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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Sedini

Er schwieg und sah sie an, und dann lächelte er. In seinen Augen lag
Beifall gegen das wehrhafte Mädchen, als er langsam näher kam, sich halb
ans die Tischecke setzte und sagte: Habe auch nur etwas fragen wollen -- kleiner
Scherz! Wir brauchen eine Tänzerin zum Künstlersängerfest, ob nicht die
Mutter Bernarz tanzen will -- sie geht ja allweil auf den Zehenspitzen.
Aber Fräulein haben geweint? O ja, die Augen sind gerötet!

Franzi beugte den Kopf mit einem unwilligen Schütteln und streckte die
Hand wie verstohlen nach dem Brief aus. Sie drückte ihn zusammen und
schloß die Faust darüber. Simon Janko wandte die Augen nicht von ihr.

Ein schlechter Brief? Liebessachen?

Sie mußte lachen, obgleich die Augen noch zornig glänzten. Nein, im
Gegenteil! gab sie zur Antwort.

Also doch Liebessachen!

Er blieb auf seiner Ecke sitzen und machte keine Anstalten, zu gehen. Franzi
legte sich im Stuhl zurück. So weit hatte er gewonnen: sie ließ sich aufs
Reden ein.

Keine Spur, sagte sie, der Brief ist nicht von einem Mann!

Von einer Freundin; desto schlimmer! Seine Stimme war weich, und seine
Augen hatten ein stetiges warmes Licht. Er sprach so beiläufig, gar nicht als
ob er begierig wäre, etwas von ihr zu erfahren, sondern als kennte er schon
alles, was einem im Leben begegnen könnte, und wollte sich nur bestätigen
lassen, was er doch wüßte.

Es ist ja meine kleine Schwester, die man hat schreiben lassen, sagte sie.

Und die Mutter schreibt nicht?

Nein, die Mutter hat keine Zeit. Jetzt erst noch, wo ich fort bin!

Aber weg haben Sie doch wollen?

Die Base hat halt geschrieben, daß es ihr so schlecht geht. Da hab ich
gesagt: Weg haben wollt ihr mich, ich geh nach München hinein und helfe der
Base ein wenig. Jetzt im Winter ist auf dem Hof eh nicht so viel zu thun,
und ein Kreuz ist das schon lange daheim mit den vorwurfsvollen Gesichtern
und dem ewigen Gemahre. ,

Aber ihr Schicksal folgt dem Fräulein nach, sagte er und zeigte auf die
Hand mit dem Briefe.

Ja, weiß Gott, die geben keine Ruh, als ob das Glück von dem ganzen
Haus an mir hinge.

Warum sind Sie denn auch so widerspenstig?

Die haben leicht reden. Die brauchen ihn nicht zu haben die ganze
Lebenszeit lang. Aber Angst hab ich kriegt. Wenn ich mich da über¬
rumpeln ließ und eben ihnen den Willen, und nachher gereute minds!
Wie mir die Mutter zuerst davon geredet hat -- oder geredet hat sie nicht,
nur wie er immer und immer mit mir getanzt hat, ist sie so um mich gewesen
und hat alleweil gemahnt, daß ich mich nicht zu heiß machen sollt und nicht
zu rot werden dürft, weil mich das nicht kleiden thut, da hab ich lachen
müssen. Er ist ja der reichste Mensch, soweit man mit einem Paar Rosse
fahren kann, und wie ich noch in die Schule gegangen bin, hat man schon ge¬
sagt, wen er einmal nehmen wird. Es ist die Tochter vom Schulzen. Sie
ist ein einziges Kind, und wir sind acht Geschwister daheim, da teilt sichs einmal.
Aber die Mutter mit ihrem Gethu hat doch Recht behalten; ausgeblieben ist
der Antrag nicht. Wie die Männer gekommen sind, die man so schickt zum


Sedini

Er schwieg und sah sie an, und dann lächelte er. In seinen Augen lag
Beifall gegen das wehrhafte Mädchen, als er langsam näher kam, sich halb
ans die Tischecke setzte und sagte: Habe auch nur etwas fragen wollen — kleiner
Scherz! Wir brauchen eine Tänzerin zum Künstlersängerfest, ob nicht die
Mutter Bernarz tanzen will — sie geht ja allweil auf den Zehenspitzen.
Aber Fräulein haben geweint? O ja, die Augen sind gerötet!

Franzi beugte den Kopf mit einem unwilligen Schütteln und streckte die
Hand wie verstohlen nach dem Brief aus. Sie drückte ihn zusammen und
schloß die Faust darüber. Simon Janko wandte die Augen nicht von ihr.

Ein schlechter Brief? Liebessachen?

Sie mußte lachen, obgleich die Augen noch zornig glänzten. Nein, im
Gegenteil! gab sie zur Antwort.

Also doch Liebessachen!

Er blieb auf seiner Ecke sitzen und machte keine Anstalten, zu gehen. Franzi
legte sich im Stuhl zurück. So weit hatte er gewonnen: sie ließ sich aufs
Reden ein.

Keine Spur, sagte sie, der Brief ist nicht von einem Mann!

Von einer Freundin; desto schlimmer! Seine Stimme war weich, und seine
Augen hatten ein stetiges warmes Licht. Er sprach so beiläufig, gar nicht als
ob er begierig wäre, etwas von ihr zu erfahren, sondern als kennte er schon
alles, was einem im Leben begegnen könnte, und wollte sich nur bestätigen
lassen, was er doch wüßte.

Es ist ja meine kleine Schwester, die man hat schreiben lassen, sagte sie.

Und die Mutter schreibt nicht?

Nein, die Mutter hat keine Zeit. Jetzt erst noch, wo ich fort bin!

