Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Streit der Fakultäten

dame eine kleine Pause machte, an der Kunst können sich auch nur wenige
freuen. Wenn die alten Griechen keine Sklaven gehabt hätten, hätten sich
Perikles und Phidicis, und wie sie alle heißen, auch nicht so künstlerisch be¬
thätigen können. Und in unserm Mittelalter wird es wohl ähnlich gewesen
sein. Aber warum haben Sie denn Ihren Beruf gewählt, wenn er so wenig
einträglich ist?

Du lieber Gott, antwortete Dr. Töteberg, was heißt wählen! Mein
Vater ist ein alter Herr und Professor der Kirchengeschichte mit sieben Kindern.
Ich sollte Theologie studiren. Da ich das nicht wollte, mußte ich mich der
Philologie zuwenden. Lehrer, Probckandidat, Hilfslehrer u. s. w. zu werden,
hatte ich keine Lust, obgleich ich es auf Grund meiner Zeugnisse noch immer
werden kann, und wenn alle Stricke reißen, auch werden muß, im nächsten
Jahrhundert natürlich erst. Da habe ich mich denn auf die Archäologie, vor
allem die mittelalterliche, geworfen. Einige Verbindungen hat man ja Gott
sei Dank, wenn man der Sohn eines Professors ist. Und vorläufig reise ich
in der Provinz herum und sehe, was sich machen läßt. Finde ich etwas
ordentliches, bin ich ein gemachter Mann. Vielleicht ist Marienzelle dazu be¬
stimmt, mein Sprungbret zu werden.

Und dann, fiel Doktor Utermöhlen ein, würde die auf das Schöne ge¬
richtete Lebenshaltung verwirklicht werden?

Wenn Sie durchaus so wollen, ja. Ich habe mich etwas schlimmer ge¬
malt, als ich in Wirklichkeit bin. Glauben Sie mir, wahres Interesse an der
Sache läßt sich doch vereinigen mit Lebensklugheit, oder umgekehrt, der Wunsch,
etwas zu werden oder zu bedeuten, braucht darum noch nicht das Fachinteresse,
durch das man in die Höhe kommt, zweifelhaft zu machen. Wie kommt es
denn zum Beispiel, daß sich der oder jener von Ihren Herren Kollegen
der Psychiatrie oder Bakteriologie als Spezialstudium zuwendet? Meistens
sind es zufällige Anstöße, und darum braucht die Liebe zur Sache nachher
nicht geringer und weniger aufrichtig zu sein.

Sehr schön, Herr Doktor, aber ich fürchte, wir ermüden die Damen durch
diese Doktorfrage. Ich muß als Arzt im Interesse meiner Patientin mir selbst
den Wunsch versagen, die Sache noch weiter zu verfolgen. Vielleicht giebt sich
ein andermal die Gelegenheit dazu, wenn Sie noch länger in der Gegend
verweilen.

Ja, sagte die Stiftsdame, wie denken Sie denn Ihre Sache hier anzu¬
fangen? Wie lange glauben Sie hier zu thun zu haben?

Davon, gnädiges Fräulein, habe ich selbst noch keine rechte Vorstellung.
Wenn es Herr Doktor Utermöhlen erlaubt, werde ich mich ihm nachher an¬
schließen, um ihn nach Bettenbostel, wo ich abzusteigen gedenke, zu begleiten.
Bettenbvstel wird mein Hauptquartier sein.

Wenn ich nicht noch einen Krankenbesuch zu machen hätte, würde ich Ihnen


Der Streit der Fakultäten

dame eine kleine Pause machte, an der Kunst können sich auch nur wenige
freuen. Wenn die alten Griechen keine Sklaven gehabt hätten, hätten sich
Perikles und Phidicis, und wie sie alle heißen, auch nicht so künstlerisch be¬
thätigen können. Und in unserm Mittelalter wird es wohl ähnlich gewesen
sein. Aber warum haben Sie denn Ihren Beruf gewählt, wenn er so wenig
einträglich ist?

Du lieber Gott, antwortete Dr. Töteberg, was heißt wählen! Mein
Vater ist ein alter Herr und Professor der Kirchengeschichte mit sieben Kindern.
Ich sollte Theologie studiren. Da ich das nicht wollte, mußte ich mich der
Philologie zuwenden. Lehrer, Probckandidat, Hilfslehrer u. s. w. zu werden,
hatte ich keine Lust, obgleich ich es auf Grund meiner Zeugnisse noch immer
werden kann, und wenn alle Stricke reißen, auch werden muß, im nächsten
Jahrhundert natürlich erst. Da habe ich mich denn auf die Archäologie, vor
allem die mittelalterliche, geworfen. Einige Verbindungen hat man ja Gott
sei Dank, wenn man der Sohn eines Professors ist. Und vorläufig reise ich
in der Provinz herum und sehe, was sich machen läßt. Finde ich etwas
ordentliches, bin ich ein gemachter Mann. Vielleicht ist Marienzelle dazu be¬
stimmt, mein Sprungbret zu werden.

