Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.demokratie erwies, wie denn überhaupt dergleichen Schäden der Gesellschaft Wenn also Herr von Boguslawski diese Bedenken kennt -- alle freilich demokratie erwies, wie denn überhaupt dergleichen Schäden der Gesellschaft Wenn also Herr von Boguslawski diese Bedenken kennt — alle freilich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219687"/> <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> demokratie erwies, wie denn überhaupt dergleichen Schäden der Gesellschaft<lb/> immer den revolutionären Parteien den größten Vorschub geleistet haben."<lb/> Hätte sich Herr von Boguslawski, der hier der Wahrheit so nahe war, daß<lb/> er ihr sast auf die Ferse trat, etwas länger auf dieser Spur gehalten, so würde<lb/> er noch andre Dinge entdeckt haben, aber „seinen" Vollkampf hätte er dann<lb/> schwerlich empfohlen. Denn daß er die ungewollten aber unausbleiblichen Be¬<lb/> gleiterscheinungen eines derartigen Kampfes nicht, wie so viele andre, einfach<lb/> übersieht, erkennt man an einer Stelle, wo er die schlimmen Wirkungen des<lb/> Svzialistengesetzes zusammenfaßt: man sage, daß man mit Bajonetten Ideen<lb/> nicht unterdrücken könne, daß man durch die Einschränkung der freien Be¬<lb/> wegung der Sozialdemokratie das Ventil am Dampfkessel schließe, der Geheim-<lb/> bündelei die Wege bahne, die Massen erbittere und reize und ein Märtyrertum<lb/> erzeuge, daß dadurch die Zahl der Sozialdemokraten nur wachsen müsse, und daß<lb/> zuletzt ein gewaltsamer Ausbruch und Anarchistenthaten die Folge sein würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Wenn also Herr von Boguslawski diese Bedenken kennt — alle freilich<lb/> scheint er sie nicht zu kennen — und trotzdem den Erlaß des Sozialistengesetzes<lb/> als eine weise That begrüßt, so hat er vermutlich wohlthuende Wirkungen<lb/> davon erlebt, von denen wir nichts verspürt haben. Das einzige aber, was<lb/> er zu Gunsten des Gesetzes in die Wagschale zu legen weiß, ist, daß den<lb/> Massen das Bewußtsein der staatlichen Autorität nicht abhanden kommen dürfe.<lb/> Nun gut, wenn das Svzialistengesetz diese Wirkung gehabt hat, dann wollen<lb/> auch wir ihm keinen Stein mehr aufs Grab werfen; aber auch in diesem Falle<lb/> wären wir von dem Standpunkt des Herrn von Boguslawski noch durch eine<lb/> weite Kluft getrennt. Ihm wie allen Lobrednern des Ausnahmegesetzes er¬<lb/> scheint dessen Aufhebung als der Anfang vom Ende, ja wenn wir ihm glauben,<lb/> so steht bei uns die Revolution nicht mehr vor der Thür, sondern sie hat<lb/> uns schon sest beim Kragen. In dem Mosaik, das er zusammenstellt, um uns<lb/> über unsre Lage die Augen zu öffnen, entdecken wir neben Streiks, Kontrakt¬<lb/> brüchen und Boykotts auch einiges, worauf wir nicht gefaßt waren, wie die<lb/> Aufführung von Hauptmanns „Webern"; daß dagegen das taktlose Sitzen¬<lb/> bleiben der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten bei dem Hoch auf den<lb/> Kaiser zur Vervollständigung des Bildes herangeholt wird, lassen wir uns<lb/> schon eher gefallen. Im übrigen aber erklären wir den Versuch, mit Hilfe<lb/> einer derartigen Zusammenstellung, und wenn sie noch so gründlich und voll¬<lb/> ständig wäre, etwas beweisen zu wollen, schon deshalb für verfehlt und zwecklos,<lb/> weil bei allen derartigen Versuchen die Kehrseite, auf der sich die Stützen von<lb/> Staat und Gesellschaft finden, außer Acht gelassen wird und natürlich niemals<lb/> mit derselben Ausführlichkeit beschrieben werden kann. Dazu kommt noch, daß<lb/> auch einzelne Figuren in dem Zeitgemälde des Herrn von Boguslawski ver¬<lb/> zerrte Züge aufweisen. So heißt es an einer Stelle: „Nicht nur zwischen<lb/> den Besitzenden, sondern auch zwischen den Klassen, die man die gebildeten zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
demokratie erwies, wie denn überhaupt dergleichen Schäden der Gesellschaft
immer den revolutionären Parteien den größten Vorschub geleistet haben."
