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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Sparsamkeit und Selbsthilfe

aus der Hoffnung auf Erfolg, auf eine lohnende Ernte entstehen kann? Den
Dichter, den Komponisten, ja den König und Kaiser will ich sehen, der nicht
alle Schaffenslust verliert, wenn er schon vorher weiß, daß das beste, was er
zu leisten vermag, von andern als wertlos betrachtet wird. Und warum ver¬
kümmert der Landwirt bei uns und in den Nachbarländern? Weil ihm der
Wert seiner Arbeit, seiner Arbeitserzengnisfe vom Auslande so niedrig an¬
gesetzt wird, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dabei zu bestehen. Dein
Anlaute, seinem eignen Vaterlande. muß der Landmann Steuern zahlen, er
muß seine Söhne Soldat spielen lassen, er hat mit Unkosten und Lasten zu
rechnen, die ihm das Inland auferlegt. Vom Auslande aber, das weit billiger
arbeitet, wird ihm vorgeschrieben, was er für sein Getreide, also für seine
Arbeit haben soll. Wenn das recht ist. dann weiß ich nicht, was noch unrecht
ist auf der Welt. Ich weiß auch nicht, was werden soll, wenn in diesem oder in
einem der nächsten Jahre Deutschland eine Mißernte zu verzeichnen hat, während
vielleicht in Amerika oder in Asien die Getreidespeicher vor Erntesegen knacken.

Die Verquickung des Ackerbaues mit industriellen Betrieben, z. B. mit
Brennereien, Papierfabrikation, Zuckerfabrikation, die an gar vielen Stellen
allein imstande gewesen ist, das böse Wort Defizit auszusperren, hat nun auch
schon wieder ihr Ende erreicht. Die Zuckergewinnung lohnt sich nicht mehr,
weil zu viel produzirt wird. Also weil Gott die Menschen mit reichen Ernten
versorgt, weil er sie ausrüstet mit klarem Verstände, der eine immer größere
Ausnutzung der Naturkräfte und der Rohprodukte zur Folge hat, darum
müssen Tausende und Hunderttausende Not leiden. Ich denke hierbei nicht
bloß an die Not der arbeitenden, besitzlosen Klassen, sondern auch an die Not
der großen Leute, der "Jetztnochbesitzer." Wie mancher hat seine ersparten Gelder
hineingesteckt in Zuckerfabriken, weil er sah, daß sie sicher und gut angelegt waren,
wenn sie vorhcmdne Bedürfnisse befriedigt hätten. Nun hat sich aber, nicht auf
einmal, fondern als ganz natürliche Folge, als Endzeichen einer ungesunden,
anarchistischen Wirtschaftsordnung das Blatt gewendet; der vvrhandne Bedarf ist
kleiner, viel kleiner als die Menge des hergestellten Zuckers. Vor vollen Sveichcr-
thoren lagern hungernde und sorgende Scharen. Das sind doch Zustände, die
kein vernünftiger Mann gesund nennen oder gar loben kann. Hier muß mit
vernünftigen, ehrlichen, gesunden Mitteln eine Änderung angestrebt werden. Daß
diese Mittel derb wirken müssen, daß eine Besserung nur durch eine Radikalkur
möglich ist, das weiß man im Zucker- und im Weizenreiche nnr zu gut. Man
weiß das aus den unerbittlichen Zahlen, die der eine dem andern vorführt.
lion." ^ ^ 25W^<) Tons, das sind 50 MilWe^und Zucker fertig daliegen und darauf warten, gekauft zu werden.

-Man weiß aber noch mehr. Man weiß, daß man in diesem Jahre 5 Mil-
wird" Rübenzucker und 4'/s Millionen Tons Rohrzucker dazu ernten
' und daß diese kommende Ernte die vorige wieder um eine Million Tons


Sparsamkeit und Selbsthilfe

aus der Hoffnung auf Erfolg, auf eine lohnende Ernte entstehen kann? Den
Dichter, den Komponisten, ja den König und Kaiser will ich sehen, der nicht
alle Schaffenslust verliert, wenn er schon vorher weiß, daß das beste, was er
zu leisten vermag, von andern als wertlos betrachtet wird. Und warum ver¬
kümmert der Landwirt bei uns und in den Nachbarländern? Weil ihm der
Wert seiner Arbeit, seiner Arbeitserzengnisfe vom Auslande so niedrig an¬
gesetzt wird, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dabei zu bestehen. Dein
Anlaute, seinem eignen Vaterlande. muß der Landmann Steuern zahlen, er
muß seine Söhne Soldat spielen lassen, er hat mit Unkosten und Lasten zu
rechnen, die ihm das Inland auferlegt. Vom Auslande aber, das weit billiger
arbeitet, wird ihm vorgeschrieben, was er für sein Getreide, also für seine
Arbeit haben soll. Wenn das recht ist. dann weiß ich nicht, was noch unrecht
ist auf der Welt. Ich weiß auch nicht, was werden soll, wenn in diesem oder in
einem der nächsten Jahre Deutschland eine Mißernte zu verzeichnen hat, während
vielleicht in Amerika oder in Asien die Getreidespeicher vor Erntesegen knacken.

