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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Römer in der Dobrüdscha

Wie stark die militärische Stellung Roms in der Dobrüdscha seit dem
Dakerkriege Trajans war, geht am klarsten aus der Anzahl der Standlager
hervor, die man auf der 60 Kilometer langen Strecke von Tschernavoda nach
Küstendsche entdeckt und ausgemessen hat. Es liegen nämlich hinter dem höhern
Erdwall in Zwischenrüumen von je einem Kilometer 26 größere und 23 kleinere,
hinter dem Steinwall 26 Standlager, also im ganzen 75 Lager. Man muß damit
vergleichen, daß der ganze obergermanisch-rhätische Limes von Rheinbrohl bis
zur Donau nur 77 Kastelle und beispielsweise auf der 237 Kilometer langen
Strecke vom Rhein um den Taunus herum bis zum Main nur 31, also auf
60 Kilometer durchschnittlich nur 7 oder 8 Kastelle, den zehnten Teil der für diese
Strecke in der Dobrüdscha gebauten, hatte: seit Trajan war eben der mili¬
tärische Schwerpunkt des Römerreichs vom Rhein an die untere Donau
verlegt worden.

Aber weder die Sperrlinien und Kastelle, noch die unter Konstantin wieder
aufgebauten Städte des Grenzbezirks vermochten auf die Dauer die wildflutenden
Völkerwellen der jugendfrischem Germanen von den römischen Provinzen abzu¬
halten, in denen schon seit Jahrhunderten kaum noch eine römische Faust die
Pflugschar oder das Schwert führte; nachdem die "entnervten Enkel des
Romulus" deu Ackerbau und den Kriegsdienst und schließlich auch die Ver¬
waltung des Staats ans der Hand gegeben hatten, war der Untergang der
römischen Herrschaft und ihrer Kultur besiegelt, auch wenn die sogenannte
"große Völkerwanderung" diesen Auflösungsprozeß nicht beschleunigt hätte.
Wie oft werden im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts die trotzigen
Scharen der Goten und dann im fünften Jahrhundert andre Barbarenhaufen
hohnlachend an dein stolzen Denkmal des Trajan vorüber nach Moslem und
Thrazien ins Herz des Östreichs gezogen sein! Und doch ist es nicht wahr¬
scheinlich, daß Menschenhand den Steinkoloß von seiner unnahbaren Höhe
stürzte und den wie für die Ewigkeit gefügten Steinmautel des Turmes zerriß.
Er muß bis in die Türkeuzeit hinein seinen Reliefschmnck gehabt haben, wie
die türkische Benennung "Menschenkirche" beweist. Vielleicht hat einmal ein
Erdbeben das Zerstörungswerk begonnen. Es war ein Glück für die Trümmer,
daß die Dobrüdscha uach der Römerzeit nie wieder eine städtische Kultur oder
auch nur die Kultur von Steinbauten erlebte, sonst wären die wertvollen
Architekturstücke und Neliefplatten längst in Häuser und andre Bauwerke ver¬
mauert worden. So ließen sich von den 54 Metopen 50 wieder zusammen¬
bringen, und auch von der übrigen Stciubekleidung des Denkmals wurden so
große Teile wieder gesammelt, daß in der Rekonstruktion Niemanns nirgends die
Phantasie eine Rolle zu spielen braucht, sondern alles auf streng wissenschaft¬
licher Messung, Berechnung und Ergänzung beruht. So ist diese Rekonstruktion
uicht nur wegen ihres schönen Ergebnisses, sondern auch methodisch eine Muster¬
leistung zu nennen. Schon jetzt steht ein Gipsmodell davon in der Akademie


Die Römer in der Dobrüdscha

Wie stark die militärische Stellung Roms in der Dobrüdscha seit dem
Dakerkriege Trajans war, geht am klarsten aus der Anzahl der Standlager
hervor, die man auf der 60 Kilometer langen Strecke von Tschernavoda nach
Küstendsche entdeckt und ausgemessen hat. Es liegen nämlich hinter dem höhern
Erdwall in Zwischenrüumen von je einem Kilometer 26 größere und 23 kleinere,
hinter dem Steinwall 26 Standlager, also im ganzen 75 Lager. Man muß damit
vergleichen, daß der ganze obergermanisch-rhätische Limes von Rheinbrohl bis
zur Donau nur 77 Kastelle und beispielsweise auf der 237 Kilometer langen
Strecke vom Rhein um den Taunus herum bis zum Main nur 31, also auf
60 Kilometer durchschnittlich nur 7 oder 8 Kastelle, den zehnten Teil der für diese
Strecke in der Dobrüdscha gebauten, hatte: seit Trajan war eben der mili¬
tärische Schwerpunkt des Römerreichs vom Rhein an die untere Donau
verlegt worden.