Und dann, fiel Doktor Utermöhlen ein, würde die auf das Schöne ge¬
richtete Lebenshaltung verwirklicht werden?

Wenn Sie durchaus so wollen, ja. Ich habe mich etwas schlimmer ge¬
malt, als ich in Wirklichkeit bin. Glauben Sie mir, wahres Interesse an der
Sache läßt sich doch vereinigen mit Lebensklugheit, oder umgekehrt, der Wunsch,
etwas zu werden oder zu bedeuten, braucht darum noch nicht das Fachinteresse,
durch das man in die Höhe kommt, zweifelhaft zu machen. Wie kommt es
denn zum Beispiel, daß sich der oder jener von Ihren Herren Kollegen
der Psychiatrie oder Bakteriologie als Spezialstudium zuwendet? Meistens
sind es zufällige Anstöße, und darum braucht die Liebe zur Sache nachher
nicht geringer und weniger aufrichtig zu sein.

Sehr schön, Herr Doktor, aber ich fürchte, wir ermüden die Damen durch
diese Doktorfrage. Ich muß als Arzt im Interesse meiner Patientin mir selbst
den Wunsch versagen, die Sache noch weiter zu verfolgen. Vielleicht giebt sich
ein andermal die Gelegenheit dazu, wenn Sie noch länger in der Gegend
verweilen.

Ja, sagte die Stiftsdame, wie denken Sie denn Ihre Sache hier anzu¬
fangen? Wie lange glauben Sie hier zu thun zu haben?

Davon, gnädiges Fräulein, habe ich selbst noch keine rechte Vorstellung.
Wenn es Herr Doktor Utermöhlen erlaubt, werde ich mich ihm nachher an¬
schließen, um ihn nach Bettenbostel, wo ich abzusteigen gedenke, zu begleiten.
Bettenbvstel wird mein Hauptquartier sein.

