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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der litterarische Lrfolg

hervorgerufen. Ostafrika hat in den Feuilletons unsrer Zeitungen keine ge¬
ringe Rolle gespielt und ist noch beliebt; die Spieler- und Wucherprozesse
haben eine ganze Unzahl "aktueller" Romane hervorgerufen; selbst der große
Distanzritt wurde verwendet. Daneben gehen freilich die alten schauerlichen
Kriminalromane und die Liebesromane, die uralte Motive ewig neu auf¬
wärmen, ruhig fort.

Doch es wird endlich Zeit, daß wir zur wirklichen Dichtung kommen.
Der wirkliche Dichter schafft nicht für den Erfolg, er gehorcht dem innern
Drange und gestaltet nach den Gesetzen seiner Kunst, soweit sie ihm auf¬
gegangen find, ohne Rücksicht auf die Mode und die Wünsche des Publikums --
das war lange Zeit die feststehende Ansicht. Neuerdings beginnt sie erschüttert
zu werden. Wenn man auch nicht allen Dichtern der Gegenwart Liebedienerei
gegen den Geschmack der Menge oder des Teils von ihr, der über den Er¬
folg entscheidet, vorzuwerfen wagt, bei einer ganzen Anzahl unzweifelhafter
Talente thut man das ungescheut und -- vielleicht mit Recht. Namentlich
die Dramatiker haben sich diesen Vorwurf zugezogen; ich will hier nur zwei
nennen: Sudermann und Fulda. Über Sudermcmn ist in diesem Blatte schon
viel und Gutes geschrieben worden; man wirft ihm meist Mangel einer be¬
deutenden Persönlichkeit und damit im Zusammenhange seine kühle Objektivität
vor, er erwärme sich weder für feine Gestalten noch seine Probleme. Ob¬
jektivität ist nun an und für sich gewiß kein künstlerischer Fehler, und die
kühle, ironisirende Grundstimmung eines Dichters, dessen Talent sich auf die
gesellschaftliche Satire zuspitzt, ist so gut berechtigt wie jede andre. Auch der
große Tragiker gelaugt, freilich erst nach schweren Kämpfen, zur Objektivität,
indem er nämlich die Schuld auf beiden Seiten, bei seinem Helden sowohl
wie bei den ihn bekämpfenden Mächten, sieht und so den unauflösbaren Kon¬
flikt gestaltet, ohne den echte Tragik überhaupt unmöglich ist. Wo Wunden
noch zu heilen sind, da hat die Tragödie nichts zu schaffen. Aber freilich,
wer wird an das Drama Sudermanns solche Maßstäbe legen? Wohl hat
seine "Ehre" gewissermaßen die Brücke gebildet, ans der ernste moderne Stücke
wieder ins deutsche Theater eingezogen sind, aber die, die in Sudermanns
Muse die tragische zu erkennen glaubten, haben sich eben getäuscht und thun
ihm jetzt Unrecht, wenn sie die höchsten Ansprüche an ihn stellen. Er ist der
Art seines Talents nach ganz zweifellos auf die Mischform des Schauspiels
angewiesen, die allein die sozialen Verhältnisse unsrer Zeit in ihrer ganzen
Breite vorzuführen imstande und für das moderne Theater, das nicht mehr
der Kunst dient, die brauchbarste ist. Diese Form verlangt vor allem Lebens¬
treue; für den Mangel an Größe, reiner Darstellung der Konflikte, Thpik
der Gestatte", Klarheit der Idee, die aus dem modernen Leben ja auch nicht
so einfach zu entwickeln ist, muß als Ersatz die geistvolle Beleuchtung gewisser
Zeitfragen, wie man sie z.B. bei dem jungen Dumas findet, eintreten, und


Der litterarische Lrfolg

hervorgerufen. Ostafrika hat in den Feuilletons unsrer Zeitungen keine ge¬
ringe Rolle gespielt und ist noch beliebt; die Spieler- und Wucherprozesse
haben eine ganze Unzahl „aktueller" Romane hervorgerufen; selbst der große
Distanzritt wurde verwendet. Daneben gehen freilich die alten schauerlichen
Kriminalromane und die Liebesromane, die uralte Motive ewig neu auf¬
wärmen, ruhig fort.

