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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Da sich eine in ihren feiertäglichen Bestandteilen immer kostspielige Volks¬
tracht nnr in wohlhabenden Gegenden auf die Dauer zu erhalten vermag, so
sind heute die einst bei den Männern allgemein üblichen weiten Pumphosen,
die in hohen, nägelbeschlagnen Stiefeln steckten, die ärmellose, bis an die Kniee
reichende Joppe und die weiße Lodenweste oder der grüne Tuchrock mit den
bunten Aufschlägen und der hohe breitkrempige Hut fast ganz verschwunden.
Auch die Haare knüpfen sie nicht mehr in den langen, bis auf den Gürtel
reichenden Zopf, wie es noch zu Anfange dieses Jahrhunderts durchgehend
Sitte war, und seit die aus den dreißiger Jahren stammende steife Frack-
nnd Cylindermode glücklich überwunden ist, sieht man auch, obgleich die
Gottscheeer noch heute damit gehänselt werden, keinen Bauer mehr in weißen
Beinkleidern, Frack und Angströhre hinter dem Pfluge, wie es noch vor
zwanzig Jahren nicht selten geschah. Die Frauen sind auch hier in ihrer
Tracht konservativer als die Männer. Noch immer sieht man das schon seit
Jahrhunderten gebräuchliche Leinenhemd, das über den Rock gestreift und an¬
statt eines Mieders durch den Wollgürtel zusammengehalten wird, sowie die
bunte, ärmellose Tuchjacke.

Das Gottscheeer Bauernhaus trägt in seiner Bauart den oberdeutschen
Typus mit der zugleich als Herdraum dienenden Flur und den daneben ein-
oder zweiseitig angegliederten Stuben oder Kammern. Aber gleich den Kärntnern
und Slowenen hat der Gottscheeer keine durch Mauern und Gebäude geschlos¬
senen Hofanlagen, wie man sie in Oberösterreich und Böhmen ganz allgemein
findet. Der Giebel ist meist der Straße zugekehrt, und da die Häuser gerne
auf abschüssiger Fläche erbaut werden, kann man oft, ohne eine Treppe zu
benutzen, von außen unmittelbar auch ins obere Geschoß gelangen. Nächst
dem Kruzifix gilt der Tisch für das heiligste im Hause: vor ihm verrichten
die Insassen das Gebet und küssen ihn zum Schluß, denn er trägt das täg¬
liche Brot und wird peinlich vor jeder Verunreinigung bewahrt.

In manchen Dörfern erblickt man noch Reste der alten "Taboren," die
einst vom Landvolk als befestigte Plätze gegen die Türkengefahr angelegt
wurden, gewöhnlich rings um die Dorfkirche. Kam der Erbfeind heran, fo
flohen die Landleute von fern und nah mit Vieh und Lebensmitteln in diese
Kirchenfestung, und der Pfarrer als Festungskommandant verteidigte sie nicht
selten mit gutem Erfolge.

Von den Sitten und Bräuchen, dem Aberglauben und den Mythen, die
sich auf einer abgeschlossenen Sprachinsel sonst so stark und unverfälscht zu
erhalten pflegen, ist durch das unstete Wanderleben der Gottscheeer manches
zerstört oder seiner ungemischten Art beraubt worden. Die noch zahlreich
erhaltenen festlichen oder abergläubischen Bräuche der Weihnachts - oder
Fastenzeit zeigen bei einigen slowenischen Zuthaten im allgemeinen die be¬
kannten Züge der Volksaufführungen aus den deutschen Alpenländern. Aber


Da sich eine in ihren feiertäglichen Bestandteilen immer kostspielige Volks¬
tracht nnr in wohlhabenden Gegenden auf die Dauer zu erhalten vermag, so
sind heute die einst bei den Männern allgemein üblichen weiten Pumphosen,
die in hohen, nägelbeschlagnen Stiefeln steckten, die ärmellose, bis an die Kniee
reichende Joppe und die weiße Lodenweste oder der grüne Tuchrock mit den
bunten Aufschlägen und der hohe breitkrempige Hut fast ganz verschwunden.
Auch die Haare knüpfen sie nicht mehr in den langen, bis auf den Gürtel
reichenden Zopf, wie es noch zu Anfange dieses Jahrhunderts durchgehend
Sitte war, und seit die aus den dreißiger Jahren stammende steife Frack-
nnd Cylindermode glücklich überwunden ist, sieht man auch, obgleich die
Gottscheeer noch heute damit gehänselt werden, keinen Bauer mehr in weißen
Beinkleidern, Frack und Angströhre hinter dem Pfluge, wie es noch vor
zwanzig Jahren nicht selten geschah. Die Frauen sind auch hier in ihrer
Tracht konservativer als die Männer. Noch immer sieht man das schon seit
Jahrhunderten gebräuchliche Leinenhemd, das über den Rock gestreift und an¬
statt eines Mieders durch den Wollgürtel zusammengehalten wird, sowie die
bunte, ärmellose Tuchjacke.

