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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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zur Sohle, in dem entscheidenden Augenblicke, wo, den meisten noch unmerk-
lich, die einseitig soziale Auffassung des Staats in den Vordergrund zu drängen
begann, zweierlei vollbrachte: die Rettung des preußischen Königtums, der
wahren Monarchie, die keine andre Verpflichtung anerkennt als des Volkes
Wohlfahrt und doch keine andre Verantwortung als die gegen Gott, und die
sich deshalb mit Recht von Gottes Gnaden nennt, die Rettung dieses König¬
tums vor der Verfälschung in eine parlamentarische Monarchie, und zugleich
die Einigung der deutschen Staaten im deutschen Reiche unter diesem König¬
tum von Gottes Gnaden und durch dieses Königtum. Damit aber rettete
er die deutsche Nation vor dem politischen und wirtschaftlichen Untergänge.
Stünden wir noch unter der Herrschaft des durchlauchtigsten Deutschen Bundes,
so würden wir in diesem Zeitalter der härtesten Machtkämpfe verloren sein
und der Gefahr, teils von Frankreich, teils von Rußland abhängig zu werden,
unfehlbar erliegen oder vielmehr längst erlegen sein. Aber noch mehr: in den
hochgespannter Wettbewerb der Kulturvölker um die wirtschaftliche Existenz,
um die Herrschaft der Meere und der fremden Weltteile, der heute das Interesse
immer mehr in Anspruch nimmt, hätte Deutschland überhaupt gar nicht ein¬
treten können, denn es besäße keine Flotte, deren entscheidende Bedeutung
manche immer noch nicht begreifen können, unser überseeischer Handel, jetzt
dem Range nach der zweite in Europa und der dritte überhaupt, entbehrte
jedes Schutzes, und wir besäßen jenseits des Meeres nicht einmal den be¬
scheidnen Anteil am Kvlonialgebiet, den uus Fürst Bismarcks Thatkraft und
Scharfblick noch in zwölfter Stunde gesichert hat, allem Unverstand daheim und
allem Neide Englands zum Trotz. Und das alles, während unsre wachsende
Bevölkerung dringend neuer Arbeitsgelegenheit und neuen Bodens bedars, den
sie in Europa ohne unabsehbare Katastrophen nicht mehr erwerben kann, und
während die Frage gestellt wurde, ob das deutsche Volkstum, eines der kvloni-
sativnskräftigsten der Erde, auch ferner nur als Völkerdünger dienen soll, oder
ob es für sich und seine Kultur den Anteil an der Herrschaft der Welt ge¬
winnen soll, dessen es bedarf, und auf den es ein Recht hat, ein Recht, das
ihm ein langes politisches Siechtum nur allzu sehr schon verkümmert hat. So
war die Begründung des deutschen Reichs nicht bloß eine politische, sondern
auch die größte soziale That Fürst Bismarcks.

Und wenn er nun das preußische Königtum neu befestigte und damit zu¬
gleich eine neue Zeit anbahnte für die deutsche Monarchie überhaupt, wenn
er die vor dreißig Jahren weit verbreitete Anschauung, diese Monarchie habe
keine andre Aufgabe mehr als sich allmählich auszuleben und eines schmerzlosen
Todes zu sterben, durch Thaten siegreich niederschlug, so hat er die Macht ge¬
sichert, die allein imstande ist, zu thun, was gethan werden muß, um die wirt¬
schaftlich Schwachen vor der rücksichtslosen Ausbeutung der wirtschaftlich
Starken zu schützen, um den sonst unvermeidlichen Folgen der neuen Technik und


zur Sohle, in dem entscheidenden Augenblicke, wo, den meisten noch unmerk-
lich, die einseitig soziale Auffassung des Staats in den Vordergrund zu drängen
begann, zweierlei vollbrachte: die Rettung des preußischen Königtums, der
wahren Monarchie, die keine andre Verpflichtung anerkennt als des Volkes
Wohlfahrt und doch keine andre Verantwortung als die gegen Gott, und die
sich deshalb mit Recht von Gottes Gnaden nennt, die Rettung dieses König¬
tums vor der Verfälschung in eine parlamentarische Monarchie, und zugleich
die Einigung der deutschen Staaten im deutschen Reiche unter diesem König¬
tum von Gottes Gnaden und durch dieses Königtum. Damit aber rettete
er die deutsche Nation vor dem politischen und wirtschaftlichen Untergänge.
Stünden wir noch unter der Herrschaft des durchlauchtigsten Deutschen Bundes,
so würden wir in diesem Zeitalter der härtesten Machtkämpfe verloren sein
und der Gefahr, teils von Frankreich, teils von Rußland abhängig zu werden,
unfehlbar erliegen oder vielmehr längst erlegen sein. Aber noch mehr: in den
hochgespannter Wettbewerb der Kulturvölker um die wirtschaftliche Existenz,
um die Herrschaft der Meere und der fremden Weltteile, der heute das Interesse
immer mehr in Anspruch nimmt, hätte Deutschland überhaupt gar nicht ein¬
treten können, denn es besäße keine Flotte, deren entscheidende Bedeutung
manche immer noch nicht begreifen können, unser überseeischer Handel, jetzt
dem Range nach der zweite in Europa und der dritte überhaupt, entbehrte
jedes Schutzes, und wir besäßen jenseits des Meeres nicht einmal den be¬
scheidnen Anteil am Kvlonialgebiet, den uus Fürst Bismarcks Thatkraft und
Scharfblick noch in zwölfter Stunde gesichert hat, allem Unverstand daheim und
allem Neide Englands zum Trotz. Und das alles, während unsre wachsende
Bevölkerung dringend neuer Arbeitsgelegenheit und neuen Bodens bedars, den
sie in Europa ohne unabsehbare Katastrophen nicht mehr erwerben kann, und
während die Frage gestellt wurde, ob das deutsche Volkstum, eines der kvloni-
sativnskräftigsten der Erde, auch ferner nur als Völkerdünger dienen soll, oder
ob es für sich und seine Kultur den Anteil an der Herrschaft der Welt ge¬
winnen soll, dessen es bedarf, und auf den es ein Recht hat, ein Recht, das
ihm ein langes politisches Siechtum nur allzu sehr schon verkümmert hat. So
war die Begründung des deutschen Reichs nicht bloß eine politische, sondern
auch die größte soziale That Fürst Bismarcks.

