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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

Wieso? Meinen Sie Geld?

Ja, leider muß auch ein Archäologiebeflissener, wie ich, an so etwas ge¬
wöhnliches und alltägliches denken.

Ach so! Ich hatte mehr an die ideale Seite des Lebens gedacht und sehe
nun, daß sich der Zwang der Verhältnisse überall geltend macht.

Bei meinem Studium, sagte der junge Mann, das mich mit so vielem
Herrlichen und Köstlicher bekannt und vertraut macht und den Trieb, die
Welt zu sehen und in die Ferne zu schweifen, mehr noch als bei andern
Menschen lebendig werden läßt, ist der Zwang der Verhältnisse, wie Sie es
sehr richtig nennen, doppelt und dreifach drückend.

Reisen und sich in der Welt umsehen, warf Doktor Utermöhlen ein, möchte
wohl jeder, aber es muß sich eben jeder nach der Decke strecken.

Ganz richtig, Herr Doktor, aber Sie werden mir doch zugeben müssen,
daß unsereinem das besonders schwer fallen muß, wo wir beinahe berufsmäßig
zu dem Wunsche nach einer künstlerisch schönen, wenigstens auf das Schöne
gerichteten Lebenshaltung geführt werden.

Schöne Lebenshaltung! Das ist auch so ein modernes Schlagwort, an
das ich nicht glaube. Wer kein Geld hat, sich derlei Genüsse zu verschaffen,
der muß eben darauf verzichten lernen. Sie müßten einmal mit mir auf die
Praxis fahren, ich glaube, das Verlangen nach "schöner Lebenshaltung" würde
Ihnen bald vergehen, wenn Sie sähen, wie so viele nicht das Notwendigste
haben.

Ich glaube, Herr Doktor, wir mißverstehen uns. Ich bin nicht für ein
gewöhnliches Genuß- und Wohlleben. Ich möchte gerade im Gegensatz zu
dem Materialismus unsrer Zeit der Pflege des Schönen im Leben das Wort
reden, und unser Gespräch ging von meiner ganz harmlosen Bemerkung aus,
daß mir für mein Leben mein Beruf noch nicht die nötigen Mittel dazu
gewährt.

Ich verstehe Sie sehr wohl. Wie Ihnen, so geht es uns allen. Wir
haben in Deutschland vor der Hand noch nicht das Geld zu "schöner Lebens¬
haltung." Wer es hat, mag sie sich gönnen. Ich gebe nichts darauf.

Hier nahm die Stiftsdame, die nicht ohne Besorgnis dem Gespräch zu¬
gehört hatte, das Wort und sagte: Wenn Sie meine Meinung hören wollen,
so, glaube ich, hat Herr Doktor Utermöhlen wohl sehr viel Wahres gesagt.
So lange noch soviel Elend in der Welt herrscht, und davon hat der
Herr Doktor gewiß mehr gesehen, als wir alle zusammen, werden sich Herrn
Dr. Tötebergs Wünsche nur für wenige verwirklichen lassen, aber wir wollen
hoffen, daß er zu ihnen gehören wird. Die Neigungen der Menschen sind
eben verschieden, und der liebe Gott wird wohl wissen, warum er ihr
Schicksal und ihre Lage so ungleich gestaltet hat.

Ich möchte noch hinzufügen, liebe Tante, sagte die Nichte, als die Stifts-


Grenzbote" 1 18S5 67
Der Streit der Fakultäten

Wieso? Meinen Sie Geld?

Ja, leider muß auch ein Archäologiebeflissener, wie ich, an so etwas ge¬
wöhnliches und alltägliches denken.

Ach so! Ich hatte mehr an die ideale Seite des Lebens gedacht und sehe
nun, daß sich der Zwang der Verhältnisse überall geltend macht.

Bei meinem Studium, sagte der junge Mann, das mich mit so vielem
Herrlichen und Köstlicher bekannt und vertraut macht und den Trieb, die
Welt zu sehen und in die Ferne zu schweifen, mehr noch als bei andern
Menschen lebendig werden läßt, ist der Zwang der Verhältnisse, wie Sie es
sehr richtig nennen, doppelt und dreifach drückend.

Reisen und sich in der Welt umsehen, warf Doktor Utermöhlen ein, möchte
wohl jeder, aber es muß sich eben jeder nach der Decke strecken.

Ganz richtig, Herr Doktor, aber Sie werden mir doch zugeben müssen,
daß unsereinem das besonders schwer fallen muß, wo wir beinahe berufsmäßig
zu dem Wunsche nach einer künstlerisch schönen, wenigstens auf das Schöne
gerichteten Lebenshaltung geführt werden.

Schöne Lebenshaltung! Das ist auch so ein modernes Schlagwort, an
das ich nicht glaube. Wer kein Geld hat, sich derlei Genüsse zu verschaffen,
der muß eben darauf verzichten lernen. Sie müßten einmal mit mir auf die
Praxis fahren, ich glaube, das Verlangen nach „schöner Lebenshaltung" würde
Ihnen bald vergehen, wenn Sie sähen, wie so viele nicht das Notwendigste
haben.

