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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Alan Huber

warum wollen Sie gerade mich nicht auf meinem Wege versuchen lassen, was
Sie auf dem Ihrigen verfolgen? Und sind wir denn wirklich in Bezug auf
den Weg prinzipiell verschiede"? Sie sagen: "übrigens haben wir schon öfters
erklärt: wem, die aristokratischen Elemente des Volkslebens in der Verkennung
oder Vernachlässigung ihres sozialen Berufs verharren, und wenn die Arbeiter
selbst sich unfähig zeigen, sich im größern Maße selbst zu helfen," so würden
Sie auch für weitgehende Staatsiniticitive sein. Nun, verehrter Herr, wir
unterscheiden uns nur dadurch, daß für mich diese Wenn seit lange keine Wenn
mehr sind, sondern nach meiner gesamten wissenschaftlichen Geschichtsauffassung
Mge da nicht weit näher: nach meiner und Ihrer Erfahrung?j unbedingte
Thatsachen. -- Sie hassen meinen Weg, den der Massenagitativn! Ich möchte
sagen, Sie haben dazu ein gewisses subjektives Recht. Wenn nämlich auch
nur ein Drittel oder ein Zehntel oder ein Zwanzigstel der Besitzenden wäre
wie Sie, so voll von Liebe und ehrlichem Wohlwollen für die Sache der Ar¬
beiter und der untern Klassen überhaupt, so uneigennützig und aufopferungs-
fühig, ja dann wäre mein Weg der Masfenagitation sehr unnötig, und dann
würde ich auch nie dazu gegriffen haben! sehen Sie doch, wie vereinzelt Sie
dastehen im konservativen Lager! Wenn diese Ihre Vereinzelung ein Grund
ist, Ihnen eine ganz ausnahmsweise hohe Achtung zu widmen, so ist dieselbe
Vereinsamung aber auch ein Grund, der mich berechtigt, den Weg der Massen¬
agitation zu beschreiten. In meinem beifolgenden Werke habe ich hinreichend
ausführlich auseinandergesetzt, warum ich in dem Manschen im kleinen nichts
wirklich Nützliches und Praktisches erblicken kann. Ich kann also nichts andres
thun, als Massenerkenntnis hervorrufen und freilich damit auch Masseu-
aufregung. Das ist aber auf die Länge ganz eminent praktisch! Ja gerade,
wenn Sie uns beide -- mich und sich -- vergleichen, können Sie schon an
den jetzigen Resultaten sehen, wie praktisch dies ist. In der That, wie lange
machen Sie nicht schon mit der rührendsten Liebe, dem größten Eifer den
Prediger in der Wüste in ihrer Partei? Was hat das genützt? Ich und noch
ein paar Dutzend Menschen, sür die Sie gerade nicht schrieben, haben Sie aus
Ihren Schriften lieben gelernt -- das war alles! Sonst hat kein Mensch Notiz
davon genommen, und die Organe Ihrer eignen Partei haben Sie totgeschwiegen.
Sie beklagen sich darüber ja selbst so oft, so wahr, so rührend in Ihren
Werken. -- Nun sehen Sie mich an, meine Agitation dauert erst neun Monate,
und rechts und links und hüben und drüben ist die Sache zur allgemeinen
Tagesfrage gemacht, und ist es auch noch nicht bis in die Gehirne, so ist es
doch schon bis an die Trommelfelle aller Menschen gedrungen -- was doch der
erste Schritt ist --, und jedes Blatt Ihrer eignen Partei hat siebenundsiebzig-
mal mehr Notiz von mir genommen, als alle Blätter zusammen von den Ihrigen
in vielen Jahren. Und warum? Nun ganz einfach, weil ich auftrat, Zorn
im Blick und Drohung in der Geberde; weil man mir die feindseligsten Ab-


