolzes über
ihre deutsche Heimat und ihre deutsche Abstammung ist auch das Bedürfnis
nach einem besondern vaterländischen Liede rege geworden. Professor Obergföll,
der sich auch sonst noch um die Pflege des nationaldeutschen Geistes in Gott¬
schee verdient gemacht hat, schenkte es seinen Landsleuten, und nun singen
diese seit einigen Jahren die stolze, trutzige „Gottscheeer Hymne," die auf dem
Wege ist, zum allgemeinen Volksliede zu werden, da sie schon heute auch der
einfachste Mann in Gottschee kennt:

[Beginn Spaltensatz] ... Uralt ist unsers Stammes Ruhm,
Wie unsrer Wälder Eichen;
Gott Schirm dich, deutsches Herzogtum,
Steh fest, magst nimmer weichen! Osmanenblut, Franzosenblut
Hat unser Land gefärbet,
Den unverdrossnen deutschen Mut,
Den haben wir ererbet. [Spaltenumbruch] Ob auch manch feiger Feindcswicht
Uns lästern mag und hassen,
Wir werden deutsche Sitte nicht
Und deutsche Art nicht lassen. Drum, Brüder, schließet fest den Bund
Für unsre deutsche Sache!
Wir schwören es mit Hand und Mund,
Zu halten treue Wache! . . . [Ende Spaltensatz]

Die über dem Meere in Amerika lebenden Gottscheeer aber singen dazu noch,
als wären sie nur vorübergehend im Exil, folgende schlichte Schlußstrophe:


F. v.


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[0140] Die deutsche Sprachinsel Gottschee ab; in den sechziger Fahren lebte in Nieg noch ein Dienstmädchen, das sich der Kenntnis von zweihundert Liedern rühmte. „Der Wohlklang, die feierlich vorgetragne ernste Melodie, die von allen Schöpfungen der Kunstmusik völlig abweicht," sagt Hauffer, der sich selbst die meisten der von ihm aufgezeichneten Lieder hat vorsingen lassen, „machen einen erhebenden Eindruck, zumal da diese Fertigkeit den Leuten förmlich angeboren scheint, sodaß ihre Gesänge Natur¬ erzeugnissen gleichen. Auch in Bezug auf den Text. Wie oft versichert eine Sängerin, daß sie das Lied nicht kenne; sobald sie aber zu singen anfängt, löst sich das ganze Lied ohne Stocken und Zaudern von ihren Lippen los. Sie singt scheinbar ganz unbewußt; es ist als, ob das Lied von selbst ertönte. Weichen beim Zusammensingen die Worte der Einzelnen unter einander ab, so entsteht über die Varianten heftiger Streit, jede Abweichung gilt als großer Fehler, und niemand giebt nach." Unter der Einwirkung tüchtiger nationaler Erziehung, wie sie in den letzten Jahrzehnten von einigen wackern Männern durch Wort und Schrift nachhaltig geübt worden ist, wird sich das Landvolk in der deutschen Sprach¬ insel Gottschee, was früher nur kümmerlich dann und wann geschah, jetzt von Tag zu Tag deutlicher der innern Zusammengehörigkeit mit dem großen deutschen Volle bewußt, und mit dem Erwachen dieses freudigen Stolzes über ihre deutsche Heimat und ihre deutsche Abstammung ist auch das Bedürfnis nach einem besondern vaterländischen Liede rege geworden. Professor Obergföll, der sich auch sonst noch um die Pflege des nationaldeutschen Geistes in Gott¬ schee verdient gemacht hat, schenkte es seinen Landsleuten, und nun singen diese seit einigen Jahren die stolze, trutzige „Gottscheeer Hymne," die auf dem Wege ist, zum allgemeinen Volksliede zu werden, da sie schon heute auch der einfachste Mann in Gottschee kennt: ... Uralt ist unsers Stammes Ruhm, Wie unsrer Wälder Eichen; Gott Schirm dich, deutsches Herzogtum, Steh fest, magst nimmer weichen! Osmanenblut, Franzosenblut Hat unser Land gefärbet, Den unverdrossnen deutschen Mut, Den haben wir ererbet. Ob auch manch feiger Feindcswicht Uns lästern mag und hassen, Wir werden deutsche Sitte nicht Und deutsche Art nicht lassen. Drum, Brüder, schließet fest den Bund Für unsre deutsche Sache! Wir schwören es mit Hand und Mund, Zu halten treue Wache! . . . Die über dem Meere in Amerika lebenden Gottscheeer aber singen dazu noch, als wären sie nur vorübergehend im Exil, folgende schlichte Schlußstrophe: F. v.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/140>, abgerufen am 24.08.2024.