Aber weg haben Sie doch wollen?

Die Base hat halt geschrieben, daß es ihr so schlecht geht. Da hab ich
gesagt: Weg haben wollt ihr mich, ich geh nach München hinein und helfe der
Base ein wenig. Jetzt im Winter ist auf dem Hof eh nicht so viel zu thun,
und ein Kreuz ist das schon lange daheim mit den vorwurfsvollen Gesichtern
und dem ewigen Gemahre. ,

Aber ihr Schicksal folgt dem Fräulein nach, sagte er und zeigte auf die
Hand mit dem Briefe.

Ja, weiß Gott, die geben keine Ruh, als ob das Glück von dem ganzen
Haus an mir hinge.

Warum sind Sie denn auch so widerspenstig?

Die haben leicht reden. Die brauchen ihn nicht zu haben die ganze
Lebenszeit lang. Aber Angst hab ich kriegt. Wenn ich mich da über¬
rumpeln ließ und eben ihnen den Willen, und nachher gereute minds!
Wie mir die Mutter zuerst davon geredet hat — oder geredet hat sie nicht,
nur wie er immer und immer mit mir getanzt hat, ist sie so um mich gewesen
und hat alleweil gemahnt, daß ich mich nicht zu heiß machen sollt und nicht
zu rot werden dürft, weil mich das nicht kleiden thut, da hab ich lachen
müssen. Er ist ja der reichste Mensch, soweit man mit einem Paar Rosse
fahren kann, und wie ich noch in die Schule gegangen bin, hat man schon ge¬
sagt, wen er einmal nehmen wird. Es ist die Tochter vom Schulzen. Sie
ist ein einziges Kind, und wir sind acht Geschwister daheim, da teilt sichs einmal.
Aber die Mutter mit ihrem Gethu hat doch Recht behalten; ausgeblieben ist
der Antrag nicht. Wie die Männer gekommen sind, die man so schickt zum


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[0101] Sedini Er schwieg und sah sie an, und dann lächelte er. In seinen Augen lag Beifall gegen das wehrhafte Mädchen, als er langsam näher kam, sich halb ans die Tischecke setzte und sagte: Habe auch nur etwas fragen wollen — kleiner Scherz! Wir brauchen eine Tänzerin zum Künstlersängerfest, ob nicht die Mutter Bernarz tanzen will — sie geht ja allweil auf den Zehenspitzen. Aber Fräulein haben geweint? O ja, die Augen sind gerötet! Franzi beugte den Kopf mit einem unwilligen Schütteln und streckte die Hand wie verstohlen nach dem Brief aus. Sie drückte ihn zusammen und schloß die Faust darüber. Simon Janko wandte die Augen nicht von ihr. Ein schlechter Brief? Liebessachen? Sie mußte lachen, obgleich die Augen noch zornig glänzten. Nein, im Gegenteil! gab sie zur Antwort. Also doch Liebessachen! Er blieb auf seiner Ecke sitzen und machte keine Anstalten, zu gehen. Franzi legte sich im Stuhl zurück. So weit hatte er gewonnen: sie ließ sich aufs Reden ein. Keine Spur, sagte sie, der Brief ist nicht von einem Mann! Von einer Freundin; desto schlimmer! Seine Stimme war weich, und seine Augen hatten ein stetiges warmes Licht. Er sprach so beiläufig, gar nicht als ob er begierig wäre, etwas von ihr zu erfahren, sondern als kennte er schon alles, was einem im Leben begegnen könnte, und wollte sich nur bestätigen lassen, was er doch wüßte. Es ist ja meine kleine Schwester, die man hat schreiben lassen, sagte sie. Und die Mutter schreibt nicht? Nein, die Mutter hat keine Zeit. Jetzt erst noch, wo ich fort bin! Aber weg haben Sie doch wollen? Die Base hat halt geschrieben, daß es ihr so schlecht geht. Da hab ich gesagt: Weg haben wollt ihr mich, ich geh nach München hinein und helfe der Base ein wenig. Jetzt im Winter ist auf dem Hof eh nicht so viel zu thun, und ein Kreuz ist das schon lange daheim mit den vorwurfsvollen Gesichtern und dem ewigen Gemahre. , Aber ihr Schicksal folgt dem Fräulein nach, sagte er und zeigte auf die Hand mit dem Briefe. Ja, weiß Gott, die geben keine Ruh, als ob das Glück von dem ganzen Haus an mir hinge. Warum sind Sie denn auch so widerspenstig? Die haben leicht reden. Die brauchen ihn nicht zu haben die ganze Lebenszeit lang. Aber Angst hab ich kriegt. Wenn ich mich da über¬ rumpeln ließ und eben ihnen den Willen, und nachher gereute minds! Wie mir die Mutter zuerst davon geredet hat — oder geredet hat sie nicht, nur wie er immer und immer mit mir getanzt hat, ist sie so um mich gewesen und hat alleweil gemahnt, daß ich mich nicht zu heiß machen sollt und nicht zu rot werden dürft, weil mich das nicht kleiden thut, da hab ich lachen müssen. Er ist ja der reichste Mensch, soweit man mit einem Paar Rosse fahren kann, und wie ich noch in die Schule gegangen bin, hat man schon ge¬ sagt, wen er einmal nehmen wird. Es ist die Tochter vom Schulzen. Sie ist ein einziges Kind, und wir sind acht Geschwister daheim, da teilt sichs einmal. Aber die Mutter mit ihrem Gethu hat doch Recht behalten; ausgeblieben ist der Antrag nicht. Wie die Männer gekommen sind, die man so schickt zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/101>, abgerufen am 22.12.2024.