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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der litterarische Erfolg

der Satire ist keine Schranke gesetzt als eben die Lebenswahrheit. Meister¬
werke, die die Zeiten überdauern, wird man auf diesem Gebiete schwerlich
schaffen, wohl aber brauchbare Theaterstücke mit wirklichen Lebensbildern und
geistigem Gehalt. Und da hat -- hier setzt mit Recht der Tadel ein --
Sudermcmn nicht gehalten, was er versprochen hat, der Erfolg hat ihn un¬
günstig beeinflußt: seine "Heimat" ist nicht mehr ein Lebensbild, sondern ein
Effektstück mit künstlich gemachten Gegensätzen, dessen geistiger Gehalt, soweit
er nicht leere Phrase ist, nicht einmal aus unsrer Zeit stammt; die "Schmetter¬
lingsschlacht" aber verschmäht sogar jeden Konflikt, bringt weiter nichts als
scheinbar der Wirklichkeit entnommne Züge, von denen fast jeder darauf ein¬
gerichtet ist, das große Publikum einzufangen. Statt eines Gemäldes erhalten
wir bloße Dekoration. Man verlange von Silbermann nicht tragische Größe,
nicht flammende Begeisterung, nicht einmal besondre künstlerische Wärme, aber
man verlange künstlerische Ehrlichkeit, die fehlt in seinen letzten Werken. Sie
sind nur für das Theater und den Erfolg geschrieben, nicht für unsre Zeit.

Einfacher ist das "Problem" Fulda; er ist schlechtweg der litterarischen
Mode gefolgt. Mit leichten Lustspielen beginnend, die etwas natürlicher und
teilweise feiner waren als die seiner ältern Zeitgenossen, Lubliners z. B., dem
er im übrigen ähnelt, ging er dann nach der "Ehre" mit der "Sklavin"
und dem "Verlornen Paradies" zum sozialen Drama über', schuf darauf, die
Reaktion gegen den Naturalismus witternd, vielleicht auch von dänischen
Märchendramen wie Rudolf Schmidts "Verwandelten König" angeregt, den
"Talisman," ein Werk, das harmlos schien, aber nicht harmlos war, also
schielte, und hat sich neuerdings der reinen Satire zugewandt, die nun allein
noch übrig blieb und in Frankreich bereits kultivirt wurde. Fulda ist eigentlich
kein Dichter, da man das "Elementare" von diesem Begriff nicht trennen
kann, aber er hat Formtalent und einen gebildeten Geschmack, der ihn nur
leider bei seinem letzten Werke völlig im Stich gelassen hat. Auch ihm hat
der Erfolg, der in gewissen Kreisen noch übertrieben wurde, stark geschadet.

Überhaupt ist es das dramatische Feld, auf dem die Jagd nach dem Erfolg
die meisten Opfer des Verstands, des Talents, der Überzeugung fordert. Kein
Wunder! Das Drama ist heute die einzige Gattung der Poesie, die wirk¬
lichen Erfolg, Geld und Ruhm verspricht, und daher gewissermaßen die Lotterie,
in der alle Dichter und Schriftsteller spielen. Die Lyriker -- du lieber Gott!
es giebt heute kaum noch eine bessere Zeitschrift, die Lyrik brächte, die Zeit¬
schriften für Lyrik sind im großen Publikum nicht verbreitet, und von 1000
Sammlungen müssen 999 dem Verleger bezahlt werden. Nicht viel besser ist
der Epiker dran; die lyrisch-epische Dichtung, Sang, Märe u.s.w. benannt, die eine
Zeit lang beliebt war, ist jetzt völlig wieder aus der Mode gekommen, nach¬
dem jeder Winkel des deutschen Landes einen Epiker dieser Art hervorgebracht
hat. So bleibt also nur das Drama. Eine Statistik, wieviel Dramen all-


Grenzboten I 1895 60
Der litterarische Erfolg

der Satire ist keine Schranke gesetzt als eben die Lebenswahrheit. Meister¬
werke, die die Zeiten überdauern, wird man auf diesem Gebiete schwerlich
schaffen, wohl aber brauchbare Theaterstücke mit wirklichen Lebensbildern und
geistigem Gehalt. Und da hat — hier setzt mit Recht der Tadel ein —
Sudermcmn nicht gehalten, was er versprochen hat, der Erfolg hat ihn un¬
günstig beeinflußt: seine „Heimat" ist nicht mehr ein Lebensbild, sondern ein
Effektstück mit künstlich gemachten Gegensätzen, dessen geistiger Gehalt, soweit
er nicht leere Phrase ist, nicht einmal aus unsrer Zeit stammt; die „Schmetter¬
lingsschlacht" aber verschmäht sogar jeden Konflikt, bringt weiter nichts als
scheinbar der Wirklichkeit entnommne Züge, von denen fast jeder darauf ein¬
gerichtet ist, das große Publikum einzufangen. Statt eines Gemäldes erhalten
wir bloße Dekoration. Man verlange von Silbermann nicht tragische Größe,
nicht flammende Begeisterung, nicht einmal besondre künstlerische Wärme, aber
man verlange künstlerische Ehrlichkeit, die fehlt in seinen letzten Werken. Sie
sind nur für das Theater und den Erfolg geschrieben, nicht für unsre Zeit.

