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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Das Wandergewerbe

sagt oder Beschränkungen unterworfen werden können. Für das Handels¬
gewerbe füllt hierbei uur das eine ab, daß künftighin Schmucksachen, Bijouterien,
Brillen und optische Instrumente nicht mehr im Hausirhandel vertrieben werden
sollen. Die Gegner des ambulanten Handels verlangen eine wesentlich umfang-
reichere Hcmsirverbotsliste und erwarten vor allem den Ausschluß von Putz-
wareu, Leinensachen, Tuch, Strickgarn, wollnen und halbwollnen Sachen, neuen
Kleidungsstücken, neuem Schuhzeug, Kolonialwaren, Cigarren und andern
Dingen. Gerade bei dem Hausirhandel mit diesen Gegenständen sei das
Publikum in der Regel nicht vor Schaden geschützt, und habe einmal ein
Hciusirer mit dem bekannten Aufwand von Beredsamkeit und Zudringlichkeit
einen Bezirk mit Ramschware versorgt, so bleibe dem soliden Kaufmann auf
lange Zeit das Nachsehen. Die Berechtigung dieser Klagen ist im allgemeinen
nicht zu bestreiten, erfüllt man aber alle hieraus abgeleiteten Forderungen, so
schlägt man so ziemlich den ganzen Hausirhandel tot, und daun bedarf es
auch weiter keiner gesetzlichen Bestimmungen über dessen Betrieb mehr.

Der Wandcrgewerbeschein war bisher in der Regel dem Minderjährigen
(unter 21 Jahren) zu versagen; indem man jetzt von der gewiß zutreffenden
Voraussetzung ausgeht, daß das Wandergewerbe der gesunden leistungsfähigen
Jugend keine volle Ausnutzung ihrer Kräfte gewährt, und daß es den jungen
Menschen leicht auf die Vagabundenbahn lockt, will man die Altersgrenze,
bis zu der der Wandergewerbeschein in der Regel zu versagen ist, auf das
fünfundzwanzigste Lebensjahr hinausschieben. Dem weiblichen Geschlecht den
Hausirbetrieb zu untersagen, lehnt die Regierung vorläufig ab, "da," wie in
der Begründung gesagt wird, "eine solche Maßregel über das Bedürfnis
hinausgeht (?) und in vielen Fällen geradezu schädlich wirken würde."

Die Vorlage erweitert sodann den Kreis der Vergehen, die die Versagung
des Waudergewerbescheins zur Folge haben. Hausfriedensbruch und Wider¬
stand gegen die Staatsgewalt werden, wenn eine dreimonatige Freiheitsstrafe
erkannt wird, als obligatorische und bei geringfügiger" Bestrafungen als
fakultative Voraussetzung der Versagung des Wandergewerbescheins hingestellt.
Wird heute wegen gewisser Vergehen (H 57 b Abs. 2 der R.-G.-O.) eine Freiheits¬
strafe von sechs Wochen erkannt, so kann nach geltendem Rechte dem Be¬
straften der Wandergewerbeschein versagt werden; in Zukunft soll dazu schon
eine aus deu gleichen Gründen erkannte einwvchige Strafe genügen. Und
während jetzt drei Jahre seit Verbüßung einer solchen Strafe verflossen sein
müssen, ehe der Waudergewerbeschein einem derart bestraften Bewerber wieder
erteilt werden kann, sollen in Zukunft fünf "Vußjcihre" erforderlich sein. Diese
neuen Bestimmungen werden die Zahl der Hciusirer wohl nicht viel herab¬
setzen, sie haben also im wesentlichen eine sicherheitspolizeiliche Bedeutung.
Im übrigen läßt sich wohl nichts dagegen einwenden. Ferner soll die
Ortspolizcibehvrde berechtigt werden, schulpflichtigen Kindern das Feilbieten


Das Wandergewerbe

sagt oder Beschränkungen unterworfen werden können. Für das Handels¬
gewerbe füllt hierbei uur das eine ab, daß künftighin Schmucksachen, Bijouterien,
Brillen und optische Instrumente nicht mehr im Hausirhandel vertrieben werden
sollen. Die Gegner des ambulanten Handels verlangen eine wesentlich umfang-
reichere Hcmsirverbotsliste und erwarten vor allem den Ausschluß von Putz-
wareu, Leinensachen, Tuch, Strickgarn, wollnen und halbwollnen Sachen, neuen
Kleidungsstücken, neuem Schuhzeug, Kolonialwaren, Cigarren und andern
Dingen. Gerade bei dem Hausirhandel mit diesen Gegenständen sei das
Publikum in der Regel nicht vor Schaden geschützt, und habe einmal ein
Hciusirer mit dem bekannten Aufwand von Beredsamkeit und Zudringlichkeit
einen Bezirk mit Ramschware versorgt, so bleibe dem soliden Kaufmann auf
lange Zeit das Nachsehen. Die Berechtigung dieser Klagen ist im allgemeinen
nicht zu bestreiten, erfüllt man aber alle hieraus abgeleiteten Forderungen, so
schlägt man so ziemlich den ganzen Hausirhandel tot, und daun bedarf es
auch weiter keiner gesetzlichen Bestimmungen über dessen Betrieb mehr.

Der Wandcrgewerbeschein war bisher in der Regel dem Minderjährigen
(unter 21 Jahren) zu versagen; indem man jetzt von der gewiß zutreffenden
Voraussetzung ausgeht, daß das Wandergewerbe der gesunden leistungsfähigen
Jugend keine volle Ausnutzung ihrer Kräfte gewährt, und daß es den jungen
Menschen leicht auf die Vagabundenbahn lockt, will man die Altersgrenze,
bis zu der der Wandergewerbeschein in der Regel zu versagen ist, auf das
fünfundzwanzigste Lebensjahr hinausschieben. Dem weiblichen Geschlecht den
Hausirbetrieb zu untersagen, lehnt die Regierung vorläufig ab, „da," wie in
der Begründung gesagt wird, „eine solche Maßregel über das Bedürfnis
hinausgeht (?) und in vielen Fällen geradezu schädlich wirken würde."

