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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Wink habe ich einmal predigen hören; außerhalb der Kirche, in Vereinen und
Volksversammlungen, hörte ich ihn öfter, Wink war der Annagler: er geriet
beim Sprechen jedesmal in förmliche Wut und hämmerte auf die Kcmzel-
brüstnng oder auf den Tisch. Doch galt seine Wut nicht den Gegnern der
Bigotterie, sondern den Protestanten. Es war ein Bußtag, als ich ihn pre¬
digen hörte. Er fing an: "Der heutige Feiertag ist ein Staatsfeiertag -- wir
haben keine Perikopen für ihn (solche wurde" später dadurch besorgt, daß der
Papst ein Heiligenfest auf den Tag legte) -- über was soll ich da reden?
Na, sprechen wir von einigen Glaubensunterschieden!" Und nun legte er los.
Er war ein äußerst gewandter, scharfsinniger, schlagfertiger Polemiker und floß
von sarkastischen Witz über. Er schrieb auch viel ins Schlesische Kirchenblatt
und zog sich eine Reihe gerichtlicher Verurteilungen zu; stets nur Geldstrafen,
Gefängnisstrafen sind damals wegen Preßvergehen, soviel ich mich erinnere,
niemals verhängt worden.

Von katholischen Zeitungen war kaum die Rede. Es gab nur eine, die
Deutsche Volkshalle in Köln, die sich nach sehr mühseligen Daseinskampfe später
in die liberal angehauchten Kölnischen Blätter verwandelte; aus diesen ist nach
187V die Kölnische Volkszeitung entstanden. Wink gründete später ein politisches
Wochenblatt, die Hausblätter, das sich im Kulturkampfe, der die katholische
Presse gebar, zur Schlesischen Volkszeitung auswuchs. Viele gebildete Ka¬
tholiken nahmen an dem heftigen, derben und zuweilen rohen Tone der Haus-
blütter und an ihrer gehässigen Polemik Anstoß, es kann aber nicht bezweifelt
werden, daß sie in den Massen jene Stimmung erzeugt haben, die 1870 in
Schlesien eine wirksame Opposition gegen die vatikanischen Beschlüsse unmöglich
und bald darauf, im Kulturkampfe, die Organisation der schlesischen Zentrums¬
partei leicht machte.

In einer der von Wink abgehaltenen Volksversammlungen sah und hörte
ich den nach Berlin berufnen Religionslehrer Müller, der später den Titel
eines geistlichen Rats erhielt, einen oberschlesischen Wahlkreis im Reichstag
vertreten hat und jüngst als Emeritus gestorben ist. Müller gab das Märkische
Kirchenblatt heraus, das die klaren Köpfe in demselben Grade ärgerte, wie
Wicks Blatt die zartsinnigen und vornehmen Seelen. Ein Freund, bei dem
ich in den sechziger Jahren die Sonntagabende zuzubringen pflegte, der
Sanitätsrat A. in L., war beides und ärgerte sich daher über beide Blätter;
das eine nannte er ein S .. blatt und schwur allsonntüglich, es nicht mehr
zu lesen, vom andern sagte er, es enthalte lauter Unsinn und sei weder ge¬
hauen noch gestochen. Das war nun freilich kein Wunder, denn Müller war
so ziemlich sein einziger Mitarbeiter, und da er alle sieben Tage der Woche
in höchst anstrengender Thätigkeit unterwegs war, so schrieb er sein Blättchen
bruchstückweise teils im Eisenbahnwagen, teils im Postwagen, teils spät abends,
wenn er ermüdet nach Hause kam. Er hatte ein außerordentliches Orgcmisations-


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Wink habe ich einmal predigen hören; außerhalb der Kirche, in Vereinen und
Volksversammlungen, hörte ich ihn öfter, Wink war der Annagler: er geriet
beim Sprechen jedesmal in förmliche Wut und hämmerte auf die Kcmzel-
brüstnng oder auf den Tisch. Doch galt seine Wut nicht den Gegnern der
Bigotterie, sondern den Protestanten. Es war ein Bußtag, als ich ihn pre¬
digen hörte. Er fing an: „Der heutige Feiertag ist ein Staatsfeiertag — wir
haben keine Perikopen für ihn (solche wurde» später dadurch besorgt, daß der
Papst ein Heiligenfest auf den Tag legte) — über was soll ich da reden?
Na, sprechen wir von einigen Glaubensunterschieden!" Und nun legte er los.
Er war ein äußerst gewandter, scharfsinniger, schlagfertiger Polemiker und floß
von sarkastischen Witz über. Er schrieb auch viel ins Schlesische Kirchenblatt
und zog sich eine Reihe gerichtlicher Verurteilungen zu; stets nur Geldstrafen,
Gefängnisstrafen sind damals wegen Preßvergehen, soviel ich mich erinnere,
niemals verhängt worden.

Von katholischen Zeitungen war kaum die Rede. Es gab nur eine, die
Deutsche Volkshalle in Köln, die sich nach sehr mühseligen Daseinskampfe später
in die liberal angehauchten Kölnischen Blätter verwandelte; aus diesen ist nach
187V die Kölnische Volkszeitung entstanden. Wink gründete später ein politisches
Wochenblatt, die Hausblätter, das sich im Kulturkampfe, der die katholische
Presse gebar, zur Schlesischen Volkszeitung auswuchs. Viele gebildete Ka¬
tholiken nahmen an dem heftigen, derben und zuweilen rohen Tone der Haus-
blütter und an ihrer gehässigen Polemik Anstoß, es kann aber nicht bezweifelt
werden, daß sie in den Massen jene Stimmung erzeugt haben, die 1870 in
Schlesien eine wirksame Opposition gegen die vatikanischen Beschlüsse unmöglich
und bald darauf, im Kulturkampfe, die Organisation der schlesischen Zentrums¬
partei leicht machte.