Einfacher ist das „Problem" Fulda; er ist schlechtweg der litterarischen
Mode gefolgt. Mit leichten Lustspielen beginnend, die etwas natürlicher und
teilweise feiner waren als die seiner ältern Zeitgenossen, Lubliners z. B., dem
er im übrigen ähnelt, ging er dann nach der „Ehre" mit der „Sklavin"
und dem „Verlornen Paradies" zum sozialen Drama über', schuf darauf, die
Reaktion gegen den Naturalismus witternd, vielleicht auch von dänischen
Märchendramen wie Rudolf Schmidts „Verwandelten König" angeregt, den
„Talisman," ein Werk, das harmlos schien, aber nicht harmlos war, also
schielte, und hat sich neuerdings der reinen Satire zugewandt, die nun allein
noch übrig blieb und in Frankreich bereits kultivirt wurde. Fulda ist eigentlich
kein Dichter, da man das „Elementare" von diesem Begriff nicht trennen
kann, aber er hat Formtalent und einen gebildeten Geschmack, der ihn nur
leider bei seinem letzten Werke völlig im Stich gelassen hat. Auch ihm hat
der Erfolg, der in gewissen Kreisen noch übertrieben wurde, stark geschadet.

Überhaupt ist es das dramatische Feld, auf dem die Jagd nach dem Erfolg
die meisten Opfer des Verstands, des Talents, der Überzeugung fordert. Kein
Wunder! Das Drama ist heute die einzige Gattung der Poesie, die wirk¬
lichen Erfolg, Geld und Ruhm verspricht, und daher gewissermaßen die Lotterie,
in der alle Dichter und Schriftsteller spielen. Die Lyriker — du lieber Gott!
es giebt heute kaum noch eine bessere Zeitschrift, die Lyrik brächte, die Zeit¬
schriften für Lyrik sind im großen Publikum nicht verbreitet, und von 1000
Sammlungen müssen 999 dem Verleger bezahlt werden. Nicht viel besser ist
der Epiker dran; die lyrisch-epische Dichtung, Sang, Märe u.s.w. benannt, die eine
Zeit lang beliebt war, ist jetzt völlig wieder aus der Mode gekommen, nach¬
dem jeder Winkel des deutschen Landes einen Epiker dieser Art hervorgebracht
hat. So bleibt also nur das Drama. Eine Statistik, wieviel Dramen all-


Grenzboten I 1895 60
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[0483] Der litterarische Erfolg der Satire ist keine Schranke gesetzt als eben die Lebenswahrheit. Meister¬ werke, die die Zeiten überdauern, wird man auf diesem Gebiete schwerlich schaffen, wohl aber brauchbare Theaterstücke mit wirklichen Lebensbildern und geistigem Gehalt. Und da hat — hier setzt mit Recht der Tadel ein — Sudermcmn nicht gehalten, was er versprochen hat, der Erfolg hat ihn un¬ günstig beeinflußt: seine „Heimat" ist nicht mehr ein Lebensbild, sondern ein Effektstück mit künstlich gemachten Gegensätzen, dessen geistiger Gehalt, soweit er nicht leere Phrase ist, nicht einmal aus unsrer Zeit stammt; die „Schmetter¬ lingsschlacht" aber verschmäht sogar jeden Konflikt, bringt weiter nichts als scheinbar der Wirklichkeit entnommne Züge, von denen fast jeder darauf ein¬ gerichtet ist, das große Publikum einzufangen. Statt eines Gemäldes erhalten wir bloße Dekoration. Man verlange von Silbermann nicht tragische Größe, nicht flammende Begeisterung, nicht einmal besondre künstlerische Wärme, aber man verlange künstlerische Ehrlichkeit, die fehlt in seinen letzten Werken. Sie sind nur für das Theater und den Erfolg geschrieben, nicht für unsre Zeit. Einfacher ist das „Problem" Fulda; er ist schlechtweg der litterarischen Mode gefolgt. Mit leichten Lustspielen beginnend, die etwas natürlicher und teilweise feiner waren als die seiner ältern Zeitgenossen, Lubliners z. B., dem er im übrigen ähnelt, ging er dann nach der „Ehre" mit der „Sklavin" und dem „Verlornen Paradies" zum sozialen Drama über', schuf darauf, die Reaktion gegen den Naturalismus witternd, vielleicht auch von dänischen Märchendramen wie Rudolf Schmidts „Verwandelten König" angeregt, den „Talisman," ein Werk, das harmlos schien, aber nicht harmlos war, also schielte, und hat sich neuerdings der reinen Satire zugewandt, die nun allein noch übrig blieb und in Frankreich bereits kultivirt wurde. Fulda ist eigentlich kein Dichter, da man das „Elementare" von diesem Begriff nicht trennen kann, aber er hat Formtalent und einen gebildeten Geschmack, der ihn nur leider bei seinem letzten Werke völlig im Stich gelassen hat. Auch ihm hat der Erfolg, der in gewissen Kreisen noch übertrieben wurde, stark geschadet. Überhaupt ist es das dramatische Feld, auf dem die Jagd nach dem Erfolg die meisten Opfer des Verstands, des Talents, der Überzeugung fordert. Kein Wunder! Das Drama ist heute die einzige Gattung der Poesie, die wirk¬ lichen Erfolg, Geld und Ruhm verspricht, und daher gewissermaßen die Lotterie, in der alle Dichter und Schriftsteller spielen. Die Lyriker — du lieber Gott! es giebt heute kaum noch eine bessere Zeitschrift, die Lyrik brächte, die Zeit¬ schriften für Lyrik sind im großen Publikum nicht verbreitet, und von 1000 Sammlungen müssen 999 dem Verleger bezahlt werden. Nicht viel besser ist der Epiker dran; die lyrisch-epische Dichtung, Sang, Märe u.s.w. benannt, die eine Zeit lang beliebt war, ist jetzt völlig wieder aus der Mode gekommen, nach¬ dem jeder Winkel des deutschen Landes einen Epiker dieser Art hervorgebracht hat. So bleibt also nur das Drama. Eine Statistik, wieviel Dramen all- Grenzboten I 1895 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/483>, abgerufen am 25.08.2024.