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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

, Da haben Sie sehr Recht, fiel Dr. Töteberg ein, es würde eine entsetzlich
langweilige Welt werden, wenn die Gleichmacher zur Herrschaft kämen. Man
ist so schon weit genug in der Auflösung gegangen. Für mich kann die Welt
gar nicht bunt genug eingerichtet sein und nicht gebunden genug durch natür¬
liche Gemeinschaften.

Aber die Sache hat doch wohl ihre Grenzen, erwiderte der Rechtsanwalt.
Wenn die Einzelnen zu ihrem Rechte kommen und aus dem Zwange drückender
und zu eng gewordner Einrichtungen befreit werden, sollten Sie doch auch zu¬
frieden sein.

Sehr recht, Herr Notar, antwortete Dr. Töteberg, nur fürchte ich, daß
diese Freien ihre Freiheit uur benutzen werden, sich eineni andern Zwange,
dein des Unternehmertums, der Parteiherrschaft auszuliefern. Doch wir kommen
ja in die hohe Politik.

Das soll nichts schaden, sagte die Stiftsdame, wenn Sie nur die Religion
aus dem Spiele lassen.

Aber die Erlaubnis zur weitern Besprechung des Gegenstandes konnte
nicht benutzt werden, denn ehe man von neuem ausholen konnte, wurde Doktor
Utermöhlcn von dem Mädchen ins Zimmer geleitet. Eine feierliche Meldung
konnte unterbleiben, da man sich an die fast täglichen Besuche des Arztes ge¬
wöhnt hatte. Dieser machte ein sehr ernstes Gesicht und schien fast gar nicht
überrascht, daß er so zahlreichen Besuch vorfand. Die Herren hätten sein
wenig verbindliches Benehmen bei der Vorstellung fast übel nehmen können.
Dr. Töteberg, der ihn schon kannte, flüsterte dem Rechtsanwalt, bei dem er
wohl Sinn für seine Auffassung voraussetzte, zu: Ein Hippokmtes vom Lande!
Doch er ärgerte sich, diese Bemerkung dem ihm doch fremden Mann gegen¬
über gemacht zu haben, als sich herausstellte, wodurch Doktor Utermöhlen in
Anspruch genommen wurde. Er kam, wie er fast widerstrebend mitteilte, ge¬
radeswegs von der schrecklich verstümmelten Leiche eines Knechts, der auf dem
Gutshöfe durch einen wütend gewordnen Stier zu Tode gekommen war. Ich
konnte nichts mehr thun, fügte er seinem Bericht hinzu, da wäre jede Hilfe
zu spät gekommen. Herzzerreißend war nur die junge Frau anzusehen, die
erst vorige Woche einen kleinen Sohn geboren hat. Wie eilig es doch die
Menschen haben, den Unglücklichen solche Nachrichten zu bringen! Anstatt die
Frau vorzubereiten, bringen sie ihr gleich den Mann in diesem Zustande
ins Haus.

Ich werde zu ihr gehen, sagte das junge Mädchen.

Nicht jetzt, fiel der Arzt ein, der Anblick ist nichts für Sie. Wenn Sie
der Frau später beistehen wollen, werden Sie manches zu thun finden. Jetzt
sind Frauen da, die mit ihren festern Nerven für den Augenblick nützlicher
sind, als Sie es sein können.

Ich denke, sagte der junge Pastor, wir werden durch eine bewegliche Dar-


Der Streit der Fakultäten

, Da haben Sie sehr Recht, fiel Dr. Töteberg ein, es würde eine entsetzlich
langweilige Welt werden, wenn die Gleichmacher zur Herrschaft kämen. Man
ist so schon weit genug in der Auflösung gegangen. Für mich kann die Welt
gar nicht bunt genug eingerichtet sein und nicht gebunden genug durch natür¬
liche Gemeinschaften.

Aber die Sache hat doch wohl ihre Grenzen, erwiderte der Rechtsanwalt.
Wenn die Einzelnen zu ihrem Rechte kommen und aus dem Zwange drückender
und zu eng gewordner Einrichtungen befreit werden, sollten Sie doch auch zu¬
frieden sein.

Sehr recht, Herr Notar, antwortete Dr. Töteberg, nur fürchte ich, daß
diese Freien ihre Freiheit uur benutzen werden, sich eineni andern Zwange,
dein des Unternehmertums, der Parteiherrschaft auszuliefern. Doch wir kommen
ja in die hohe Politik.

Das soll nichts schaden, sagte die Stiftsdame, wenn Sie nur die Religion
aus dem Spiele lassen.

Aber die Erlaubnis zur weitern Besprechung des Gegenstandes konnte
nicht benutzt werden, denn ehe man von neuem ausholen konnte, wurde Doktor
Utermöhlcn von dem Mädchen ins Zimmer geleitet. Eine feierliche Meldung
konnte unterbleiben, da man sich an die fast täglichen Besuche des Arztes ge¬
wöhnt hatte. Dieser machte ein sehr ernstes Gesicht und schien fast gar nicht
überrascht, daß er so zahlreichen Besuch vorfand. Die Herren hätten sein
wenig verbindliches Benehmen bei der Vorstellung fast übel nehmen können.
Dr. Töteberg, der ihn schon kannte, flüsterte dem Rechtsanwalt, bei dem er
wohl Sinn für seine Auffassung voraussetzte, zu: Ein Hippokmtes vom Lande!
Doch er ärgerte sich, diese Bemerkung dem ihm doch fremden Mann gegen¬
über gemacht zu haben, als sich herausstellte, wodurch Doktor Utermöhlen in
Anspruch genommen wurde. Er kam, wie er fast widerstrebend mitteilte, ge¬
radeswegs von der schrecklich verstümmelten Leiche eines Knechts, der auf dem
Gutshöfe durch einen wütend gewordnen Stier zu Tode gekommen war. Ich
konnte nichts mehr thun, fügte er seinem Bericht hinzu, da wäre jede Hilfe
zu spät gekommen. Herzzerreißend war nur die junge Frau anzusehen, die
erst vorige Woche einen kleinen Sohn geboren hat. Wie eilig es doch die
Menschen haben, den Unglücklichen solche Nachrichten zu bringen! Anstatt die
Frau vorzubereiten, bringen sie ihr gleich den Mann in diesem Zustande
ins Haus.

Ich werde zu ihr gehen, sagte das junge Mädchen.

Nicht jetzt, fiel der Arzt ein, der Anblick ist nichts für Sie. Wenn Sie
der Frau später beistehen wollen, werden Sie manches zu thun finden. Jetzt
sind Frauen da, die mit ihren festern Nerven für den Augenblick nützlicher
sind, als Sie es sein können.

Ich denke, sagte der junge Pastor, wir werden durch eine bewegliche Dar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/544>, abgerufen am 23.07.2024.