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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Sparsamkeit und Selbsthilfe

aus landwirtschaftlichen Produkten, warum sollten sie nun nicht die Brot- und
Gebäckerzeugung in großem Stile vornehmen?

Ich will Herrn Kanitz einmal vorrechnen, was der Konsument in Ham¬
burg für den Zentner verbacknes Weizenmehl bezahlt. Vielleicht kennt er die
sogenannten Hamburger "Rundstücke," die aus Weizenmehl, Wasser, Salz und
Trieb gebacken werden. Hundert Pfund Mehl geben 125 Pfund Semmel,
jede Semmel wiegt 45 Gramm und kostet 2^ Pfennige, denn sür 10 Pfennige
giebts vier; aus einem Zentner Mehl werden also 1400 Semmeln, wofür der
Konsument 1400 x 2,5 Pfg. ^ 35 Mark bezahlt. Also aus 12 Mark Mehl¬
preis werden 35 Mark Semmelpreis!

Jeder sieht, daß der Preis des Mehls nur den dritten Teil ausmacht
von den Gesamtkosten der fertigen Semmel. In hundert Semmeln, die je
2,50 Pfennige kosten, stecken

86 Pfennige Mehlkosten, wenn der Zentner Weizenmehl 12 Mark kostet
1" " >t ", , n V " 16 " "

Was darüber bezahlt werden muß, das sind die sogenannten Regiekosten, der
Arbeitslohn und Bückergewinn. Daß diese aber bei vernünftigen Betrieben und
bei sparsamer Austeilung des Gebäckes auf jeden Zentner verbacknes Mehl
23 Mark ausmachen müssen, das muß doch sehr bezweifelt werden. Es fällt
mir nicht ein, den Bückern Brotwucher vorzuwerfern, aber das behaupte ich,
daß wir die wichtigste Frage, die Brotfrage, die Umwandlung des Getreides
in Mehl und des Mehls in Brot, mit einer Nachlässigkeit behandeln, die
ihres gleichen sucht. Millionen über Millionen könnten dem deutschen Volke
im Jahre erhalten bleiben, wenn aus diesem Kleingewerbe eine Großindustrie
würde, die sowohl die Herstellung als die Austeilung des Gebäcks nach dem Stande
der hierfür auf Verwendung harrenden Maschinen unternähme. Dabei ist es
selbstverständlich, daß die Eigentümlichkeit der Bäckerei gewahrt bleiben muß,
daß also die Bückereien in der Stadt und nicht wie die Brennereien und Zucker¬
fabriken auf dem Lande mitten auf dem Felde stehen müssen.

Wollen also die Landwirte nicht länger auf Staatshilfe warten, wollen
sie aber auch Berufsgenossen vor dem Untergange retten, dann wird ihnen
kaum etwas andres übrig bleiben als zur Selbsthilfe zu greifen und irgendwo
damit zu beginnen, daß sie zu Gunsten der Rohpreise auf dem Wege zur fer¬
tigen Ware hin sparen.

Das, was gespart werden kann, kann den Getreidebauern zu gute kommen;
dem Arbeiter aber wird man durch die Einrichtung einer wirklich mit allen
Hilfsmitteln ausgestatteten Bückerei ein tadelloses und trotzdem noch ein billigeres
Brot liefern können als jetzt. Dadurch wird sich ein solcher Betrieb ein Schutz-


Sparsamkeit und Selbsthilfe

aus landwirtschaftlichen Produkten, warum sollten sie nun nicht die Brot- und
Gebäckerzeugung in großem Stile vornehmen?

Ich will Herrn Kanitz einmal vorrechnen, was der Konsument in Ham¬
burg für den Zentner verbacknes Weizenmehl bezahlt. Vielleicht kennt er die
sogenannten Hamburger „Rundstücke," die aus Weizenmehl, Wasser, Salz und
Trieb gebacken werden. Hundert Pfund Mehl geben 125 Pfund Semmel,
jede Semmel wiegt 45 Gramm und kostet 2^ Pfennige, denn sür 10 Pfennige
giebts vier; aus einem Zentner Mehl werden also 1400 Semmeln, wofür der
Konsument 1400 x 2,5 Pfg. ^ 35 Mark bezahlt. Also aus 12 Mark Mehl¬
preis werden 35 Mark Semmelpreis!