Hätte sich Herr von Boguslawski, der hier der Wahrheit so nahe war, daß
er ihr sast auf die Ferse trat, etwas länger auf dieser Spur gehalten, so würde
er noch andre Dinge entdeckt haben, aber „seinen" Vollkampf hätte er dann
schwerlich empfohlen. Denn daß er die ungewollten aber unausbleiblichen Be¬
gleiterscheinungen eines derartigen Kampfes nicht, wie so viele andre, einfach
übersieht, erkennt man an einer Stelle, wo er die schlimmen Wirkungen des
Svzialistengesetzes zusammenfaßt: man sage, daß man mit Bajonetten Ideen
nicht unterdrücken könne, daß man durch die Einschränkung der freien Be¬
wegung der Sozialdemokratie das Ventil am Dampfkessel schließe, der Geheim-
bündelei die Wege bahne, die Massen erbittere und reize und ein Märtyrertum
erzeuge, daß dadurch die Zahl der Sozialdemokraten nur wachsen müsse, und daß
zuletzt ein gewaltsamer Ausbruch und Anarchistenthaten die Folge sein würden.
Wenn also Herr von Boguslawski diese Bedenken kennt — alle freilich
scheint er sie nicht zu kennen — und trotzdem den Erlaß des Sozialistengesetzes
als eine weise That begrüßt, so hat er vermutlich wohlthuende Wirkungen
davon erlebt, von denen wir nichts verspürt haben. Das einzige aber, was
er zu Gunsten des Gesetzes in die Wagschale zu legen weiß, ist, daß den
Massen das Bewußtsein der staatlichen Autorität nicht abhanden kommen dürfe.
Nun gut, wenn das Svzialistengesetz diese Wirkung gehabt hat, dann wollen
auch wir ihm keinen Stein mehr aufs Grab werfen; aber auch in diesem Falle
wären wir von dem Standpunkt des Herrn von Boguslawski noch durch eine
weite Kluft getrennt. Ihm wie allen Lobrednern des Ausnahmegesetzes er¬
scheint dessen Aufhebung als der Anfang vom Ende, ja wenn wir ihm glauben,
so steht bei uns die Revolution nicht mehr vor der Thür, sondern sie hat
uns schon sest beim Kragen. In dem Mosaik, das er zusammenstellt, um uns
über unsre Lage die Augen zu öffnen, entdecken wir neben Streiks, Kontrakt¬
brüchen und Boykotts auch einiges, worauf wir nicht gefaßt waren, wie die
Aufführung von Hauptmanns „Webern"; daß dagegen das taktlose Sitzen¬
bleiben der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten bei dem Hoch auf den
Kaiser zur Vervollständigung des Bildes herangeholt wird, lassen wir uns
schon eher gefallen. Im übrigen aber erklären wir den Versuch, mit Hilfe
einer derartigen Zusammenstellung, und wenn sie noch so gründlich und voll¬
ständig wäre, etwas beweisen zu wollen, schon deshalb für verfehlt und zwecklos,
weil bei allen derartigen Versuchen die Kehrseite, auf der sich die Stützen von
Staat und Gesellschaft finden, außer Acht gelassen wird und natürlich niemals
mit derselben Ausführlichkeit beschrieben werden kann. Dazu kommt noch, daß
auch einzelne Figuren in dem Zeitgemälde des Herrn von Boguslawski ver¬
zerrte Züge aufweisen. So heißt es an einer Stelle: „Nicht nur zwischen
den Besitzenden, sondern auch zwischen den Klassen, die man die gebildeten zu
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