Wenn ich nicht noch einen Krankenbesuch zu machen hätte, würde ich Ihnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219542"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Streit der Fakultäten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1608" prev="#ID_1607"> dame eine kleine Pause machte, an der Kunst können sich auch nur wenige<lb/>
freuen. Wenn die alten Griechen keine Sklaven gehabt hätten, hätten sich<lb/>
Perikles und Phidicis, und wie sie alle heißen, auch nicht so künstlerisch be¬<lb/>
thätigen können. Und in unserm Mittelalter wird es wohl ähnlich gewesen<lb/>
sein. Aber warum haben Sie denn Ihren Beruf gewählt, wenn er so wenig<lb/>
einträglich ist?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1609"> Du lieber Gott, antwortete Dr. Töteberg, was heißt wählen! Mein<lb/>
Vater ist ein alter Herr und Professor der Kirchengeschichte mit sieben Kindern.<lb/>
Ich sollte Theologie studiren. Da ich das nicht wollte, mußte ich mich der<lb/>
Philologie zuwenden. Lehrer, Probckandidat, Hilfslehrer u. s. w. zu werden,<lb/>
hatte ich keine Lust, obgleich ich es auf Grund meiner Zeugnisse noch immer<lb/>
werden kann, und wenn alle Stricke reißen, auch werden muß, im nächsten<lb/>
Jahrhundert natürlich erst. Da habe ich mich denn auf die Archäologie, vor<lb/>
allem die mittelalterliche, geworfen. Einige Verbindungen hat man ja Gott<lb/>
sei Dank, wenn man der Sohn eines Professors ist. Und vorläufig reise ich<lb/>
in der Provinz herum und sehe, was sich machen läßt. Finde ich etwas<lb/>
ordentliches, bin ich ein gemachter Mann. Vielleicht ist Marienzelle dazu be¬<lb/>
stimmt, mein Sprungbret zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1610"> Und dann, fiel Doktor Utermöhlen ein, würde die auf das Schöne ge¬<lb/>
richtete Lebenshaltung verwirklicht werden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1611"> Wenn Sie durchaus so wollen, ja. Ich habe mich etwas schlimmer ge¬<lb/>
malt, als ich in Wirklichkeit bin. Glauben Sie mir, wahres Interesse an der<lb/>
Sache läßt sich doch vereinigen mit Lebensklugheit, oder umgekehrt, der Wunsch,<lb/>
etwas zu werden oder zu bedeuten, braucht darum noch nicht das Fachinteresse,<lb/>
durch das man in die Höhe kommt, zweifelhaft zu machen. Wie kommt es<lb/>
denn zum Beispiel, daß sich der oder jener von Ihren Herren Kollegen<lb/>
der Psychiatrie oder Bakteriologie als Spezialstudium zuwendet? Meistens<lb/>
sind es zufällige Anstöße, und darum braucht die Liebe zur Sache nachher<lb/>
nicht geringer und weniger aufrichtig zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612"> Sehr schön, Herr Doktor, aber ich fürchte, wir ermüden die Damen durch<lb/>
diese Doktorfrage. Ich muß als Arzt im Interesse meiner Patientin mir selbst<lb/>
den Wunsch versagen, die Sache noch weiter zu verfolgen. Vielleicht giebt sich<lb/>
ein andermal die Gelegenheit dazu, wenn Sie noch länger in der Gegend<lb/>
verweilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1613"> Ja, sagte die Stiftsdame, wie denken Sie denn Ihre Sache hier anzu¬<lb/>
fangen? Wie lange glauben Sie hier zu thun zu haben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1614"> Davon, gnädiges Fräulein, habe ich selbst noch keine rechte Vorstellung.<lb/>
Wenn es Herr Doktor Utermöhlen erlaubt, werde ich mich ihm nachher an¬<lb/>
schließen, um ihn nach Bettenbostel, wo ich abzusteigen gedenke, zu begleiten.<lb/>
Bettenbvstel wird mein Hauptquartier sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1615" next="#ID_1616"> Wenn ich nicht noch einen Krankenbesuch zu machen hätte, würde ich Ihnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0540] Der Streit der Fakultäten dame eine kleine Pause machte, an der Kunst können sich auch nur wenige freuen. Wenn die alten Griechen keine Sklaven gehabt hätten, hätten sich Perikles und Phidicis, und wie sie alle heißen, auch nicht so künstlerisch be¬ thätigen können. Und in unserm Mittelalter wird es wohl ähnlich gewesen sein. Aber warum haben Sie denn Ihren Beruf gewählt, wenn er so wenig einträglich ist? Du lieber Gott, antwortete Dr. Töteberg, was heißt wählen! Mein Vater ist ein alter Herr und Professor der Kirchengeschichte mit sieben Kindern. Ich sollte Theologie studiren. Da ich das nicht wollte, mußte ich mich der Philologie zuwenden. Lehrer, Probckandidat, Hilfslehrer u. s. w. zu werden, hatte ich keine Lust, obgleich ich es auf Grund meiner Zeugnisse noch immer werden kann, und wenn alle Stricke reißen, auch werden muß, im nächsten Jahrhundert natürlich erst. Da habe ich mich denn auf die Archäologie, vor allem die mittelalterliche, geworfen. Einige Verbindungen hat man ja Gott sei Dank, wenn man der Sohn eines Professors ist. Und vorläufig reise ich in der Provinz herum und sehe, was sich machen läßt. Finde ich etwas ordentliches, bin ich ein gemachter Mann. Vielleicht ist Marienzelle dazu be¬ stimmt, mein Sprungbret zu werden. Und dann, fiel Doktor Utermöhlen ein, würde die auf das Schöne ge¬ richtete Lebenshaltung verwirklicht werden? Wenn Sie durchaus so wollen, ja. Ich habe mich etwas schlimmer ge¬ malt, als ich in Wirklichkeit bin. Glauben Sie mir, wahres Interesse an der Sache läßt sich doch vereinigen mit Lebensklugheit, oder umgekehrt, der Wunsch, etwas zu werden oder zu bedeuten, braucht darum noch nicht das Fachinteresse, durch das man in die Höhe kommt, zweifelhaft zu machen. Wie kommt es denn zum Beispiel, daß sich der oder jener von Ihren Herren Kollegen der Psychiatrie oder Bakteriologie als Spezialstudium zuwendet? Meistens sind es zufällige Anstöße, und darum braucht die Liebe zur Sache nachher nicht geringer und weniger aufrichtig zu sein. Sehr schön, Herr Doktor, aber ich fürchte, wir ermüden die Damen durch diese Doktorfrage. Ich muß als Arzt im Interesse meiner Patientin mir selbst den Wunsch versagen, die Sache noch weiter zu verfolgen. Vielleicht giebt sich ein andermal die Gelegenheit dazu, wenn Sie noch länger in der Gegend verweilen. Ja, sagte die Stiftsdame, wie denken Sie denn Ihre Sache hier anzu¬ fangen? Wie lange glauben Sie hier zu thun zu haben? Davon, gnädiges Fräulein, habe ich selbst noch keine rechte Vorstellung. Wenn es Herr Doktor Utermöhlen erlaubt, werde ich mich ihm nachher an¬ schließen, um ihn nach Bettenbostel, wo ich abzusteigen gedenke, zu begleiten. Bettenbvstel wird mein Hauptquartier sein. Wenn ich nicht noch einen Krankenbesuch zu machen hätte, würde ich Ihnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/540
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/540>, abgerufen am 23.07.2024.