Das Gottscheeer Bauernhaus trägt in seiner Bauart den oberdeutschen
Typus mit der zugleich als Herdraum dienenden Flur und den daneben ein-
oder zweiseitig angegliederten Stuben oder Kammern. Aber gleich den Kärntnern
und Slowenen hat der Gottscheeer keine durch Mauern und Gebäude geschlos¬
senen Hofanlagen, wie man sie in Oberösterreich und Böhmen ganz allgemein
findet. Der Giebel ist meist der Straße zugekehrt, und da die Häuser gerne
auf abschüssiger Fläche erbaut werden, kann man oft, ohne eine Treppe zu
benutzen, von außen unmittelbar auch ins obere Geschoß gelangen. Nächst
dem Kruzifix gilt der Tisch für das heiligste im Hause: vor ihm verrichten
die Insassen das Gebet und küssen ihn zum Schluß, denn er trägt das täg¬
liche Brot und wird peinlich vor jeder Verunreinigung bewahrt.

In manchen Dörfern erblickt man noch Reste der alten „Taboren," die
einst vom Landvolk als befestigte Plätze gegen die Türkengefahr angelegt
wurden, gewöhnlich rings um die Dorfkirche. Kam der Erbfeind heran, fo
flohen die Landleute von fern und nah mit Vieh und Lebensmitteln in diese
Kirchenfestung, und der Pfarrer als Festungskommandant verteidigte sie nicht
selten mit gutem Erfolge.

Von den Sitten und Bräuchen, dem Aberglauben und den Mythen, die
sich auf einer abgeschlossenen Sprachinsel sonst so stark und unverfälscht zu
erhalten pflegen, ist durch das unstete Wanderleben der Gottscheeer manches
zerstört oder seiner ungemischten Art beraubt worden. Die noch zahlreich
erhaltenen festlichen oder abergläubischen Bräuche der Weihnachts - oder
Fastenzeit zeigen bei einigen slowenischen Zuthaten im allgemeinen die be¬
kannten Züge der Volksaufführungen aus den deutschen Alpenländern. Aber


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[0136] Da sich eine in ihren feiertäglichen Bestandteilen immer kostspielige Volks¬ tracht nnr in wohlhabenden Gegenden auf die Dauer zu erhalten vermag, so sind heute die einst bei den Männern allgemein üblichen weiten Pumphosen, die in hohen, nägelbeschlagnen Stiefeln steckten, die ärmellose, bis an die Kniee reichende Joppe und die weiße Lodenweste oder der grüne Tuchrock mit den bunten Aufschlägen und der hohe breitkrempige Hut fast ganz verschwunden. Auch die Haare knüpfen sie nicht mehr in den langen, bis auf den Gürtel reichenden Zopf, wie es noch zu Anfange dieses Jahrhunderts durchgehend Sitte war, und seit die aus den dreißiger Jahren stammende steife Frack- nnd Cylindermode glücklich überwunden ist, sieht man auch, obgleich die Gottscheeer noch heute damit gehänselt werden, keinen Bauer mehr in weißen Beinkleidern, Frack und Angströhre hinter dem Pfluge, wie es noch vor zwanzig Jahren nicht selten geschah. Die Frauen sind auch hier in ihrer Tracht konservativer als die Männer. Noch immer sieht man das schon seit Jahrhunderten gebräuchliche Leinenhemd, das über den Rock gestreift und an¬ statt eines Mieders durch den Wollgürtel zusammengehalten wird, sowie die bunte, ärmellose Tuchjacke. Das Gottscheeer Bauernhaus trägt in seiner Bauart den oberdeutschen Typus mit der zugleich als Herdraum dienenden Flur und den daneben ein- oder zweiseitig angegliederten Stuben oder Kammern. Aber gleich den Kärntnern und Slowenen hat der Gottscheeer keine durch Mauern und Gebäude geschlos¬ senen Hofanlagen, wie man sie in Oberösterreich und Böhmen ganz allgemein findet. Der Giebel ist meist der Straße zugekehrt, und da die Häuser gerne auf abschüssiger Fläche erbaut werden, kann man oft, ohne eine Treppe zu benutzen, von außen unmittelbar auch ins obere Geschoß gelangen. Nächst dem Kruzifix gilt der Tisch für das heiligste im Hause: vor ihm verrichten die Insassen das Gebet und küssen ihn zum Schluß, denn er trägt das täg¬ liche Brot und wird peinlich vor jeder Verunreinigung bewahrt. In manchen Dörfern erblickt man noch Reste der alten „Taboren," die einst vom Landvolk als befestigte Plätze gegen die Türkengefahr angelegt wurden, gewöhnlich rings um die Dorfkirche. Kam der Erbfeind heran, fo flohen die Landleute von fern und nah mit Vieh und Lebensmitteln in diese Kirchenfestung, und der Pfarrer als Festungskommandant verteidigte sie nicht selten mit gutem Erfolge. Von den Sitten und Bräuchen, dem Aberglauben und den Mythen, die sich auf einer abgeschlossenen Sprachinsel sonst so stark und unverfälscht zu erhalten pflegen, ist durch das unstete Wanderleben der Gottscheeer manches zerstört oder seiner ungemischten Art beraubt worden. Die noch zahlreich erhaltenen festlichen oder abergläubischen Bräuche der Weihnachts - oder Fastenzeit zeigen bei einigen slowenischen Zuthaten im allgemeinen die be¬ kannten Züge der Volksaufführungen aus den deutschen Alpenländern. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/136>, abgerufen am 25.08.2024.