Aber weder die Sperrlinien und Kastelle, noch die unter Konstantin wieder
aufgebauten Städte des Grenzbezirks vermochten auf die Dauer die wildflutenden
Völkerwellen der jugendfrischem Germanen von den römischen Provinzen abzu¬
halten, in denen schon seit Jahrhunderten kaum noch eine römische Faust die
Pflugschar oder das Schwert führte; nachdem die „entnervten Enkel des
Romulus" deu Ackerbau und den Kriegsdienst und schließlich auch die Ver¬
waltung des Staats ans der Hand gegeben hatten, war der Untergang der
römischen Herrschaft und ihrer Kultur besiegelt, auch wenn die sogenannte
„große Völkerwanderung" diesen Auflösungsprozeß nicht beschleunigt hätte.
Wie oft werden im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts die trotzigen
Scharen der Goten und dann im fünften Jahrhundert andre Barbarenhaufen
hohnlachend an dein stolzen Denkmal des Trajan vorüber nach Moslem und
Thrazien ins Herz des Östreichs gezogen sein! Und doch ist es nicht wahr¬
scheinlich, daß Menschenhand den Steinkoloß von seiner unnahbaren Höhe
stürzte und den wie für die Ewigkeit gefügten Steinmautel des Turmes zerriß.
Er muß bis in die Türkeuzeit hinein seinen Reliefschmnck gehabt haben, wie
die türkische Benennung „Menschenkirche" beweist. Vielleicht hat einmal ein
Erdbeben das Zerstörungswerk begonnen. Es war ein Glück für die Trümmer,
daß die Dobrüdscha uach der Römerzeit nie wieder eine städtische Kultur oder
auch nur die Kultur von Steinbauten erlebte, sonst wären die wertvollen
Architekturstücke und Neliefplatten längst in Häuser und andre Bauwerke ver¬
mauert worden. So ließen sich von den 54 Metopen 50 wieder zusammen¬
bringen, und auch von der übrigen Stciubekleidung des Denkmals wurden so
große Teile wieder gesammelt, daß in der Rekonstruktion Niemanns nirgends die
Phantasie eine Rolle zu spielen braucht, sondern alles auf streng wissenschaft¬
licher Messung, Berechnung und Ergänzung beruht. So ist diese Rekonstruktion
uicht nur wegen ihres schönen Ergebnisses, sondern auch methodisch eine Muster¬
leistung zu nennen. Schon jetzt steht ein Gipsmodell davon in der Akademie


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[0587] Die Römer in der Dobrüdscha Wie stark die militärische Stellung Roms in der Dobrüdscha seit dem Dakerkriege Trajans war, geht am klarsten aus der Anzahl der Standlager hervor, die man auf der 60 Kilometer langen Strecke von Tschernavoda nach Küstendsche entdeckt und ausgemessen hat. Es liegen nämlich hinter dem höhern Erdwall in Zwischenrüumen von je einem Kilometer 26 größere und 23 kleinere, hinter dem Steinwall 26 Standlager, also im ganzen 75 Lager. Man muß damit vergleichen, daß der ganze obergermanisch-rhätische Limes von Rheinbrohl bis zur Donau nur 77 Kastelle und beispielsweise auf der 237 Kilometer langen Strecke vom Rhein um den Taunus herum bis zum Main nur 31, also auf 60 Kilometer durchschnittlich nur 7 oder 8 Kastelle, den zehnten Teil der für diese Strecke in der Dobrüdscha gebauten, hatte: seit Trajan war eben der mili¬ tärische Schwerpunkt des Römerreichs vom Rhein an die untere Donau verlegt worden. Aber weder die Sperrlinien und Kastelle, noch die unter Konstantin wieder aufgebauten Städte des Grenzbezirks vermochten auf die Dauer die wildflutenden Völkerwellen der jugendfrischem Germanen von den römischen Provinzen abzu¬ halten, in denen schon seit Jahrhunderten kaum noch eine römische Faust die Pflugschar oder das Schwert führte; nachdem die „entnervten Enkel des Romulus" deu Ackerbau und den Kriegsdienst und schließlich auch die Ver¬ waltung des Staats ans der Hand gegeben hatten, war der Untergang der römischen Herrschaft und ihrer Kultur besiegelt, auch wenn die sogenannte „große Völkerwanderung" diesen Auflösungsprozeß nicht beschleunigt hätte. Wie oft werden im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts die trotzigen Scharen der Goten und dann im fünften Jahrhundert andre Barbarenhaufen hohnlachend an dein stolzen Denkmal des Trajan vorüber nach Moslem und Thrazien ins Herz des Östreichs gezogen sein! Und doch ist es nicht wahr¬ scheinlich, daß Menschenhand den Steinkoloß von seiner unnahbaren Höhe stürzte und den wie für die Ewigkeit gefügten Steinmautel des Turmes zerriß. Er muß bis in die Türkeuzeit hinein seinen Reliefschmnck gehabt haben, wie die türkische Benennung „Menschenkirche" beweist. Vielleicht hat einmal ein Erdbeben das Zerstörungswerk begonnen. Es war ein Glück für die Trümmer, daß die Dobrüdscha uach der Römerzeit nie wieder eine städtische Kultur oder auch nur die Kultur von Steinbauten erlebte, sonst wären die wertvollen Architekturstücke und Neliefplatten längst in Häuser und andre Bauwerke ver¬ mauert worden. So ließen sich von den 54 Metopen 50 wieder zusammen¬ bringen, und auch von der übrigen Stciubekleidung des Denkmals wurden so große Teile wieder gesammelt, daß in der Rekonstruktion Niemanns nirgends die Phantasie eine Rolle zu spielen braucht, sondern alles auf streng wissenschaft¬ licher Messung, Berechnung und Ergänzung beruht. So ist diese Rekonstruktion uicht nur wegen ihres schönen Ergebnisses, sondern auch methodisch eine Muster¬ leistung zu nennen. Schon jetzt steht ein Gipsmodell davon in der Akademie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/587>, abgerufen am 23.07.2024.