Ich glaube, Herr Doktor, wir mißverstehen uns. Ich bin nicht für ein
gewöhnliches Genuß- und Wohlleben. Ich möchte gerade im Gegensatz zu
dem Materialismus unsrer Zeit der Pflege des Schönen im Leben das Wort
reden, und unser Gespräch ging von meiner ganz harmlosen Bemerkung aus,
daß mir für mein Leben mein Beruf noch nicht die nötigen Mittel dazu
gewährt.

Ich verstehe Sie sehr wohl. Wie Ihnen, so geht es uns allen. Wir
haben in Deutschland vor der Hand noch nicht das Geld zu „schöner Lebens¬
haltung." Wer es hat, mag sie sich gönnen. Ich gebe nichts darauf.

Hier nahm die Stiftsdame, die nicht ohne Besorgnis dem Gespräch zu¬
gehört hatte, das Wort und sagte: Wenn Sie meine Meinung hören wollen,
so, glaube ich, hat Herr Doktor Utermöhlen wohl sehr viel Wahres gesagt.
So lange noch soviel Elend in der Welt herrscht, und davon hat der
Herr Doktor gewiß mehr gesehen, als wir alle zusammen, werden sich Herrn
Dr. Tötebergs Wünsche nur für wenige verwirklichen lassen, aber wir wollen
hoffen, daß er zu ihnen gehören wird. Die Neigungen der Menschen sind
eben verschieden, und der liebe Gott wird wohl wissen, warum er ihr
Schicksal und ihre Lage so ungleich gestaltet hat.

Ich möchte noch hinzufügen, liebe Tante, sagte die Nichte, als die Stifts-


Grenzbote» 1 18S5 67
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[0539] Der Streit der Fakultäten Wieso? Meinen Sie Geld? Ja, leider muß auch ein Archäologiebeflissener, wie ich, an so etwas ge¬ wöhnliches und alltägliches denken. Ach so! Ich hatte mehr an die ideale Seite des Lebens gedacht und sehe nun, daß sich der Zwang der Verhältnisse überall geltend macht. Bei meinem Studium, sagte der junge Mann, das mich mit so vielem Herrlichen und Köstlicher bekannt und vertraut macht und den Trieb, die Welt zu sehen und in die Ferne zu schweifen, mehr noch als bei andern Menschen lebendig werden läßt, ist der Zwang der Verhältnisse, wie Sie es sehr richtig nennen, doppelt und dreifach drückend. Reisen und sich in der Welt umsehen, warf Doktor Utermöhlen ein, möchte wohl jeder, aber es muß sich eben jeder nach der Decke strecken. Ganz richtig, Herr Doktor, aber Sie werden mir doch zugeben müssen, daß unsereinem das besonders schwer fallen muß, wo wir beinahe berufsmäßig zu dem Wunsche nach einer künstlerisch schönen, wenigstens auf das Schöne gerichteten Lebenshaltung geführt werden. Schöne Lebenshaltung! Das ist auch so ein modernes Schlagwort, an das ich nicht glaube. Wer kein Geld hat, sich derlei Genüsse zu verschaffen, der muß eben darauf verzichten lernen. Sie müßten einmal mit mir auf die Praxis fahren, ich glaube, das Verlangen nach „schöner Lebenshaltung" würde Ihnen bald vergehen, wenn Sie sähen, wie so viele nicht das Notwendigste haben. Ich glaube, Herr Doktor, wir mißverstehen uns. Ich bin nicht für ein gewöhnliches Genuß- und Wohlleben. Ich möchte gerade im Gegensatz zu dem Materialismus unsrer Zeit der Pflege des Schönen im Leben das Wort reden, und unser Gespräch ging von meiner ganz harmlosen Bemerkung aus, daß mir für mein Leben mein Beruf noch nicht die nötigen Mittel dazu gewährt. Ich verstehe Sie sehr wohl. Wie Ihnen, so geht es uns allen. Wir haben in Deutschland vor der Hand noch nicht das Geld zu „schöner Lebens¬ haltung." Wer es hat, mag sie sich gönnen. Ich gebe nichts darauf. Hier nahm die Stiftsdame, die nicht ohne Besorgnis dem Gespräch zu¬ gehört hatte, das Wort und sagte: Wenn Sie meine Meinung hören wollen, so, glaube ich, hat Herr Doktor Utermöhlen wohl sehr viel Wahres gesagt. So lange noch soviel Elend in der Welt herrscht, und davon hat der Herr Doktor gewiß mehr gesehen, als wir alle zusammen, werden sich Herrn Dr. Tötebergs Wünsche nur für wenige verwirklichen lassen, aber wir wollen hoffen, daß er zu ihnen gehören wird. Die Neigungen der Menschen sind eben verschieden, und der liebe Gott wird wohl wissen, warum er ihr Schicksal und ihre Lage so ungleich gestaltet hat. Ich möchte noch hinzufügen, liebe Tante, sagte die Nichte, als die Stifts- Grenzbote» 1 18S5 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/539>, abgerufen am 23.07.2024.