Jeder sieht, daß der Preis des Mehls nur den dritten Teil ausmacht
von den Gesamtkosten der fertigen Semmel. In hundert Semmeln, die je
2,50 Pfennige kosten, stecken

86 Pfennige Mehlkosten, wenn der Zentner Weizenmehl 12 Mark kostet
1" " >t », , n V » 16 „ „

Was darüber bezahlt werden muß, das sind die sogenannten Regiekosten, der
Arbeitslohn und Bückergewinn. Daß diese aber bei vernünftigen Betrieben und
bei sparsamer Austeilung des Gebäckes auf jeden Zentner verbacknes Mehl
23 Mark ausmachen müssen, das muß doch sehr bezweifelt werden. Es fällt
mir nicht ein, den Bückern Brotwucher vorzuwerfern, aber das behaupte ich,
daß wir die wichtigste Frage, die Brotfrage, die Umwandlung des Getreides
in Mehl und des Mehls in Brot, mit einer Nachlässigkeit behandeln, die
ihres gleichen sucht. Millionen über Millionen könnten dem deutschen Volke
im Jahre erhalten bleiben, wenn aus diesem Kleingewerbe eine Großindustrie
würde, die sowohl die Herstellung als die Austeilung des Gebäcks nach dem Stande
der hierfür auf Verwendung harrenden Maschinen unternähme. Dabei ist es
selbstverständlich, daß die Eigentümlichkeit der Bäckerei gewahrt bleiben muß,
daß also die Bückereien in der Stadt und nicht wie die Brennereien und Zucker¬
fabriken auf dem Lande mitten auf dem Felde stehen müssen.

Wollen also die Landwirte nicht länger auf Staatshilfe warten, wollen
sie aber auch Berufsgenossen vor dem Untergange retten, dann wird ihnen
kaum etwas andres übrig bleiben als zur Selbsthilfe zu greifen und irgendwo
damit zu beginnen, daß sie zu Gunsten der Rohpreise auf dem Wege zur fer¬
tigen Ware hin sparen.

Das, was gespart werden kann, kann den Getreidebauern zu gute kommen;
dem Arbeiter aber wird man durch die Einrichtung einer wirklich mit allen
Hilfsmitteln ausgestatteten Bückerei ein tadelloses und trotzdem noch ein billigeres
Brot liefern können als jetzt. Dadurch wird sich ein solcher Betrieb ein Schutz-


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[0119] Sparsamkeit und Selbsthilfe aus landwirtschaftlichen Produkten, warum sollten sie nun nicht die Brot- und Gebäckerzeugung in großem Stile vornehmen? Ich will Herrn Kanitz einmal vorrechnen, was der Konsument in Ham¬ burg für den Zentner verbacknes Weizenmehl bezahlt. Vielleicht kennt er die sogenannten Hamburger „Rundstücke," die aus Weizenmehl, Wasser, Salz und Trieb gebacken werden. Hundert Pfund Mehl geben 125 Pfund Semmel, jede Semmel wiegt 45 Gramm und kostet 2^ Pfennige, denn sür 10 Pfennige giebts vier; aus einem Zentner Mehl werden also 1400 Semmeln, wofür der Konsument 1400 x 2,5 Pfg. ^ 35 Mark bezahlt. Also aus 12 Mark Mehl¬ preis werden 35 Mark Semmelpreis! Jeder sieht, daß der Preis des Mehls nur den dritten Teil ausmacht von den Gesamtkosten der fertigen Semmel. In hundert Semmeln, die je 2,50 Pfennige kosten, stecken 86 Pfennige Mehlkosten, wenn der Zentner Weizenmehl 12 Mark kostet 1" " >t », , n V » 16 „ „ Was darüber bezahlt werden muß, das sind die sogenannten Regiekosten, der Arbeitslohn und Bückergewinn. Daß diese aber bei vernünftigen Betrieben und bei sparsamer Austeilung des Gebäckes auf jeden Zentner verbacknes Mehl 23 Mark ausmachen müssen, das muß doch sehr bezweifelt werden. Es fällt mir nicht ein, den Bückern Brotwucher vorzuwerfern, aber das behaupte ich, daß wir die wichtigste Frage, die Brotfrage, die Umwandlung des Getreides in Mehl und des Mehls in Brot, mit einer Nachlässigkeit behandeln, die ihres gleichen sucht. Millionen über Millionen könnten dem deutschen Volke im Jahre erhalten bleiben, wenn aus diesem Kleingewerbe eine Großindustrie würde, die sowohl die Herstellung als die Austeilung des Gebäcks nach dem Stande der hierfür auf Verwendung harrenden Maschinen unternähme. Dabei ist es selbstverständlich, daß die Eigentümlichkeit der Bäckerei gewahrt bleiben muß, daß also die Bückereien in der Stadt und nicht wie die Brennereien und Zucker¬ fabriken auf dem Lande mitten auf dem Felde stehen müssen. Wollen also die Landwirte nicht länger auf Staatshilfe warten, wollen sie aber auch Berufsgenossen vor dem Untergange retten, dann wird ihnen kaum etwas andres übrig bleiben als zur Selbsthilfe zu greifen und irgendwo damit zu beginnen, daß sie zu Gunsten der Rohpreise auf dem Wege zur fer¬ tigen Ware hin sparen. Das, was gespart werden kann, kann den Getreidebauern zu gute kommen; dem Arbeiter aber wird man durch die Einrichtung einer wirklich mit allen Hilfsmitteln ausgestatteten Bückerei ein tadelloses und trotzdem noch ein billigeres Brot liefern können als jetzt. Dadurch wird sich ein solcher Betrieb ein Schutz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/119>, abgerufen am 26.08.2024.