Victor Alan Huber

warum wollen Sie gerade mich nicht auf meinem Wege versuchen lassen, was
Sie auf dem Ihrigen verfolgen? Und sind wir denn wirklich in Bezug auf
den Weg prinzipiell verschiede»? Sie sagen: »übrigens haben wir schon öfters
erklärt: wem, die aristokratischen Elemente des Volkslebens in der Verkennung
oder Vernachlässigung ihres sozialen Berufs verharren, und wenn die Arbeiter
selbst sich unfähig zeigen, sich im größern Maße selbst zu helfen,« so würden
Sie auch für weitgehende Staatsiniticitive sein. Nun, verehrter Herr, wir
unterscheiden uns nur dadurch, daß für mich diese Wenn seit lange keine Wenn
mehr sind, sondern nach meiner gesamten wissenschaftlichen Geschichtsauffassung
Mge da nicht weit näher: nach meiner und Ihrer Erfahrung?j unbedingte
Thatsachen. — Sie hassen meinen Weg, den der Massenagitativn! Ich möchte
sagen, Sie haben dazu ein gewisses subjektives Recht. Wenn nämlich auch
nur ein Drittel oder ein Zehntel oder ein Zwanzigstel der Besitzenden wäre
wie Sie, so voll von Liebe und ehrlichem Wohlwollen für die Sache der Ar¬
beiter und der untern Klassen überhaupt, so uneigennützig und aufopferungs-
fühig, ja dann wäre mein Weg der Masfenagitation sehr unnötig, und dann
würde ich auch nie dazu gegriffen haben! sehen Sie doch, wie vereinzelt Sie
dastehen im konservativen Lager! Wenn diese Ihre Vereinzelung ein Grund
ist, Ihnen eine ganz ausnahmsweise hohe Achtung zu widmen, so ist dieselbe
Vereinsamung aber auch ein Grund, der mich berechtigt, den Weg der Massen¬
agitation zu beschreiten. In meinem beifolgenden Werke habe ich hinreichend
ausführlich auseinandergesetzt, warum ich in dem Manschen im kleinen nichts
wirklich Nützliches und Praktisches erblicken kann. Ich kann also nichts andres
thun, als Massenerkenntnis hervorrufen und freilich damit auch Masseu-
aufregung. Das ist aber auf die Länge ganz eminent praktisch! Ja gerade,
wenn Sie uns beide — mich und sich — vergleichen, können Sie schon an
den jetzigen Resultaten sehen, wie praktisch dies ist. In der That, wie lange
machen Sie nicht schon mit der rührendsten Liebe, dem größten Eifer den
Prediger in der Wüste in ihrer Partei? Was hat das genützt? Ich und noch
ein paar Dutzend Menschen, sür die Sie gerade nicht schrieben, haben Sie aus
Ihren Schriften lieben gelernt — das war alles! Sonst hat kein Mensch Notiz
davon genommen, und die Organe Ihrer eignen Partei haben Sie totgeschwiegen.
Sie beklagen sich darüber ja selbst so oft, so wahr, so rührend in Ihren
Werken. — Nun sehen Sie mich an, meine Agitation dauert erst neun Monate,
und rechts und links und hüben und drüben ist die Sache zur allgemeinen
Tagesfrage gemacht, und ist es auch noch nicht bis in die Gehirne, so ist es
doch schon bis an die Trommelfelle aller Menschen gedrungen — was doch der
erste Schritt ist —, und jedes Blatt Ihrer eignen Partei hat siebenundsiebzig-
mal mehr Notiz von mir genommen, als alle Blätter zusammen von den Ihrigen
in vielen Jahren. Und warum? Nun ganz einfach, weil ich auftrat, Zorn
im Blick und Drohung in der Geberde; weil man mir die feindseligsten Ab-


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[0474] Victor Alan Huber warum wollen Sie gerade mich nicht auf meinem Wege versuchen lassen, was Sie auf dem Ihrigen verfolgen? Und sind wir denn wirklich in Bezug auf den Weg prinzipiell verschiede»? Sie sagen: »übrigens haben wir schon öfters erklärt: wem, die aristokratischen Elemente des Volkslebens in der Verkennung oder Vernachlässigung ihres sozialen Berufs verharren, und wenn die Arbeiter selbst sich unfähig zeigen, sich im größern Maße selbst zu helfen,« so würden Sie auch für weitgehende Staatsiniticitive sein. Nun, verehrter Herr, wir unterscheiden uns nur dadurch, daß für mich diese Wenn seit lange keine Wenn mehr sind, sondern nach meiner gesamten wissenschaftlichen Geschichtsauffassung Mge da nicht weit näher: nach meiner und Ihrer Erfahrung?j unbedingte Thatsachen. — Sie hassen meinen Weg, den der Massenagitativn! Ich möchte sagen, Sie haben dazu ein gewisses subjektives Recht. Wenn nämlich auch nur ein Drittel oder ein Zehntel oder ein Zwanzigstel der Besitzenden wäre wie Sie, so voll von Liebe und ehrlichem Wohlwollen für die Sache der Ar¬ beiter und der untern Klassen überhaupt, so uneigennützig und aufopferungs- fühig, ja dann wäre mein Weg der Masfenagitation sehr unnötig, und dann würde ich auch nie dazu gegriffen haben! sehen Sie doch, wie vereinzelt Sie dastehen im konservativen Lager! Wenn diese Ihre Vereinzelung ein Grund ist, Ihnen eine ganz ausnahmsweise hohe Achtung zu widmen, so ist dieselbe Vereinsamung aber auch ein Grund, der mich berechtigt, den Weg der Massen¬ agitation zu beschreiten. In meinem beifolgenden Werke habe ich hinreichend ausführlich auseinandergesetzt, warum ich in dem Manschen im kleinen nichts wirklich Nützliches und Praktisches erblicken kann. Ich kann also nichts andres thun, als Massenerkenntnis hervorrufen und freilich damit auch Masseu- aufregung. Das ist aber auf die Länge ganz eminent praktisch! Ja gerade, wenn Sie uns beide — mich und sich — vergleichen, können Sie schon an den jetzigen Resultaten sehen, wie praktisch dies ist. In der That, wie lange machen Sie nicht schon mit der rührendsten Liebe, dem größten Eifer den Prediger in der Wüste in ihrer Partei? Was hat das genützt? Ich und noch ein paar Dutzend Menschen, sür die Sie gerade nicht schrieben, haben Sie aus Ihren Schriften lieben gelernt — das war alles! Sonst hat kein Mensch Notiz davon genommen, und die Organe Ihrer eignen Partei haben Sie totgeschwiegen. Sie beklagen sich darüber ja selbst so oft, so wahr, so rührend in Ihren Werken. — Nun sehen Sie mich an, meine Agitation dauert erst neun Monate, und rechts und links und hüben und drüben ist die Sache zur allgemeinen Tagesfrage gemacht, und ist es auch noch nicht bis in die Gehirne, so ist es doch schon bis an die Trommelfelle aller Menschen gedrungen — was doch der erste Schritt ist —, und jedes Blatt Ihrer eignen Partei hat siebenundsiebzig- mal mehr Notiz von mir genommen, als alle Blätter zusammen von den Ihrigen in vielen Jahren. Und warum? Nun ganz einfach, weil ich auftrat, Zorn im Blick und Drohung in der Geberde; weil man mir die feindseligsten Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/474>, abgerufen am 23.07.2024.