Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Stölzels juristische Lehrmethode

Juristen erscheine in allem, was die Vorbereitung für die Prüfungen betreffe,
der Vorsitzende der großen Prüfungskommission wohl als höchste und unan¬
fechtbare Autorität. Wenn sie nun sähen, daß dieser Mann sein Praktikum
als eine ganz neue Art der Vorbereitung einzuführen scheine, für deren Be¬
rechtigung er sich auf längst vergangne Geister -- Leibniz, Wolf, Klüber und
Koch -- berufen zu müssen glaube, so würden sie leicht zu dem Schlüsse
geneigt sei": Also mit der bisher üblichen Methode ist es nichts; hier ist die
einzig brauchbare Methode gezeigt, wie ein Praktikum gehalten werden muß,
um nutzbringend zu sein; wenn es der Professor nicht ebenso hält, so hat es
für mich keinen Wert, seine Übungen zu besuchen. Unterstützt werde diese
Ansicht vielleicht noch dadurch, daß das Buch nicht bloß den jungen Juristen,
sondern auch ihren Beratern gewidmet sei, zu denen doch wohl in erster Linie
die Dozenten gehörten.

Diesen Ausführungen möchte ich zunächst entgegenstellen, daß ich von der
Urteilskraft I.und dem Urteilsmut unsrer studirenden Jugend doch eine bessere
Meinung habe. Besinne ich mich recht, so waren wir, meine Jugendgenossen
und ich, keineswegs einem übermäßigen Autoritätsglauben zugeneigt; im Gegen¬
teil, wie wir auf der Schule keck und frei unsre Lehrer beurteilt, sie erhoben
und manchmal auch verurteilt hatten, so setzten wir das ungenirterweise auf
der Universität fort. Wir würden damit auch nicht Halt gemacht haben vor
dem Präsidenten der Justizprüfnngskommission; wir wären nicht davor zurück¬
geschreckt, sein Kolleg ledern und langweilig oder unklar zu schelten, wenn es
uns so erschienen wäre, und daraus wegzubleiben. Und was mehr ist: ich
halte die Urteile, die wir damals über unsre Lehrer fällten, noch heute für
richtig. Ich bin daher überzeugt, daß auch die heutige studirende Jugend recht
gut zu urteilen wissen wird; sie wird sich von einem Universitätslehrer, wenn
er nur sonst in ähnlicher Weise wie Stölzel ihr Interesse zu wecken weiß,
nicht deshalb abwenden, weil er in dem Lehrmittel von Stölzel abweicht. Ob
er die Studien nun dadurch zu beleben versteht, daß er fehlerhafte Gerichts-
schriften vorlegt oder in andrer Weise, etwa indem er in sokratischer Manier
durch Abfragen der Einzelnen den Gegenstand entwickelt, oder indem er seine
Zuhörer mit verteilten Rollen Prozesse aufführen läßt, oder indem er mit ihnen
juristische Spaziergänge macht durch Feld und Flur, durch Straße und Markt,
durch Auwaltsstube und Gerichtssaal, das wird der Hörerschaft gleich bleiben.
Als bester Maßstab für den Wert eines Lehrers wird immer der dauernde
Beifall und Zuspruch seiner Hörer zu gelten haben.

Ich komme nun zu dem von Stölzel benutzten Bilde einer juristischen
Klinik. Der Vergleich hinkt -- sagt der Verfasser der Kritik --; den Patienten
des Mediziners entspricht nicht ein fehlerhaftes Erkenntnis, sondern ein noch
nicht entschiedner Rechtsfall. Sehr richtig. Aber wenn man das streitige
Rechtsverhältnis passend mit einer Krankheit vergleichen kann, die der Heilung


Stölzels juristische Lehrmethode

Juristen erscheine in allem, was die Vorbereitung für die Prüfungen betreffe,
der Vorsitzende der großen Prüfungskommission wohl als höchste und unan¬
fechtbare Autorität. Wenn sie nun sähen, daß dieser Mann sein Praktikum
als eine ganz neue Art der Vorbereitung einzuführen scheine, für deren Be¬
rechtigung er sich auf längst vergangne Geister — Leibniz, Wolf, Klüber und
Koch — berufen zu müssen glaube, so würden sie leicht zu dem Schlüsse
geneigt sei»: Also mit der bisher üblichen Methode ist es nichts; hier ist die
einzig brauchbare Methode gezeigt, wie ein Praktikum gehalten werden muß,
um nutzbringend zu sein; wenn es der Professor nicht ebenso hält, so hat es
für mich keinen Wert, seine Übungen zu besuchen. Unterstützt werde diese
Ansicht vielleicht noch dadurch, daß das Buch nicht bloß den jungen Juristen,
sondern auch ihren Beratern gewidmet sei, zu denen doch wohl in erster Linie
die Dozenten gehörten.

