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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstroinc

Kirchenvüterhomilien, Hymnen und Gebeten bestehenden Texte zu einem kunst-
vollen Bau, dessen Seele die Idee des Festes ist. Protestanten, denen der
Gedanke eines Kultus im strengen Sinne des Wortes, d. h. einer Gott dar¬
gebrachten äußerlichen Huldigung, fremd ist, und die ja auch den Text nur
unvollkommen verstehen, fühlen sich durch das höfische Zeremoniell eines Dom¬
gottesdienstes entweder fremdartig berührt oder geradezu abgestoßen. Der Ka¬
tholik dagegen, der in jenem Gedanken aufgewachsen ist, sieht dort sein Ideal
eines solchen Dienstes verwirklicht: eine Zahl der Würde nach abgestufte Hof¬
beamten, die einander gegenseitig Ehre erweisen, und deren in der Pracht der
Gewänder und dem Maß der entgegengenommnen Ehren sichtbar werdende
Abstände die Phantasie stufenweise zu dein Throne des unsichtbar anwesenden
Königs der Ewigkeiten hinausleiten. Wird alles sauber ausgeführt, dann nimmt
es sich anch, ästhetisch betrachtet, sehr gut aus. So z. B. das Vorsingen der
Antiphoncu bei den Vespern. Jedem Psalm wird ein Antiphon genannter
Schriftvers voraus- und nachgeschickt. Ein Vorsänger, begleitet von einem
Zeremoniar im Prachtmautel, schreitet zum Zelebrireudeu hiu, der sich von
seinem Sessel erhebt. Die beiden begrüßen ihn mit einer Verbeugung, die er er¬
widert. Dann stimmt der Vorsänger die Antiphon an, nur die Anfangsworte,
und der andre wiederholt sie. Dann bekomplimentiren sie sich wieder gegen¬
seitig, der eine setzt sich, die andern kehren auf ihren Platz zurück. Die übrigen
Antiphonen werden in derselben Weise den anwesenden Domherren vorgesungen,
vom vornehmsten, also vom Bischof, wen" dieser der Feier beiwohnt, an¬
zusaugen, und Förster saug um Weihnachten sein rsäsiuptiunsin misit äowiuus
prachtvoll. Einen gemischten Eindruck freilich machte es, wenn der Präzentor
den alten Ritter mit den Worten begrüßte: et tu vuvr, und einen ganz un¬
gemischten in der dem Försterschen entgegengesetzten Richtung, wenn dieser
antwortete. Ritter hatte uns im Kolleg schou auf die musikalischen Über¬
raschungen vorbereitet, die unser warteten, 's ist unglaublich, meine Herren,
sagte er einmal, ich kann nicht unterscheiden, ob ein Ton hoch oder tief ist;
ich habe auf meine alten Tage noch beim Domkapellmeister Gesangstunde ge¬
nommen, aber es nützt alles nichts. Zelebrirte er selbst, dann standen die
unter den Akvluthen, die ihm ins Gesicht zu sehen hatten, Todesangst aus;
denn er nahm die Sache ungeheuer ernst und strengte sich furchtbar an. um
es recht schön zu machen, und so begleitete er denn seine fabelhaften Töne und
Tonfolgen mit beinahe noch fabelhaftem Grimassen. Wenn er nicht zu singen
hatte, der Alte, so verdarb er die Feier durchaus nicht; im Gegenteil, in seinen
Prälatengewändern sah er mit seinem altmodischen Gesicht aus wie ein leib¬
haftiger Kirchenvater. Außer ihm gab es noch ein paar Domherren, die
manchmal durch Gesaug oder Haltung die.Harmonie störten, außerdem einige
plärrende Vikare von würdeloser Haltung. Doch, wie nach Goethe Salomon
zur Königin von Saba sagte, als ein Diener eine von dieser dargebrachte


Grenzboten I 1395 80
