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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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fahrenden Schüler. Dnsselbe aber wird Schulpfaffe meinen: den fahrenden
Kleriker, der noch auf Schulen lernt. Daß auch Fuchs dasselbe meint, läßt
sich aus der Natur des Fuchses wenigstens wahrscheinlich machen. Der Fuchs
ist ein streifender listiger Räuber, der es besonders auf die Gänse des Bauern
abgesehen hat: der schweifende Bachant ist der Todfeind des Bauern, den er
mit vorgeschwindelter Gelehrsamkeit an der Nase herumführt, und auch er hat
es hauptsächlich auf die Gänse des Bauern abgesehen, das weiß jeder, der
sich einmal an Thomas Platters naiver Lebensbeschreibung erquickt hat. Also:
Bach an t und Schulpfaffe und Fuchs bezeichnen wohl, wie es ja von vorn¬
herein wahrscheinlich war, dieselbe Sorte von Gesellen. Wenn es gelänge,
den Fuchs am Ende gar auch schon als Bezeichnung für den Vaganten der
Stauferzeit nachzuweisen!

Unter Friedrichs I. Regierung ist der deutsche Klerus lange Zeit in zwei
Parteien gespalten gewesen. Die eine war von glühendem Haß gegen Rom
erfüllt, das Ziel der andern war der Friede zwischen Kaiser und Papst. An
der Spitze jener hat ungefähr ein Jahrzehnt der kühne Reinald von Dassel
gestanden, als Mittelpunkt dieser erscheint schließlich Erzbischof Wichmann von
Magdeburg. Auch die dichtenden Kleriker nahmen Partei. Auf Neinalds
Seite werden die guten Verse gemacht, hier schlägt der ErzPoet in scharfen
Rhythmen und blinkenden Reimen drein, seine Straflieder gegen die tobende,
geldverschlingeude See Rom mit der charhbdischen Papstkanzlei, den scylla¬
artigen Hunden von Advokaten der Kurie, den Sirencnmienen, den Kardinal¬
piraten erinnern an Luthers enttäuschungsvolle Berichte über Rom. Den
leidenschaftlichem, begabten Vaganten stehen die Versemacher im Dienste Wich¬
manns gegenüber, ruhige Klosterinsassen, Verächter der klosterbestehlenden
und klvsteranbettelnden Fahrenden. Diese Partei feiert natürlich den von ihr
erstrebten Frieden des Jahres 1177, und siehe da: den Schluß der hoch¬
tönenden, schwerfälligen Phrasen eines solchen Triumphgesanges bilden ein
paar Worte persönlicher Schadenfreude, daß nun auch jene Schlange, die das
Gift der Feindschaft gesät habe, und die M88or"zö und die vulxss vom Straf¬
gericht ereilt worden seien! Ob mit der Schlange der ErzPoet gemeint ist,
wer will es sagen? Sicher aber find auch die vulxes und Msserss keine wirk¬
lichen Füchse und Sperlinge, sondern Gesellen, die sich so schimpfen lassen
mußten: Vaganten. Haben denn aber die Fahrenden irgend wann und wo
auch Sperlinge geheißen? O ja, nur daß man damals in Deutschland nicht
Sperlinge, sondern Spervögel sagte: wenigstens zwei solche Spervögel, von
denen der ältere Herger hieß, kennen wir aus den großen mittelhochdeutschen
Minnesingerhandschriften.



*) Kann ein Vogelname besser auf den Fahrenden passen als der des Sperlings? Beide
sind Lumpen, Allerweltsspitzbuben, beide leben gesellig, beide haben wenig Talent zum Nestbau,

fahrenden Schüler. Dnsselbe aber wird Schulpfaffe meinen: den fahrenden
Kleriker, der noch auf Schulen lernt. Daß auch Fuchs dasselbe meint, läßt
sich aus der Natur des Fuchses wenigstens wahrscheinlich machen. Der Fuchs
ist ein streifender listiger Räuber, der es besonders auf die Gänse des Bauern
abgesehen hat: der schweifende Bachant ist der Todfeind des Bauern, den er
mit vorgeschwindelter Gelehrsamkeit an der Nase herumführt, und auch er hat
es hauptsächlich auf die Gänse des Bauern abgesehen, das weiß jeder, der
sich einmal an Thomas Platters naiver Lebensbeschreibung erquickt hat. Also:
Bach an t und Schulpfaffe und Fuchs bezeichnen wohl, wie es ja von vorn¬
herein wahrscheinlich war, dieselbe Sorte von Gesellen. Wenn es gelänge,
den Fuchs am Ende gar auch schon als Bezeichnung für den Vaganten der
Stauferzeit nachzuweisen!

Unter Friedrichs I. Regierung ist der deutsche Klerus lange Zeit in zwei
Parteien gespalten gewesen. Die eine war von glühendem Haß gegen Rom
erfüllt, das Ziel der andern war der Friede zwischen Kaiser und Papst. An
der Spitze jener hat ungefähr ein Jahrzehnt der kühne Reinald von Dassel
gestanden, als Mittelpunkt dieser erscheint schließlich Erzbischof Wichmann von
Magdeburg. Auch die dichtenden Kleriker nahmen Partei. Auf Neinalds
Seite werden die guten Verse gemacht, hier schlägt der ErzPoet in scharfen
Rhythmen und blinkenden Reimen drein, seine Straflieder gegen die tobende,
geldverschlingeude See Rom mit der charhbdischen Papstkanzlei, den scylla¬
artigen Hunden von Advokaten der Kurie, den Sirencnmienen, den Kardinal¬
piraten erinnern an Luthers enttäuschungsvolle Berichte über Rom. Den
leidenschaftlichem, begabten Vaganten stehen die Versemacher im Dienste Wich¬
manns gegenüber, ruhige Klosterinsassen, Verächter der klosterbestehlenden
und klvsteranbettelnden Fahrenden. Diese Partei feiert natürlich den von ihr
erstrebten Frieden des Jahres 1177, und siehe da: den Schluß der hoch¬
tönenden, schwerfälligen Phrasen eines solchen Triumphgesanges bilden ein
paar Worte persönlicher Schadenfreude, daß nun auch jene Schlange, die das
Gift der Feindschaft gesät habe, und die M88or«zö und die vulxss vom Straf¬
gericht ereilt worden seien! Ob mit der Schlange der ErzPoet gemeint ist,
wer will es sagen? Sicher aber find auch die vulxes und Msserss keine wirk¬
lichen Füchse und Sperlinge, sondern Gesellen, die sich so schimpfen lassen
mußten: Vaganten. Haben denn aber die Fahrenden irgend wann und wo
auch Sperlinge geheißen? O ja, nur daß man damals in Deutschland nicht
Sperlinge, sondern Spervögel sagte: wenigstens zwei solche Spervögel, von
denen der ältere Herger hieß, kennen wir aus den großen mittelhochdeutschen
Minnesingerhandschriften.



*) Kann ein Vogelname besser auf den Fahrenden passen als der des Sperlings? Beide
sind Lumpen, Allerweltsspitzbuben, beide leben gesellig, beide haben wenig Talent zum Nestbau,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/593>, abgerufen am 25.08.2024.