Und wenn er nun das preußische Königtum neu befestigte und damit zu¬
gleich eine neue Zeit anbahnte für die deutsche Monarchie überhaupt, wenn
er die vor dreißig Jahren weit verbreitete Anschauung, diese Monarchie habe
keine andre Aufgabe mehr als sich allmählich auszuleben und eines schmerzlosen
Todes zu sterben, durch Thaten siegreich niederschlug, so hat er die Macht ge¬
sichert, die allein imstande ist, zu thun, was gethan werden muß, um die wirt¬
schaftlich Schwachen vor der rücksichtslosen Ausbeutung der wirtschaftlich
Starken zu schützen, um den sonst unvermeidlichen Folgen der neuen Technik und


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[0619] zur Sohle, in dem entscheidenden Augenblicke, wo, den meisten noch unmerk- lich, die einseitig soziale Auffassung des Staats in den Vordergrund zu drängen begann, zweierlei vollbrachte: die Rettung des preußischen Königtums, der wahren Monarchie, die keine andre Verpflichtung anerkennt als des Volkes Wohlfahrt und doch keine andre Verantwortung als die gegen Gott, und die sich deshalb mit Recht von Gottes Gnaden nennt, die Rettung dieses König¬ tums vor der Verfälschung in eine parlamentarische Monarchie, und zugleich die Einigung der deutschen Staaten im deutschen Reiche unter diesem König¬ tum von Gottes Gnaden und durch dieses Königtum. Damit aber rettete er die deutsche Nation vor dem politischen und wirtschaftlichen Untergänge. Stünden wir noch unter der Herrschaft des durchlauchtigsten Deutschen Bundes, so würden wir in diesem Zeitalter der härtesten Machtkämpfe verloren sein und der Gefahr, teils von Frankreich, teils von Rußland abhängig zu werden, unfehlbar erliegen oder vielmehr längst erlegen sein. Aber noch mehr: in den hochgespannter Wettbewerb der Kulturvölker um die wirtschaftliche Existenz, um die Herrschaft der Meere und der fremden Weltteile, der heute das Interesse immer mehr in Anspruch nimmt, hätte Deutschland überhaupt gar nicht ein¬ treten können, denn es besäße keine Flotte, deren entscheidende Bedeutung manche immer noch nicht begreifen können, unser überseeischer Handel, jetzt dem Range nach der zweite in Europa und der dritte überhaupt, entbehrte jedes Schutzes, und wir besäßen jenseits des Meeres nicht einmal den be¬ scheidnen Anteil am Kvlonialgebiet, den uus Fürst Bismarcks Thatkraft und Scharfblick noch in zwölfter Stunde gesichert hat, allem Unverstand daheim und allem Neide Englands zum Trotz. Und das alles, während unsre wachsende Bevölkerung dringend neuer Arbeitsgelegenheit und neuen Bodens bedars, den sie in Europa ohne unabsehbare Katastrophen nicht mehr erwerben kann, und während die Frage gestellt wurde, ob das deutsche Volkstum, eines der kvloni- sativnskräftigsten der Erde, auch ferner nur als Völkerdünger dienen soll, oder ob es für sich und seine Kultur den Anteil an der Herrschaft der Welt ge¬ winnen soll, dessen es bedarf, und auf den es ein Recht hat, ein Recht, das ihm ein langes politisches Siechtum nur allzu sehr schon verkümmert hat. So war die Begründung des deutschen Reichs nicht bloß eine politische, sondern auch die größte soziale That Fürst Bismarcks. Und wenn er nun das preußische Königtum neu befestigte und damit zu¬ gleich eine neue Zeit anbahnte für die deutsche Monarchie überhaupt, wenn er die vor dreißig Jahren weit verbreitete Anschauung, diese Monarchie habe keine andre Aufgabe mehr als sich allmählich auszuleben und eines schmerzlosen Todes zu sterben, durch Thaten siegreich niederschlug, so hat er die Macht ge¬ sichert, die allein imstande ist, zu thun, was gethan werden muß, um die wirt¬ schaftlich Schwachen vor der rücksichtslosen Ausbeutung der wirtschaftlich Starken zu schützen, um den sonst unvermeidlichen Folgen der neuen Technik und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/619>, abgerufen am 25.08.2024.