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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stumme des Himmels

das nicht wissen? Setzen wir einmal den Wirklichkeitsfall. Da lebt in Hinter-
pommern ein mit den besten Gaben der Natur und der Erziehung ausgestatteter
junger Baron. Die Lage des Lebens, in der er sich befindet, ist nach allen
Seiten hin vortrefflich, ein gutes Weib hat ihn mit Kindern beschenkt, um die
ihn jeder andre beneiden würde. Da tritt im Laufe der Zeit eine Erkaltung
in seiner Zuneigung zu Weib und Kindern ein. Ist er nun wirklich nach Geist,
Gemüt und Erziehung der Manu, für den er in der Welt gilt, so weiß er
um so mehr, woran er ist, und was er zu thun hat. Da es ihm, wenn auch
unerklärlich spät, zur Gewißheit geworden ist, daß die Liebe, die ihn sein Weib
wählen ließ, eine Täuschung war, so gebietet ihm nicht minder seine eigne Ehre
als das Glück und die Wohlfahrt der Seinen, mit Aufbietung aller Kräfte
dafür zu sorgen, daß diese Täuschung nicht auch außer ihm Platz greife. Hierin
liegt für einen Mann in dem Maße die Richtschnur seines Handelns, daß auch
das Abweichen von ihr nur mit einem Augenzwinkern ihn uns verdächtig
machen würde. Um diese Logik ist so wenig herumzukommen, wie um die
banalste Wahrheit, nach der sich die Menschen auf der Straße richten. Was
sollen wir nun aber von einem Dichter sagen, der uns in der Nachahmung
einer so dargestellten Wirklichkeit überreden will, der kluge und geistvolle, der
edle und gemütvolle Edelmann habe sich in der That in einer Täuschung über
seinen Zustand befunden? Der Widerspruch liegt auf der Hand. Entweder ist
das letzte wahr, dann ist der Herr von Randow kein kluger Mann, sondern
ein Dummkopf, oder das andre ist eine Thatsache, dann ist derselbe Herr noch
etwas schlimmeres als ein Dummkopf.

Doch mag immerhin, um zu einem andern Punkte zu kommen, an¬
genommen werden, daß trotz aller Erfahrung und Weltklugheit der Held des
Romans, in einer seltsamen psychischen Störung befangen, nicht habe einsehen
können, wohin ihn das Unbewußte treiben werde. Aber was mußte denn ge¬
schehen, als diese Unklarheit nun mit einem Schlage ihr Ende gefunden hatte,
als er sich bewußt geworden war, daß der Nebel in ihm nichts andres be¬
deutete als den Drang nach einer großen, früher weder gekannten noch auch
geahnten Liebe? Es schmerzt den Kritiker, berichten zu müssen, daß der Held,
den der Dichter für einen Edelmann im besten Sinne des Wortes ausgiebt,
auch nicht eine Ahnung von dem bekundet, was er zu thun hat. Zu Frau
und Kindern kann er nicht zurückkehren, für den Augenblick wenigstens, nicht
etwa, weil es wie ein ungeheures Schuldgefühl über ihn gekommen wäre,
sondern weil sie für ihn gegenstandslos geworden sind. Nicht diese hat ein
unermeßliches Unglück betroffen, sondern nur ihn selber. Er schreit und tobt
wie ein Kind, dem eine unerhörte Ungerechtigkeit sein Spielzeug vorenthält.
Nicht bloß im Anfang, sondern die ganze Geschichte hindurch bis zu Ende.
Vergebens daß Eleonore selbst ihm die eindringlichsten Vorstellungen macht,
Vorstellungen, die ihm Vernunft und die eigne Ehre hätten eingeben sollen.


Stumme des Himmels

das nicht wissen? Setzen wir einmal den Wirklichkeitsfall. Da lebt in Hinter-
pommern ein mit den besten Gaben der Natur und der Erziehung ausgestatteter
junger Baron. Die Lage des Lebens, in der er sich befindet, ist nach allen
Seiten hin vortrefflich, ein gutes Weib hat ihn mit Kindern beschenkt, um die
ihn jeder andre beneiden würde. Da tritt im Laufe der Zeit eine Erkaltung
in seiner Zuneigung zu Weib und Kindern ein. Ist er nun wirklich nach Geist,
Gemüt und Erziehung der Manu, für den er in der Welt gilt, so weiß er
um so mehr, woran er ist, und was er zu thun hat. Da es ihm, wenn auch
unerklärlich spät, zur Gewißheit geworden ist, daß die Liebe, die ihn sein Weib
wählen ließ, eine Täuschung war, so gebietet ihm nicht minder seine eigne Ehre
als das Glück und die Wohlfahrt der Seinen, mit Aufbietung aller Kräfte
dafür zu sorgen, daß diese Täuschung nicht auch außer ihm Platz greife. Hierin
liegt für einen Mann in dem Maße die Richtschnur seines Handelns, daß auch
das Abweichen von ihr nur mit einem Augenzwinkern ihn uns verdächtig
machen würde. Um diese Logik ist so wenig herumzukommen, wie um die
banalste Wahrheit, nach der sich die Menschen auf der Straße richten. Was
sollen wir nun aber von einem Dichter sagen, der uns in der Nachahmung
einer so dargestellten Wirklichkeit überreden will, der kluge und geistvolle, der
edle und gemütvolle Edelmann habe sich in der That in einer Täuschung über
seinen Zustand befunden? Der Widerspruch liegt auf der Hand. Entweder ist
das letzte wahr, dann ist der Herr von Randow kein kluger Mann, sondern
ein Dummkopf, oder das andre ist eine Thatsache, dann ist derselbe Herr noch
etwas schlimmeres als ein Dummkopf.

