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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die öffentliche Meinung

antimammonistischer Richtung entweder überhaupt nicht aufkommt, oder doch
nach kurzer Zeit eingeht, oder sich nur mit Schwierigkeiten behaupten kann
und nur in seltenen Fällen, und dann sehr langsam, gedeiht.

Vielleicht aber würde die Presse, von der hier die Rede ist, doch nicht in
dem Maße, wie es geschieht, die Herrschaft führen, wenn ihr nicht die Nei¬
gungen des Publikums, und zwar des armen ebenso wie des reichen, mit großer
Enschiedenheit entgegenkämen. "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch
alles!" Die Reichen wollen es behalten und vermehren, die Armen es er¬
langen. So geschieht es, daß auch Blätter mit geringem oder gar keinem
Anlagekapital schnell Verbreitung finden und in kurzer Zeit einen reichen Er¬
trag gewähren, wenn sie nur mit voller Kraft in dem großen, breiten Strome
schwimmen.

Neben der herrschenden Presse wirkt als Miterzeuger der öffentlichen
Meinung, wie gesagt, noch der Redner in der öffentlichen Volksversammlung.
Er tritt bei besondern Veranlassungen, namentlich vor den politischen Wahlen,
in Thätigkeit, wenn es der Agitation der Presse noch nicht vollständig gelungen
ist, eine öffentliche Meinung hervorzuzaubern, oder wenn Zweifel bestehen, ob
dieses Ziel erreicht sei. Übrigens ist er meist selbst ein Herr von der Presse
oder eins ihrer Geschöpfe, von ihrer Milch genährt und ihren Phrasen durch¬
tränkt, und er hat nur die Aufgabe, die extensive Wirkung des gedruckten Worts
durch die intensive zu verstärken, die der Zaubermacht des lebendigen Worts
eigen und um so stärker ist, je mehr die Hilfsmittel der Rhetorik dem Redner
zu Gebote stehen: klangvolle Stimme, rollendes Auge, gebieterische Hand¬
bewegungen und vielleicht dann und wann ein Witz von zweifelhafter Güte.
Das klassische Muster für Reden in der Volksversammlung ist die Ansprache,
die Antonius in Shakespeares Julius Cäsar vor Cäsars Leiche an das Volk
hält. Zwar gebraucht er keine Schlagwörter, die Umstände, uuter denen er
spricht, sind so günstig, daß er das nicht nötig hat; aber indem er in schlauer
Berechnung die Leidenschaften der Volksmenge hervorlockt, zuerst das Mitleid
und zuletzt die Habsucht, zeigt er, wie mans anfangen muß, um öffentliche
Meinung zu machen. Und ein erfahrner Praktiker aus unsrer Zeit, Herr
L. Bamberger, bestätigt das, wenn er sagt: "Für populäre politische Reden,
namentlich für Wahlreden, gilt meiner Erfahrung nach als Hauptregel, und
das möchte ich als Regel den Lernbegieriger empfehlen: nur nicht zu sehr ins
Detail der Dinge eindringen. Wer breite, genaue Sachlichkeit in Volksver¬
sammlungen auseinanderrollt, wird schwerlich Glück machen. Hier gilt es, zu
elektrisiren, und man elektrisirt nur mit allgemeinen Gedanken, die an das
Gefühl appelliren. Ein französischer Republikaner sagte einmal zu mir: in
meinen Kandidatenreden onde ich, wenn ich vor Bauern stehe, noch immer
gegen den Zehnten, den vor hundert Jahren der Adel und die Kirchen er¬
hoben, und warne vor dessen Wiederkehr. Das wirkt noch immer."


Die öffentliche Meinung

antimammonistischer Richtung entweder überhaupt nicht aufkommt, oder doch
nach kurzer Zeit eingeht, oder sich nur mit Schwierigkeiten behaupten kann
und nur in seltenen Fällen, und dann sehr langsam, gedeiht.

Vielleicht aber würde die Presse, von der hier die Rede ist, doch nicht in
dem Maße, wie es geschieht, die Herrschaft führen, wenn ihr nicht die Nei¬
gungen des Publikums, und zwar des armen ebenso wie des reichen, mit großer
Enschiedenheit entgegenkämen. „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch
alles!" Die Reichen wollen es behalten und vermehren, die Armen es er¬
langen. So geschieht es, daß auch Blätter mit geringem oder gar keinem
Anlagekapital schnell Verbreitung finden und in kurzer Zeit einen reichen Er¬
trag gewähren, wenn sie nur mit voller Kraft in dem großen, breiten Strome
schwimmen.