Die Vorlage erweitert sodann den Kreis der Vergehen, die die Versagung
des Waudergewerbescheins zur Folge haben. Hausfriedensbruch und Wider¬
stand gegen die Staatsgewalt werden, wenn eine dreimonatige Freiheitsstrafe
erkannt wird, als obligatorische und bei geringfügiger» Bestrafungen als
fakultative Voraussetzung der Versagung des Wandergewerbescheins hingestellt.
Wird heute wegen gewisser Vergehen (H 57 b Abs. 2 der R.-G.-O.) eine Freiheits¬
strafe von sechs Wochen erkannt, so kann nach geltendem Rechte dem Be¬
straften der Wandergewerbeschein versagt werden; in Zukunft soll dazu schon
eine aus deu gleichen Gründen erkannte einwvchige Strafe genügen. Und
während jetzt drei Jahre seit Verbüßung einer solchen Strafe verflossen sein
müssen, ehe der Waudergewerbeschein einem derart bestraften Bewerber wieder
erteilt werden kann, sollen in Zukunft fünf „Vußjcihre" erforderlich sein. Diese
neuen Bestimmungen werden die Zahl der Hciusirer wohl nicht viel herab¬
setzen, sie haben also im wesentlichen eine sicherheitspolizeiliche Bedeutung.
Im übrigen läßt sich wohl nichts dagegen einwenden. Ferner soll die
Ortspolizcibehvrde berechtigt werden, schulpflichtigen Kindern das Feilbieten


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[0624] Das Wandergewerbe sagt oder Beschränkungen unterworfen werden können. Für das Handels¬ gewerbe füllt hierbei uur das eine ab, daß künftighin Schmucksachen, Bijouterien, Brillen und optische Instrumente nicht mehr im Hausirhandel vertrieben werden sollen. Die Gegner des ambulanten Handels verlangen eine wesentlich umfang- reichere Hcmsirverbotsliste und erwarten vor allem den Ausschluß von Putz- wareu, Leinensachen, Tuch, Strickgarn, wollnen und halbwollnen Sachen, neuen Kleidungsstücken, neuem Schuhzeug, Kolonialwaren, Cigarren und andern Dingen. Gerade bei dem Hausirhandel mit diesen Gegenständen sei das Publikum in der Regel nicht vor Schaden geschützt, und habe einmal ein Hciusirer mit dem bekannten Aufwand von Beredsamkeit und Zudringlichkeit einen Bezirk mit Ramschware versorgt, so bleibe dem soliden Kaufmann auf lange Zeit das Nachsehen. Die Berechtigung dieser Klagen ist im allgemeinen nicht zu bestreiten, erfüllt man aber alle hieraus abgeleiteten Forderungen, so schlägt man so ziemlich den ganzen Hausirhandel tot, und daun bedarf es auch weiter keiner gesetzlichen Bestimmungen über dessen Betrieb mehr. Der Wandcrgewerbeschein war bisher in der Regel dem Minderjährigen (unter 21 Jahren) zu versagen; indem man jetzt von der gewiß zutreffenden Voraussetzung ausgeht, daß das Wandergewerbe der gesunden leistungsfähigen Jugend keine volle Ausnutzung ihrer Kräfte gewährt, und daß es den jungen Menschen leicht auf die Vagabundenbahn lockt, will man die Altersgrenze, bis zu der der Wandergewerbeschein in der Regel zu versagen ist, auf das fünfundzwanzigste Lebensjahr hinausschieben. Dem weiblichen Geschlecht den Hausirbetrieb zu untersagen, lehnt die Regierung vorläufig ab, „da," wie in der Begründung gesagt wird, „eine solche Maßregel über das Bedürfnis hinausgeht (?) und in vielen Fällen geradezu schädlich wirken würde." Die Vorlage erweitert sodann den Kreis der Vergehen, die die Versagung des Waudergewerbescheins zur Folge haben. Hausfriedensbruch und Wider¬ stand gegen die Staatsgewalt werden, wenn eine dreimonatige Freiheitsstrafe erkannt wird, als obligatorische und bei geringfügiger» Bestrafungen als fakultative Voraussetzung der Versagung des Wandergewerbescheins hingestellt. Wird heute wegen gewisser Vergehen (H 57 b Abs. 2 der R.-G.-O.) eine Freiheits¬ strafe von sechs Wochen erkannt, so kann nach geltendem Rechte dem Be¬ straften der Wandergewerbeschein versagt werden; in Zukunft soll dazu schon eine aus deu gleichen Gründen erkannte einwvchige Strafe genügen. Und während jetzt drei Jahre seit Verbüßung einer solchen Strafe verflossen sein müssen, ehe der Waudergewerbeschein einem derart bestraften Bewerber wieder erteilt werden kann, sollen in Zukunft fünf „Vußjcihre" erforderlich sein. Diese neuen Bestimmungen werden die Zahl der Hciusirer wohl nicht viel herab¬ setzen, sie haben also im wesentlichen eine sicherheitspolizeiliche Bedeutung. Im übrigen läßt sich wohl nichts dagegen einwenden. Ferner soll die Ortspolizcibehvrde berechtigt werden, schulpflichtigen Kindern das Feilbieten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/624>, abgerufen am 25.08.2024.