Doch mag immerhin, um zu einem andern Punkte zu kommen, an¬
genommen werden, daß trotz aller Erfahrung und Weltklugheit der Held des
Romans, in einer seltsamen psychischen Störung befangen, nicht habe einsehen
können, wohin ihn das Unbewußte treiben werde. Aber was mußte denn ge¬
schehen, als diese Unklarheit nun mit einem Schlage ihr Ende gefunden hatte,
als er sich bewußt geworden war, daß der Nebel in ihm nichts andres be¬
deutete als den Drang nach einer großen, früher weder gekannten noch auch
geahnten Liebe? Es schmerzt den Kritiker, berichten zu müssen, daß der Held,
den der Dichter für einen Edelmann im besten Sinne des Wortes ausgiebt,
auch nicht eine Ahnung von dem bekundet, was er zu thun hat. Zu Frau
und Kindern kann er nicht zurückkehren, für den Augenblick wenigstens, nicht
etwa, weil es wie ein ungeheures Schuldgefühl über ihn gekommen wäre,
sondern weil sie für ihn gegenstandslos geworden sind. Nicht diese hat ein
unermeßliches Unglück betroffen, sondern nur ihn selber. Er schreit und tobt
wie ein Kind, dem eine unerhörte Ungerechtigkeit sein Spielzeug vorenthält.
Nicht bloß im Anfang, sondern die ganze Geschichte hindurch bis zu Ende.
Vergebens daß Eleonore selbst ihm die eindringlichsten Vorstellungen macht,
Vorstellungen, die ihm Vernunft und die eigne Ehre hätten eingeben sollen.


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[0652] Stumme des Himmels das nicht wissen? Setzen wir einmal den Wirklichkeitsfall. Da lebt in Hinter- pommern ein mit den besten Gaben der Natur und der Erziehung ausgestatteter junger Baron. Die Lage des Lebens, in der er sich befindet, ist nach allen Seiten hin vortrefflich, ein gutes Weib hat ihn mit Kindern beschenkt, um die ihn jeder andre beneiden würde. Da tritt im Laufe der Zeit eine Erkaltung in seiner Zuneigung zu Weib und Kindern ein. Ist er nun wirklich nach Geist, Gemüt und Erziehung der Manu, für den er in der Welt gilt, so weiß er um so mehr, woran er ist, und was er zu thun hat. Da es ihm, wenn auch unerklärlich spät, zur Gewißheit geworden ist, daß die Liebe, die ihn sein Weib wählen ließ, eine Täuschung war, so gebietet ihm nicht minder seine eigne Ehre als das Glück und die Wohlfahrt der Seinen, mit Aufbietung aller Kräfte dafür zu sorgen, daß diese Täuschung nicht auch außer ihm Platz greife. Hierin liegt für einen Mann in dem Maße die Richtschnur seines Handelns, daß auch das Abweichen von ihr nur mit einem Augenzwinkern ihn uns verdächtig machen würde. Um diese Logik ist so wenig herumzukommen, wie um die banalste Wahrheit, nach der sich die Menschen auf der Straße richten. Was sollen wir nun aber von einem Dichter sagen, der uns in der Nachahmung einer so dargestellten Wirklichkeit überreden will, der kluge und geistvolle, der edle und gemütvolle Edelmann habe sich in der That in einer Täuschung über seinen Zustand befunden? Der Widerspruch liegt auf der Hand. Entweder ist das letzte wahr, dann ist der Herr von Randow kein kluger Mann, sondern ein Dummkopf, oder das andre ist eine Thatsache, dann ist derselbe Herr noch etwas schlimmeres als ein Dummkopf. Doch mag immerhin, um zu einem andern Punkte zu kommen, an¬ genommen werden, daß trotz aller Erfahrung und Weltklugheit der Held des Romans, in einer seltsamen psychischen Störung befangen, nicht habe einsehen können, wohin ihn das Unbewußte treiben werde. Aber was mußte denn ge¬ schehen, als diese Unklarheit nun mit einem Schlage ihr Ende gefunden hatte, als er sich bewußt geworden war, daß der Nebel in ihm nichts andres be¬ deutete als den Drang nach einer großen, früher weder gekannten noch auch geahnten Liebe? Es schmerzt den Kritiker, berichten zu müssen, daß der Held, den der Dichter für einen Edelmann im besten Sinne des Wortes ausgiebt, auch nicht eine Ahnung von dem bekundet, was er zu thun hat. Zu Frau und Kindern kann er nicht zurückkehren, für den Augenblick wenigstens, nicht etwa, weil es wie ein ungeheures Schuldgefühl über ihn gekommen wäre, sondern weil sie für ihn gegenstandslos geworden sind. Nicht diese hat ein unermeßliches Unglück betroffen, sondern nur ihn selber. Er schreit und tobt wie ein Kind, dem eine unerhörte Ungerechtigkeit sein Spielzeug vorenthält. Nicht bloß im Anfang, sondern die ganze Geschichte hindurch bis zu Ende. Vergebens daß Eleonore selbst ihm die eindringlichsten Vorstellungen macht, Vorstellungen, die ihm Vernunft und die eigne Ehre hätten eingeben sollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/652>, abgerufen am 25.08.2024.