Wandlungen des Ich im Zeitenstroinc

Kirchenvüterhomilien, Hymnen und Gebeten bestehenden Texte zu einem kunst-
vollen Bau, dessen Seele die Idee des Festes ist. Protestanten, denen der
Gedanke eines Kultus im strengen Sinne des Wortes, d. h. einer Gott dar¬
gebrachten äußerlichen Huldigung, fremd ist, und die ja auch den Text nur
unvollkommen verstehen, fühlen sich durch das höfische Zeremoniell eines Dom¬
gottesdienstes entweder fremdartig berührt oder geradezu abgestoßen. Der Ka¬
tholik dagegen, der in jenem Gedanken aufgewachsen ist, sieht dort sein Ideal
eines solchen Dienstes verwirklicht: eine Zahl der Würde nach abgestufte Hof¬
beamten, die einander gegenseitig Ehre erweisen, und deren in der Pracht der
Gewänder und dem Maß der entgegengenommnen Ehren sichtbar werdende
Abstände die Phantasie stufenweise zu dein Throne des unsichtbar anwesenden
Königs der Ewigkeiten hinausleiten. Wird alles sauber ausgeführt, dann nimmt
es sich anch, ästhetisch betrachtet, sehr gut aus. So z. B. das Vorsingen der
Antiphoncu bei den Vespern. Jedem Psalm wird ein Antiphon genannter
Schriftvers voraus- und nachgeschickt. Ein Vorsänger, begleitet von einem
Zeremoniar im Prachtmautel, schreitet zum Zelebrireudeu hiu, der sich von
seinem Sessel erhebt. Die beiden begrüßen ihn mit einer Verbeugung, die er er¬
widert. Dann stimmt der Vorsänger die Antiphon an, nur die Anfangsworte,
und der andre wiederholt sie. Dann bekomplimentiren sie sich wieder gegen¬
seitig, der eine setzt sich, die andern kehren auf ihren Platz zurück. Die übrigen
Antiphonen werden in derselben Weise den anwesenden Domherren vorgesungen,
vom vornehmsten, also vom Bischof, wen» dieser der Feier beiwohnt, an¬
zusaugen, und Förster saug um Weihnachten sein rsäsiuptiunsin misit äowiuus
prachtvoll. Einen gemischten Eindruck freilich machte es, wenn der Präzentor
den alten Ritter mit den Worten begrüßte: et tu vuvr, und einen ganz un¬
gemischten in der dem Försterschen entgegengesetzten Richtung, wenn dieser
antwortete. Ritter hatte uns im Kolleg schou auf die musikalischen Über¬
raschungen vorbereitet, die unser warteten, 's ist unglaublich, meine Herren,
sagte er einmal, ich kann nicht unterscheiden, ob ein Ton hoch oder tief ist;
ich habe auf meine alten Tage noch beim Domkapellmeister Gesangstunde ge¬
nommen, aber es nützt alles nichts. Zelebrirte er selbst, dann standen die
unter den Akvluthen, die ihm ins Gesicht zu sehen hatten, Todesangst aus;
denn er nahm die Sache ungeheuer ernst und strengte sich furchtbar an. um
es recht schön zu machen, und so begleitete er denn seine fabelhaften Töne und
Tonfolgen mit beinahe noch fabelhaftem Grimassen. Wenn er nicht zu singen
hatte, der Alte, so verdarb er die Feier durchaus nicht; im Gegenteil, in seinen
Prälatengewändern sah er mit seinem altmodischen Gesicht aus wie ein leib¬
haftiger Kirchenvater. Außer ihm gab es noch ein paar Domherren, die
manchmal durch Gesaug oder Haltung die.Harmonie störten, außerdem einige
plärrende Vikare von würdeloser Haltung. Doch, wie nach Goethe Salomon
zur Königin von Saba sagte, als ein Diener eine von dieser dargebrachte


Grenzboten I 1395 80