Diesen Ausführungen möchte ich zunächst entgegenstellen, daß ich von der
Urteilskraft I.und dem Urteilsmut unsrer studirenden Jugend doch eine bessere
Meinung habe. Besinne ich mich recht, so waren wir, meine Jugendgenossen
und ich, keineswegs einem übermäßigen Autoritätsglauben zugeneigt; im Gegen¬
teil, wie wir auf der Schule keck und frei unsre Lehrer beurteilt, sie erhoben
und manchmal auch verurteilt hatten, so setzten wir das ungenirterweise auf
der Universität fort. Wir würden damit auch nicht Halt gemacht haben vor
dem Präsidenten der Justizprüfnngskommission; wir wären nicht davor zurück¬
geschreckt, sein Kolleg ledern und langweilig oder unklar zu schelten, wenn es
uns so erschienen wäre, und daraus wegzubleiben. Und was mehr ist: ich
halte die Urteile, die wir damals über unsre Lehrer fällten, noch heute für
richtig. Ich bin daher überzeugt, daß auch die heutige studirende Jugend recht
gut zu urteilen wissen wird; sie wird sich von einem Universitätslehrer, wenn
er nur sonst in ähnlicher Weise wie Stölzel ihr Interesse zu wecken weiß,
nicht deshalb abwenden, weil er in dem Lehrmittel von Stölzel abweicht. Ob
er die Studien nun dadurch zu beleben versteht, daß er fehlerhafte Gerichts-
schriften vorlegt oder in andrer Weise, etwa indem er in sokratischer Manier
durch Abfragen der Einzelnen den Gegenstand entwickelt, oder indem er seine
Zuhörer mit verteilten Rollen Prozesse aufführen läßt, oder indem er mit ihnen
juristische Spaziergänge macht durch Feld und Flur, durch Straße und Markt,
durch Auwaltsstube und Gerichtssaal, das wird der Hörerschaft gleich bleiben.
Als bester Maßstab für den Wert eines Lehrers wird immer der dauernde
Beifall und Zuspruch seiner Hörer zu gelten haben.