Neben der herrschenden Presse wirkt als Miterzeuger der öffentlichen
Meinung, wie gesagt, noch der Redner in der öffentlichen Volksversammlung.
Er tritt bei besondern Veranlassungen, namentlich vor den politischen Wahlen,
in Thätigkeit, wenn es der Agitation der Presse noch nicht vollständig gelungen
ist, eine öffentliche Meinung hervorzuzaubern, oder wenn Zweifel bestehen, ob
dieses Ziel erreicht sei. Übrigens ist er meist selbst ein Herr von der Presse
oder eins ihrer Geschöpfe, von ihrer Milch genährt und ihren Phrasen durch¬
tränkt, und er hat nur die Aufgabe, die extensive Wirkung des gedruckten Worts
durch die intensive zu verstärken, die der Zaubermacht des lebendigen Worts
eigen und um so stärker ist, je mehr die Hilfsmittel der Rhetorik dem Redner
zu Gebote stehen: klangvolle Stimme, rollendes Auge, gebieterische Hand¬
bewegungen und vielleicht dann und wann ein Witz von zweifelhafter Güte.
Das klassische Muster für Reden in der Volksversammlung ist die Ansprache,
die Antonius in Shakespeares Julius Cäsar vor Cäsars Leiche an das Volk
hält. Zwar gebraucht er keine Schlagwörter, die Umstände, uuter denen er
spricht, sind so günstig, daß er das nicht nötig hat; aber indem er in schlauer
Berechnung die Leidenschaften der Volksmenge hervorlockt, zuerst das Mitleid
und zuletzt die Habsucht, zeigt er, wie mans anfangen muß, um öffentliche
Meinung zu machen. Und ein erfahrner Praktiker aus unsrer Zeit, Herr
L. Bamberger, bestätigt das, wenn er sagt: „Für populäre politische Reden,
namentlich für Wahlreden, gilt meiner Erfahrung nach als Hauptregel, und
das möchte ich als Regel den Lernbegieriger empfehlen: nur nicht zu sehr ins
Detail der Dinge eindringen. Wer breite, genaue Sachlichkeit in Volksver¬
sammlungen auseinanderrollt, wird schwerlich Glück machen. Hier gilt es, zu
elektrisiren, und man elektrisirt nur mit allgemeinen Gedanken, die an das
Gefühl appelliren. Ein französischer Republikaner sagte einmal zu mir: in
meinen Kandidatenreden onde ich, wenn ich vor Bauern stehe, noch immer
gegen den Zehnten, den vor hundert Jahren der Adel und die Kirchen er¬
hoben, und warne vor dessen Wiederkehr. Das wirkt noch immer."


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[0568] Die öffentliche Meinung antimammonistischer Richtung entweder überhaupt nicht aufkommt, oder doch nach kurzer Zeit eingeht, oder sich nur mit Schwierigkeiten behaupten kann und nur in seltenen Fällen, und dann sehr langsam, gedeiht. Vielleicht aber würde die Presse, von der hier die Rede ist, doch nicht in dem Maße, wie es geschieht, die Herrschaft führen, wenn ihr nicht die Nei¬ gungen des Publikums, und zwar des armen ebenso wie des reichen, mit großer Enschiedenheit entgegenkämen. „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles!" Die Reichen wollen es behalten und vermehren, die Armen es er¬ langen. So geschieht es, daß auch Blätter mit geringem oder gar keinem Anlagekapital schnell Verbreitung finden und in kurzer Zeit einen reichen Er¬ trag gewähren, wenn sie nur mit voller Kraft in dem großen, breiten Strome schwimmen. Neben der herrschenden Presse wirkt als Miterzeuger der öffentlichen Meinung, wie gesagt, noch der Redner in der öffentlichen Volksversammlung. Er tritt bei besondern Veranlassungen, namentlich vor den politischen Wahlen, in Thätigkeit, wenn es der Agitation der Presse noch nicht vollständig gelungen ist, eine öffentliche Meinung hervorzuzaubern, oder wenn Zweifel bestehen, ob dieses Ziel erreicht sei. Übrigens ist er meist selbst ein Herr von der Presse oder eins ihrer Geschöpfe, von ihrer Milch genährt und ihren Phrasen durch¬ tränkt, und er hat nur die Aufgabe, die extensive Wirkung des gedruckten Worts durch die intensive zu verstärken, die der Zaubermacht des lebendigen Worts eigen und um so stärker ist, je mehr die Hilfsmittel der Rhetorik dem Redner zu Gebote stehen: klangvolle Stimme, rollendes Auge, gebieterische Hand¬ bewegungen und vielleicht dann und wann ein Witz von zweifelhafter Güte. Das klassische Muster für Reden in der Volksversammlung ist die Ansprache, die Antonius in Shakespeares Julius Cäsar vor Cäsars Leiche an das Volk hält. Zwar gebraucht er keine Schlagwörter, die Umstände, uuter denen er spricht, sind so günstig, daß er das nicht nötig hat; aber indem er in schlauer Berechnung die Leidenschaften der Volksmenge hervorlockt, zuerst das Mitleid und zuletzt die Habsucht, zeigt er, wie mans anfangen muß, um öffentliche Meinung zu machen. Und ein erfahrner Praktiker aus unsrer Zeit, Herr L. Bamberger, bestätigt das, wenn er sagt: „Für populäre politische Reden, namentlich für Wahlreden, gilt meiner Erfahrung nach als Hauptregel, und das möchte ich als Regel den Lernbegieriger empfehlen: nur nicht zu sehr ins Detail der Dinge eindringen. Wer breite, genaue Sachlichkeit in Volksver¬ sammlungen auseinanderrollt, wird schwerlich Glück machen. Hier gilt es, zu elektrisiren, und man elektrisirt nur mit allgemeinen Gedanken, die an das Gefühl appelliren. Ein französischer Republikaner sagte einmal zu mir: in meinen Kandidatenreden onde ich, wenn ich vor Bauern stehe, noch immer gegen den Zehnten, den vor hundert Jahren der Adel und die Kirchen er¬ hoben, und warne vor dessen Wiederkehr. Das wirkt noch immer."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/568>, abgerufen am 23.07.2024.