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[0647] Wandlungen des Ich im Zeitenstroinc Kirchenvüterhomilien, Hymnen und Gebeten bestehenden Texte zu einem kunst- vollen Bau, dessen Seele die Idee des Festes ist. Protestanten, denen der Gedanke eines Kultus im strengen Sinne des Wortes, d. h. einer Gott dar¬ gebrachten äußerlichen Huldigung, fremd ist, und die ja auch den Text nur unvollkommen verstehen, fühlen sich durch das höfische Zeremoniell eines Dom¬ gottesdienstes entweder fremdartig berührt oder geradezu abgestoßen. Der Ka¬ tholik dagegen, der in jenem Gedanken aufgewachsen ist, sieht dort sein Ideal eines solchen Dienstes verwirklicht: eine Zahl der Würde nach abgestufte Hof¬ beamten, die einander gegenseitig Ehre erweisen, und deren in der Pracht der Gewänder und dem Maß der entgegengenommnen Ehren sichtbar werdende Abstände die Phantasie stufenweise zu dein Throne des unsichtbar anwesenden Königs der Ewigkeiten hinausleiten. Wird alles sauber ausgeführt, dann nimmt es sich anch, ästhetisch betrachtet, sehr gut aus. So z. B. das Vorsingen der Antiphoncu bei den Vespern. Jedem Psalm wird ein Antiphon genannter Schriftvers voraus- und nachgeschickt. Ein Vorsänger, begleitet von einem Zeremoniar im Prachtmautel, schreitet zum Zelebrireudeu hiu, der sich von seinem Sessel erhebt. Die beiden begrüßen ihn mit einer Verbeugung, die er er¬ widert. Dann stimmt der Vorsänger die Antiphon an, nur die Anfangsworte, und der andre wiederholt sie. Dann bekomplimentiren sie sich wieder gegen¬ seitig, der eine setzt sich, die andern kehren auf ihren Platz zurück. Die übrigen Antiphonen werden in derselben Weise den anwesenden Domherren vorgesungen, vom vornehmsten, also vom Bischof, wen» dieser der Feier beiwohnt, an¬ zusaugen, und Förster saug um Weihnachten sein rsäsiuptiunsin misit äowiuus prachtvoll. Einen gemischten Eindruck freilich machte es, wenn der Präzentor den alten Ritter mit den Worten begrüßte: et tu vuvr, und einen ganz un¬ gemischten in der dem Försterschen entgegengesetzten Richtung, wenn dieser antwortete. Ritter hatte uns im Kolleg schou auf die musikalischen Über¬ raschungen vorbereitet, die unser warteten, 's ist unglaublich, meine Herren, sagte er einmal, ich kann nicht unterscheiden, ob ein Ton hoch oder tief ist; ich habe auf meine alten Tage noch beim Domkapellmeister Gesangstunde ge¬ nommen, aber es nützt alles nichts. Zelebrirte er selbst, dann standen die unter den Akvluthen, die ihm ins Gesicht zu sehen hatten, Todesangst aus; denn er nahm die Sache ungeheuer ernst und strengte sich furchtbar an. um es recht schön zu machen, und so begleitete er denn seine fabelhaften Töne und Tonfolgen mit beinahe noch fabelhaftem Grimassen. Wenn er nicht zu singen hatte, der Alte, so verdarb er die Feier durchaus nicht; im Gegenteil, in seinen Prälatengewändern sah er mit seinem altmodischen Gesicht aus wie ein leib¬ haftiger Kirchenvater. Außer ihm gab es noch ein paar Domherren, die manchmal durch Gesaug oder Haltung die.Harmonie störten, außerdem einige plärrende Vikare von würdeloser Haltung. Doch, wie nach Goethe Salomon zur Königin von Saba sagte, als ein Diener eine von dieser dargebrachte Grenzboten I 1395 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/647>, abgerufen am 23.07.2024.