Ich komme nun zu dem von Stölzel benutzten Bilde einer juristischen
Klinik. Der Vergleich hinkt — sagt der Verfasser der Kritik —; den Patienten
des Mediziners entspricht nicht ein fehlerhaftes Erkenntnis, sondern ein noch
nicht entschiedner Rechtsfall. Sehr richtig. Aber wenn man das streitige
Rechtsverhältnis passend mit einer Krankheit vergleichen kann, die der Heilung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219463"/>
          <fw type="header" place="top"> Stölzels juristische Lehrmethode</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1369" prev="#ID_1368"> Juristen erscheine in allem, was die Vorbereitung für die Prüfungen betreffe,<lb/>
der Vorsitzende der großen Prüfungskommission wohl als höchste und unan¬<lb/>
fechtbare Autorität. Wenn sie nun sähen, daß dieser Mann sein Praktikum<lb/>
als eine ganz neue Art der Vorbereitung einzuführen scheine, für deren Be¬<lb/>
rechtigung er sich auf längst vergangne Geister &#x2014; Leibniz, Wolf, Klüber und<lb/>
Koch &#x2014; berufen zu müssen glaube, so würden sie leicht zu dem Schlüsse<lb/>
geneigt sei»: Also mit der bisher üblichen Methode ist es nichts; hier ist die<lb/>
einzig brauchbare Methode gezeigt, wie ein Praktikum gehalten werden muß,<lb/>
um nutzbringend zu sein; wenn es der Professor nicht ebenso hält, so hat es<lb/>
für mich keinen Wert, seine Übungen zu besuchen. Unterstützt werde diese<lb/>
Ansicht vielleicht noch dadurch, daß das Buch nicht bloß den jungen Juristen,<lb/>
sondern auch ihren Beratern gewidmet sei, zu denen doch wohl in erster Linie<lb/>
die Dozenten gehörten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1370"> Diesen Ausführungen möchte ich zunächst entgegenstellen, daß ich von der<lb/>
Urteilskraft I.und dem Urteilsmut unsrer studirenden Jugend doch eine bessere<lb/>
Meinung habe. Besinne ich mich recht, so waren wir, meine Jugendgenossen<lb/>
und ich, keineswegs einem übermäßigen Autoritätsglauben zugeneigt; im Gegen¬<lb/>
teil, wie wir auf der Schule keck und frei unsre Lehrer beurteilt, sie erhoben<lb/>
und manchmal auch verurteilt hatten, so setzten wir das ungenirterweise auf<lb/>
der Universität fort. Wir würden damit auch nicht Halt gemacht haben vor<lb/>
dem Präsidenten der Justizprüfnngskommission; wir wären nicht davor zurück¬<lb/>
geschreckt, sein Kolleg ledern und langweilig oder unklar zu schelten, wenn es<lb/>
uns so erschienen wäre, und daraus wegzubleiben. Und was mehr ist: ich<lb/>
halte die Urteile, die wir damals über unsre Lehrer fällten, noch heute für<lb/>
richtig. Ich bin daher überzeugt, daß auch die heutige studirende Jugend recht<lb/>
gut zu urteilen wissen wird; sie wird sich von einem Universitätslehrer, wenn<lb/>
er nur sonst in ähnlicher Weise wie Stölzel ihr Interesse zu wecken weiß,<lb/>
nicht deshalb abwenden, weil er in dem Lehrmittel von Stölzel abweicht. Ob<lb/>
er die Studien nun dadurch zu beleben versteht, daß er fehlerhafte Gerichts-<lb/>
schriften vorlegt oder in andrer Weise, etwa indem er in sokratischer Manier<lb/>
durch Abfragen der Einzelnen den Gegenstand entwickelt, oder indem er seine<lb/>
Zuhörer mit verteilten Rollen Prozesse aufführen läßt, oder indem er mit ihnen<lb/>
juristische Spaziergänge macht durch Feld und Flur, durch Straße und Markt,<lb/>
durch Auwaltsstube und Gerichtssaal, das wird der Hörerschaft gleich bleiben.<lb/>
Als bester Maßstab für den Wert eines Lehrers wird immer der dauernde<lb/>
Beifall und Zuspruch seiner Hörer zu gelten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1371" next="#ID_1372"> Ich komme nun zu dem von Stölzel benutzten Bilde einer juristischen<lb/>
Klinik. Der Vergleich hinkt &#x2014; sagt der Verfasser der Kritik &#x2014;; den Patienten<lb/>
des Mediziners entspricht nicht ein fehlerhaftes Erkenntnis, sondern ein noch<lb/>
nicht entschiedner Rechtsfall. Sehr richtig. Aber wenn man das streitige<lb/>
Rechtsverhältnis passend mit einer Krankheit vergleichen kann, die der Heilung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] Stölzels juristische Lehrmethode Juristen erscheine in allem, was die Vorbereitung für die Prüfungen betreffe, der Vorsitzende der großen Prüfungskommission wohl als höchste und unan¬ fechtbare Autorität. Wenn sie nun sähen, daß dieser Mann sein Praktikum als eine ganz neue Art der Vorbereitung einzuführen scheine, für deren Be¬ rechtigung er sich auf längst vergangne Geister — Leibniz, Wolf, Klüber und Koch — berufen zu müssen glaube, so würden sie leicht zu dem Schlüsse geneigt sei»: Also mit der bisher üblichen Methode ist es nichts; hier ist die einzig brauchbare Methode gezeigt, wie ein Praktikum gehalten werden muß, um nutzbringend zu sein; wenn es der Professor nicht ebenso hält, so hat es für mich keinen Wert, seine Übungen zu besuchen. Unterstützt werde diese Ansicht vielleicht noch dadurch, daß das Buch nicht bloß den jungen Juristen, sondern auch ihren Beratern gewidmet sei, zu denen doch wohl in erster Linie die Dozenten gehörten. Diesen Ausführungen möchte ich zunächst entgegenstellen, daß ich von der Urteilskraft I.und dem Urteilsmut unsrer studirenden Jugend doch eine bessere Meinung habe. Besinne ich mich recht, so waren wir, meine Jugendgenossen und ich, keineswegs einem übermäßigen Autoritätsglauben zugeneigt; im Gegen¬ teil, wie wir auf der Schule keck und frei unsre Lehrer beurteilt, sie erhoben und manchmal auch verurteilt hatten, so setzten wir das ungenirterweise auf der Universität fort. Wir würden damit auch nicht Halt gemacht haben vor dem Präsidenten der Justizprüfnngskommission; wir wären nicht davor zurück¬ geschreckt, sein Kolleg ledern und langweilig oder unklar zu schelten, wenn es uns so erschienen wäre, und daraus wegzubleiben. Und was mehr ist: ich halte die Urteile, die wir damals über unsre Lehrer fällten, noch heute für richtig. Ich bin daher überzeugt, daß auch die heutige studirende Jugend recht gut zu urteilen wissen wird; sie wird sich von einem Universitätslehrer, wenn er nur sonst in ähnlicher Weise wie Stölzel ihr Interesse zu wecken weiß, nicht deshalb abwenden, weil er in dem Lehrmittel von Stölzel abweicht. Ob er die Studien nun dadurch zu beleben versteht, daß er fehlerhafte Gerichts- schriften vorlegt oder in andrer Weise, etwa indem er in sokratischer Manier durch Abfragen der Einzelnen den Gegenstand entwickelt, oder indem er seine Zuhörer mit verteilten Rollen Prozesse aufführen läßt, oder indem er mit ihnen juristische Spaziergänge macht durch Feld und Flur, durch Straße und Markt, durch Auwaltsstube und Gerichtssaal, das wird der Hörerschaft gleich bleiben. Als bester Maßstab für den Wert eines Lehrers wird immer der dauernde Beifall und Zuspruch seiner Hörer zu gelten haben. Ich komme nun zu dem von Stölzel benutzten Bilde einer juristischen Klinik. Der Vergleich hinkt — sagt der Verfasser der Kritik —; den Patienten des Mediziners entspricht nicht ein fehlerhaftes Erkenntnis, sondern ein noch nicht entschiedner Rechtsfall. Sehr richtig. Aber wenn man das streitige Rechtsverhältnis passend mit einer Krankheit vergleichen kann, die der Heilung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/461>, abgerufen am 25.08.2024.