Die Verquickung des Ackerbaues mit industriellen Betrieben, z. B. mit
Brennereien, Papierfabrikation, Zuckerfabrikation, die an gar vielen Stellen
allein imstande gewesen ist, das böse Wort Defizit auszusperren, hat nun auch
schon wieder ihr Ende erreicht. Die Zuckergewinnung lohnt sich nicht mehr,
weil zu viel produzirt wird. Also weil Gott die Menschen mit reichen Ernten
versorgt, weil er sie ausrüstet mit klarem Verstände, der eine immer größere
Ausnutzung der Naturkräfte und der Rohprodukte zur Folge hat, darum
müssen Tausende und Hunderttausende Not leiden. Ich denke hierbei nicht
bloß an die Not der arbeitenden, besitzlosen Klassen, sondern auch an die Not
der großen Leute, der „Jetztnochbesitzer." Wie mancher hat seine ersparten Gelder
hineingesteckt in Zuckerfabriken, weil er sah, daß sie sicher und gut angelegt waren,
wenn sie vorhcmdne Bedürfnisse befriedigt hätten. Nun hat sich aber, nicht auf
einmal, fondern als ganz natürliche Folge, als Endzeichen einer ungesunden,
anarchistischen Wirtschaftsordnung das Blatt gewendet; der vvrhandne Bedarf ist
kleiner, viel kleiner als die Menge des hergestellten Zuckers. Vor vollen Sveichcr-
thoren lagern hungernde und sorgende Scharen. Das sind doch Zustände, die
kein vernünftiger Mann gesund nennen oder gar loben kann. Hier muß mit
vernünftigen, ehrlichen, gesunden Mitteln eine Änderung angestrebt werden. Daß
diese Mittel derb wirken müssen, daß eine Besserung nur durch eine Radikalkur
möglich ist, das weiß man im Zucker- und im Weizenreiche nnr zu gut. Man
weiß das aus den unerbittlichen Zahlen, die der eine dem andern vorführt.
lion.» ^ ^ 25W^<) Tons, das sind 50 MilWe^und Zucker fertig daliegen und darauf warten, gekauft zu werden.

-Man weiß aber noch mehr. Man weiß, daß man in diesem Jahre 5 Mil-
wird" Rübenzucker und 4'/s Millionen Tons Rohrzucker dazu ernten
' und daß diese kommende Ernte die vorige wieder um eine Million Tons


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[0117] Sparsamkeit und Selbsthilfe aus der Hoffnung auf Erfolg, auf eine lohnende Ernte entstehen kann? Den Dichter, den Komponisten, ja den König und Kaiser will ich sehen, der nicht alle Schaffenslust verliert, wenn er schon vorher weiß, daß das beste, was er zu leisten vermag, von andern als wertlos betrachtet wird. Und warum ver¬ kümmert der Landwirt bei uns und in den Nachbarländern? Weil ihm der Wert seiner Arbeit, seiner Arbeitserzengnisfe vom Auslande so niedrig an¬ gesetzt wird, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dabei zu bestehen. Dein Anlaute, seinem eignen Vaterlande. muß der Landmann Steuern zahlen, er muß seine Söhne Soldat spielen lassen, er hat mit Unkosten und Lasten zu rechnen, die ihm das Inland auferlegt. Vom Auslande aber, das weit billiger arbeitet, wird ihm vorgeschrieben, was er für sein Getreide, also für seine Arbeit haben soll. Wenn das recht ist. dann weiß ich nicht, was noch unrecht ist auf der Welt. Ich weiß auch nicht, was werden soll, wenn in diesem oder in einem der nächsten Jahre Deutschland eine Mißernte zu verzeichnen hat, während vielleicht in Amerika oder in Asien die Getreidespeicher vor Erntesegen knacken. Die Verquickung des Ackerbaues mit industriellen Betrieben, z. B. mit Brennereien, Papierfabrikation, Zuckerfabrikation, die an gar vielen Stellen allein imstande gewesen ist, das böse Wort Defizit auszusperren, hat nun auch schon wieder ihr Ende erreicht. Die Zuckergewinnung lohnt sich nicht mehr, weil zu viel produzirt wird. Also weil Gott die Menschen mit reichen Ernten versorgt, weil er sie ausrüstet mit klarem Verstände, der eine immer größere Ausnutzung der Naturkräfte und der Rohprodukte zur Folge hat, darum müssen Tausende und Hunderttausende Not leiden. Ich denke hierbei nicht bloß an die Not der arbeitenden, besitzlosen Klassen, sondern auch an die Not der großen Leute, der „Jetztnochbesitzer." Wie mancher hat seine ersparten Gelder hineingesteckt in Zuckerfabriken, weil er sah, daß sie sicher und gut angelegt waren, wenn sie vorhcmdne Bedürfnisse befriedigt hätten. Nun hat sich aber, nicht auf einmal, fondern als ganz natürliche Folge, als Endzeichen einer ungesunden, anarchistischen Wirtschaftsordnung das Blatt gewendet; der vvrhandne Bedarf ist kleiner, viel kleiner als die Menge des hergestellten Zuckers. Vor vollen Sveichcr- thoren lagern hungernde und sorgende Scharen. Das sind doch Zustände, die kein vernünftiger Mann gesund nennen oder gar loben kann. Hier muß mit vernünftigen, ehrlichen, gesunden Mitteln eine Änderung angestrebt werden. Daß diese Mittel derb wirken müssen, daß eine Besserung nur durch eine Radikalkur möglich ist, das weiß man im Zucker- und im Weizenreiche nnr zu gut. Man weiß das aus den unerbittlichen Zahlen, die der eine dem andern vorführt. lion.» ^ ^ 25W^<) Tons, das sind 50 MilWe^und Zucker fertig daliegen und darauf warten, gekauft zu werden. -Man weiß aber noch mehr. Man weiß, daß man in diesem Jahre 5 Mil- wird" Rübenzucker und 4'/s Millionen Tons Rohrzucker dazu ernten ' und daß diese kommende Ernte die vorige wieder um eine Million Tons

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/117>, abgerufen am 26.08.2024.