Doch es wird endlich Zeit, daß wir zur wirklichen Dichtung kommen.
Der wirkliche Dichter schafft nicht für den Erfolg, er gehorcht dem innern
Drange und gestaltet nach den Gesetzen seiner Kunst, soweit sie ihm auf¬
gegangen find, ohne Rücksicht auf die Mode und die Wünsche des Publikums —
das war lange Zeit die feststehende Ansicht. Neuerdings beginnt sie erschüttert
zu werden. Wenn man auch nicht allen Dichtern der Gegenwart Liebedienerei
gegen den Geschmack der Menge oder des Teils von ihr, der über den Er¬
folg entscheidet, vorzuwerfen wagt, bei einer ganzen Anzahl unzweifelhafter
Talente thut man das ungescheut und — vielleicht mit Recht. Namentlich
die Dramatiker haben sich diesen Vorwurf zugezogen; ich will hier nur zwei
nennen: Sudermann und Fulda. Über Sudermcmn ist in diesem Blatte schon
viel und Gutes geschrieben worden; man wirft ihm meist Mangel einer be¬
deutenden Persönlichkeit und damit im Zusammenhange seine kühle Objektivität
vor, er erwärme sich weder für feine Gestalten noch seine Probleme. Ob¬
jektivität ist nun an und für sich gewiß kein künstlerischer Fehler, und die
kühle, ironisirende Grundstimmung eines Dichters, dessen Talent sich auf die
gesellschaftliche Satire zuspitzt, ist so gut berechtigt wie jede andre. Auch der
große Tragiker gelaugt, freilich erst nach schweren Kämpfen, zur Objektivität,
indem er nämlich die Schuld auf beiden Seiten, bei seinem Helden sowohl
wie bei den ihn bekämpfenden Mächten, sieht und so den unauflösbaren Kon¬
flikt gestaltet, ohne den echte Tragik überhaupt unmöglich ist. Wo Wunden
noch zu heilen sind, da hat die Tragödie nichts zu schaffen. Aber freilich,
wer wird an das Drama Sudermanns solche Maßstäbe legen? Wohl hat
seine „Ehre" gewissermaßen die Brücke gebildet, ans der ernste moderne Stücke
wieder ins deutsche Theater eingezogen sind, aber die, die in Sudermanns
Muse die tragische zu erkennen glaubten, haben sich eben getäuscht und thun
ihm jetzt Unrecht, wenn sie die höchsten Ansprüche an ihn stellen. Er ist der
Art seines Talents nach ganz zweifellos auf die Mischform des Schauspiels
angewiesen, die allein die sozialen Verhältnisse unsrer Zeit in ihrer ganzen
Breite vorzuführen imstande und für das moderne Theater, das nicht mehr
der Kunst dient, die brauchbarste ist. Diese Form verlangt vor allem Lebens¬
treue; für den Mangel an Größe, reiner Darstellung der Konflikte, Thpik
der Gestatte», Klarheit der Idee, die aus dem modernen Leben ja auch nicht
so einfach zu entwickeln ist, muß als Ersatz die geistvolle Beleuchtung gewisser
Zeitfragen, wie man sie z.B. bei dem jungen Dumas findet, eintreten, und


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[0482] Der litterarische Lrfolg hervorgerufen. Ostafrika hat in den Feuilletons unsrer Zeitungen keine ge¬ ringe Rolle gespielt und ist noch beliebt; die Spieler- und Wucherprozesse haben eine ganze Unzahl „aktueller" Romane hervorgerufen; selbst der große Distanzritt wurde verwendet. Daneben gehen freilich die alten schauerlichen Kriminalromane und die Liebesromane, die uralte Motive ewig neu auf¬ wärmen, ruhig fort. Doch es wird endlich Zeit, daß wir zur wirklichen Dichtung kommen. Der wirkliche Dichter schafft nicht für den Erfolg, er gehorcht dem innern Drange und gestaltet nach den Gesetzen seiner Kunst, soweit sie ihm auf¬ gegangen find, ohne Rücksicht auf die Mode und die Wünsche des Publikums — das war lange Zeit die feststehende Ansicht. Neuerdings beginnt sie erschüttert zu werden. Wenn man auch nicht allen Dichtern der Gegenwart Liebedienerei gegen den Geschmack der Menge oder des Teils von ihr, der über den Er¬ folg entscheidet, vorzuwerfen wagt, bei einer ganzen Anzahl unzweifelhafter Talente thut man das ungescheut und — vielleicht mit Recht. Namentlich die Dramatiker haben sich diesen Vorwurf zugezogen; ich will hier nur zwei nennen: Sudermann und Fulda. Über Sudermcmn ist in diesem Blatte schon viel und Gutes geschrieben worden; man wirft ihm meist Mangel einer be¬ deutenden Persönlichkeit und damit im Zusammenhange seine kühle Objektivität vor, er erwärme sich weder für feine Gestalten noch seine Probleme. Ob¬ jektivität ist nun an und für sich gewiß kein künstlerischer Fehler, und die kühle, ironisirende Grundstimmung eines Dichters, dessen Talent sich auf die gesellschaftliche Satire zuspitzt, ist so gut berechtigt wie jede andre. Auch der große Tragiker gelaugt, freilich erst nach schweren Kämpfen, zur Objektivität, indem er nämlich die Schuld auf beiden Seiten, bei seinem Helden sowohl wie bei den ihn bekämpfenden Mächten, sieht und so den unauflösbaren Kon¬ flikt gestaltet, ohne den echte Tragik überhaupt unmöglich ist. Wo Wunden noch zu heilen sind, da hat die Tragödie nichts zu schaffen. Aber freilich, wer wird an das Drama Sudermanns solche Maßstäbe legen? Wohl hat seine „Ehre" gewissermaßen die Brücke gebildet, ans der ernste moderne Stücke wieder ins deutsche Theater eingezogen sind, aber die, die in Sudermanns Muse die tragische zu erkennen glaubten, haben sich eben getäuscht und thun ihm jetzt Unrecht, wenn sie die höchsten Ansprüche an ihn stellen. Er ist der Art seines Talents nach ganz zweifellos auf die Mischform des Schauspiels angewiesen, die allein die sozialen Verhältnisse unsrer Zeit in ihrer ganzen Breite vorzuführen imstande und für das moderne Theater, das nicht mehr der Kunst dient, die brauchbarste ist. Diese Form verlangt vor allem Lebens¬ treue; für den Mangel an Größe, reiner Darstellung der Konflikte, Thpik der Gestatte», Klarheit der Idee, die aus dem modernen Leben ja auch nicht so einfach zu entwickeln ist, muß als Ersatz die geistvolle Beleuchtung gewisser Zeitfragen, wie man sie z.B. bei dem jungen Dumas findet, eintreten, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/482>, abgerufen am 23.07.2024.