In einer der von Wink abgehaltenen Volksversammlungen sah und hörte
ich den nach Berlin berufnen Religionslehrer Müller, der später den Titel
eines geistlichen Rats erhielt, einen oberschlesischen Wahlkreis im Reichstag
vertreten hat und jüngst als Emeritus gestorben ist. Müller gab das Märkische
Kirchenblatt heraus, das die klaren Köpfe in demselben Grade ärgerte, wie
Wicks Blatt die zartsinnigen und vornehmen Seelen. Ein Freund, bei dem
ich in den sechziger Jahren die Sonntagabende zuzubringen pflegte, der
Sanitätsrat A. in L., war beides und ärgerte sich daher über beide Blätter;
das eine nannte er ein S .. blatt und schwur allsonntüglich, es nicht mehr
zu lesen, vom andern sagte er, es enthalte lauter Unsinn und sei weder ge¬
hauen noch gestochen. Das war nun freilich kein Wunder, denn Müller war
so ziemlich sein einziger Mitarbeiter, und da er alle sieben Tage der Woche
in höchst anstrengender Thätigkeit unterwegs war, so schrieb er sein Blättchen
bruchstückweise teils im Eisenbahnwagen, teils im Postwagen, teils spät abends,
wenn er ermüdet nach Hause kam. Er hatte ein außerordentliches Orgcmisations-


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[0533] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Wink habe ich einmal predigen hören; außerhalb der Kirche, in Vereinen und Volksversammlungen, hörte ich ihn öfter, Wink war der Annagler: er geriet beim Sprechen jedesmal in förmliche Wut und hämmerte auf die Kcmzel- brüstnng oder auf den Tisch. Doch galt seine Wut nicht den Gegnern der Bigotterie, sondern den Protestanten. Es war ein Bußtag, als ich ihn pre¬ digen hörte. Er fing an: „Der heutige Feiertag ist ein Staatsfeiertag — wir haben keine Perikopen für ihn (solche wurde» später dadurch besorgt, daß der Papst ein Heiligenfest auf den Tag legte) — über was soll ich da reden? Na, sprechen wir von einigen Glaubensunterschieden!" Und nun legte er los. Er war ein äußerst gewandter, scharfsinniger, schlagfertiger Polemiker und floß von sarkastischen Witz über. Er schrieb auch viel ins Schlesische Kirchenblatt und zog sich eine Reihe gerichtlicher Verurteilungen zu; stets nur Geldstrafen, Gefängnisstrafen sind damals wegen Preßvergehen, soviel ich mich erinnere, niemals verhängt worden. Von katholischen Zeitungen war kaum die Rede. Es gab nur eine, die Deutsche Volkshalle in Köln, die sich nach sehr mühseligen Daseinskampfe später in die liberal angehauchten Kölnischen Blätter verwandelte; aus diesen ist nach 187V die Kölnische Volkszeitung entstanden. Wink gründete später ein politisches Wochenblatt, die Hausblätter, das sich im Kulturkampfe, der die katholische Presse gebar, zur Schlesischen Volkszeitung auswuchs. Viele gebildete Ka¬ tholiken nahmen an dem heftigen, derben und zuweilen rohen Tone der Haus- blütter und an ihrer gehässigen Polemik Anstoß, es kann aber nicht bezweifelt werden, daß sie in den Massen jene Stimmung erzeugt haben, die 1870 in Schlesien eine wirksame Opposition gegen die vatikanischen Beschlüsse unmöglich und bald darauf, im Kulturkampfe, die Organisation der schlesischen Zentrums¬ partei leicht machte. In einer der von Wink abgehaltenen Volksversammlungen sah und hörte ich den nach Berlin berufnen Religionslehrer Müller, der später den Titel eines geistlichen Rats erhielt, einen oberschlesischen Wahlkreis im Reichstag vertreten hat und jüngst als Emeritus gestorben ist. Müller gab das Märkische Kirchenblatt heraus, das die klaren Köpfe in demselben Grade ärgerte, wie Wicks Blatt die zartsinnigen und vornehmen Seelen. Ein Freund, bei dem ich in den sechziger Jahren die Sonntagabende zuzubringen pflegte, der Sanitätsrat A. in L., war beides und ärgerte sich daher über beide Blätter; das eine nannte er ein S .. blatt und schwur allsonntüglich, es nicht mehr zu lesen, vom andern sagte er, es enthalte lauter Unsinn und sei weder ge¬ hauen noch gestochen. Das war nun freilich kein Wunder, denn Müller war so ziemlich sein einziger Mitarbeiter, und da er alle sieben Tage der Woche in höchst anstrengender Thätigkeit unterwegs war, so schrieb er sein Blättchen bruchstückweise teils im Eisenbahnwagen, teils im Postwagen, teils spät abends, wenn er ermüdet nach Hause kam. Er hatte ein außerordentliches Orgcmisations-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/533>, abgerufen am 23.07.2024.