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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der litterarische Erfolg

Das wahre Elend beginnt aber erst auf dem belletristischen Gebiete, also
bei den "Dichtern" und, nicht zu vergessen, den "Dichterinnen." Ich weiß
wohl, sie halten sich nicht alle für poetische Talente oder gar Genies, die
unermüdlichen Verfasser von Romanen, Novellen, Humoresken u. s. w., sie
wollen vielfach nichts weiter sein als ehrliche Arbeiter ums liebe Brot und
sind denn manchmal wirklich Proletarier, die von der Hand in den Mund leben.
Jüngere Leute täuscht oft die scheinbar geniale Art ihres Zigeunerdaseins über
ihr Elend hinweg; werden sie dreißig Jahre alt, dann halten natürlich die
romantischen Träume nicht mehr Stand, und dann werden sie entweder
Geschäftsleute, d. h. Viel- und Allesschreiber, oder suchen bei einer Nedciktivu
oder sonstwo ein Unterkommen, oder -- sie gehen zu Grunde. Das gilt für
die rein belletristische", die bloßen Unterhaltungstalente sowohl wie für die
Poetischen Talentchen, ja selbst manchen größern blüht kein andres Los. Die
Aussichten, sich heute mit Romanen und Novellen ein hinreichendes Einkommen
zu erwerben, sind außerordentlich gering. Ein Roman gewöhnlichen Umfangs
verlangt, wenn man etwas anständiges leisten will, ein halbes Jahr täglicher
Arbeit; es giebt aber kaum mehr als zwei Dutzend Schriftsteller in Deutsch¬
land, die für einen solchen Roman 3000 Mark (das deutsche Normaljahres¬
einkommen) oder gar darüber erhalten. Diese zwei Dutzend versorgen so
ziemlich alle anständigen, leidlich gut zahlenden Zeitschriften Deutschlands,
die Hunderte andrer Romanschriftsteller sind auf den Vertrieb ihrer Erzeug¬
nisse durch litterarische Bureaus (für die jene zwei Dutzend aber auch schreiben)
oder auf Verleger, die im Hinblick auf die Leihbibliotheken noch etwas Mut
besitzen, oder endlich auf befreundete Redakteure angewiesen. Mit Novellen,
ja selbst mit den kleinen Erzählungen ist es derselbe Fall. Etwas besser
würde es noch gehen, wenn nicht zu den deutschen Produzenten noch die zahl¬
reichen Übersetzer und namentlich Übersetzerinnen kämen, die den deutschen
Markt mit ausländischer Ware überschwemmen, und denen wieder rührige
Bureaus zur Verfügung stehen. Und dazu noch die unzähligen Dilettanten,
die ihre Werke auch umsonst abgeben, ja in vereinzelten Füllen wohl gar noch
den Abdruck bezahlen! Es ist also sehr schwer, mit belletristischen Arbeiten
Erfolg zu haben, sowohl Geld zu verdienen wie Ruhm zu erlangen. Dem¬
gegenüber muß man freilich wieder fugen, daß auch nur ein ganz geringer
Bruchteil unsrer erzählenden Litteratur Erfolg beanspruchen kaun. Was das
deutsche Durchschnittspublikum an Romanen verschlingt, was sür Mengen
und was für Zeug, ist unglaublich, und die sogenannten Gebildeten, besonders
die Frauen, leisten da vielfach nicht weniger schreckliches als das Volk. Es
wird kulturgeschichtlich einst sehr lehrreich sein, die Mode auf dem Gebiet der
Unterhaltungslitteratur zu verfolgen. Sie ist heute nicht bloß, wie man wohl
annimmt, der Bodensatz der vornehmen, "litterarischen" Litteratur, sondern
vielfach unmittelbar vom Tage und seinen Ereignissen beeinflußt, durch sie


Der litterarische Erfolg

Das wahre Elend beginnt aber erst auf dem belletristischen Gebiete, also
bei den „Dichtern" und, nicht zu vergessen, den „Dichterinnen." Ich weiß
wohl, sie halten sich nicht alle für poetische Talente oder gar Genies, die
unermüdlichen Verfasser von Romanen, Novellen, Humoresken u. s. w., sie
wollen vielfach nichts weiter sein als ehrliche Arbeiter ums liebe Brot und
sind denn manchmal wirklich Proletarier, die von der Hand in den Mund leben.
Jüngere Leute täuscht oft die scheinbar geniale Art ihres Zigeunerdaseins über
ihr Elend hinweg; werden sie dreißig Jahre alt, dann halten natürlich die
romantischen Träume nicht mehr Stand, und dann werden sie entweder
Geschäftsleute, d. h. Viel- und Allesschreiber, oder suchen bei einer Nedciktivu
oder sonstwo ein Unterkommen, oder — sie gehen zu Grunde. Das gilt für
die rein belletristische«, die bloßen Unterhaltungstalente sowohl wie für die
Poetischen Talentchen, ja selbst manchen größern blüht kein andres Los. Die
Aussichten, sich heute mit Romanen und Novellen ein hinreichendes Einkommen
zu erwerben, sind außerordentlich gering. Ein Roman gewöhnlichen Umfangs
verlangt, wenn man etwas anständiges leisten will, ein halbes Jahr täglicher
Arbeit; es giebt aber kaum mehr als zwei Dutzend Schriftsteller in Deutsch¬
land, die für einen solchen Roman 3000 Mark (das deutsche Normaljahres¬
einkommen) oder gar darüber erhalten. Diese zwei Dutzend versorgen so
ziemlich alle anständigen, leidlich gut zahlenden Zeitschriften Deutschlands,
die Hunderte andrer Romanschriftsteller sind auf den Vertrieb ihrer Erzeug¬
nisse durch litterarische Bureaus (für die jene zwei Dutzend aber auch schreiben)
oder auf Verleger, die im Hinblick auf die Leihbibliotheken noch etwas Mut
besitzen, oder endlich auf befreundete Redakteure angewiesen. Mit Novellen,
ja selbst mit den kleinen Erzählungen ist es derselbe Fall. Etwas besser
würde es noch gehen, wenn nicht zu den deutschen Produzenten noch die zahl¬
reichen Übersetzer und namentlich Übersetzerinnen kämen, die den deutschen
Markt mit ausländischer Ware überschwemmen, und denen wieder rührige
Bureaus zur Verfügung stehen. Und dazu noch die unzähligen Dilettanten,
die ihre Werke auch umsonst abgeben, ja in vereinzelten Füllen wohl gar noch
den Abdruck bezahlen! Es ist also sehr schwer, mit belletristischen Arbeiten
Erfolg zu haben, sowohl Geld zu verdienen wie Ruhm zu erlangen. Dem¬
gegenüber muß man freilich wieder fugen, daß auch nur ein ganz geringer
Bruchteil unsrer erzählenden Litteratur Erfolg beanspruchen kaun. Was das
deutsche Durchschnittspublikum an Romanen verschlingt, was sür Mengen
und was für Zeug, ist unglaublich, und die sogenannten Gebildeten, besonders
die Frauen, leisten da vielfach nicht weniger schreckliches als das Volk. Es
wird kulturgeschichtlich einst sehr lehrreich sein, die Mode auf dem Gebiet der
Unterhaltungslitteratur zu verfolgen. Sie ist heute nicht bloß, wie man wohl
annimmt, der Bodensatz der vornehmen, „litterarischen" Litteratur, sondern
vielfach unmittelbar vom Tage und seinen Ereignissen beeinflußt, durch sie


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[0481] Der litterarische Erfolg Das wahre Elend beginnt aber erst auf dem belletristischen Gebiete, also bei den „Dichtern" und, nicht zu vergessen, den „Dichterinnen." Ich weiß wohl, sie halten sich nicht alle für poetische Talente oder gar Genies, die unermüdlichen Verfasser von Romanen, Novellen, Humoresken u. s. w., sie wollen vielfach nichts weiter sein als ehrliche Arbeiter ums liebe Brot und sind denn manchmal wirklich Proletarier, die von der Hand in den Mund leben. Jüngere Leute täuscht oft die scheinbar geniale Art ihres Zigeunerdaseins über ihr Elend hinweg; werden sie dreißig Jahre alt, dann halten natürlich die romantischen Träume nicht mehr Stand, und dann werden sie entweder Geschäftsleute, d. h. Viel- und Allesschreiber, oder suchen bei einer Nedciktivu oder sonstwo ein Unterkommen, oder — sie gehen zu Grunde. Das gilt für die rein belletristische«, die bloßen Unterhaltungstalente sowohl wie für die Poetischen Talentchen, ja selbst manchen größern blüht kein andres Los. Die Aussichten, sich heute mit Romanen und Novellen ein hinreichendes Einkommen zu erwerben, sind außerordentlich gering. Ein Roman gewöhnlichen Umfangs verlangt, wenn man etwas anständiges leisten will, ein halbes Jahr täglicher Arbeit; es giebt aber kaum mehr als zwei Dutzend Schriftsteller in Deutsch¬ land, die für einen solchen Roman 3000 Mark (das deutsche Normaljahres¬ einkommen) oder gar darüber erhalten. Diese zwei Dutzend versorgen so ziemlich alle anständigen, leidlich gut zahlenden Zeitschriften Deutschlands, die Hunderte andrer Romanschriftsteller sind auf den Vertrieb ihrer Erzeug¬ nisse durch litterarische Bureaus (für die jene zwei Dutzend aber auch schreiben) oder auf Verleger, die im Hinblick auf die Leihbibliotheken noch etwas Mut besitzen, oder endlich auf befreundete Redakteure angewiesen. Mit Novellen, ja selbst mit den kleinen Erzählungen ist es derselbe Fall. Etwas besser würde es noch gehen, wenn nicht zu den deutschen Produzenten noch die zahl¬ reichen Übersetzer und namentlich Übersetzerinnen kämen, die den deutschen Markt mit ausländischer Ware überschwemmen, und denen wieder rührige Bureaus zur Verfügung stehen. Und dazu noch die unzähligen Dilettanten, die ihre Werke auch umsonst abgeben, ja in vereinzelten Füllen wohl gar noch den Abdruck bezahlen! Es ist also sehr schwer, mit belletristischen Arbeiten Erfolg zu haben, sowohl Geld zu verdienen wie Ruhm zu erlangen. Dem¬ gegenüber muß man freilich wieder fugen, daß auch nur ein ganz geringer Bruchteil unsrer erzählenden Litteratur Erfolg beanspruchen kaun. Was das deutsche Durchschnittspublikum an Romanen verschlingt, was sür Mengen und was für Zeug, ist unglaublich, und die sogenannten Gebildeten, besonders die Frauen, leisten da vielfach nicht weniger schreckliches als das Volk. Es wird kulturgeschichtlich einst sehr lehrreich sein, die Mode auf dem Gebiet der Unterhaltungslitteratur zu verfolgen. Sie ist heute nicht bloß, wie man wohl annimmt, der Bodensatz der vornehmen, „litterarischen" Litteratur, sondern vielfach unmittelbar vom Tage und seinen Ereignissen beeinflußt, durch sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/481>, abgerufen am 23.07.2024.