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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Nachfolger

Monate gewährt, und schon hat er die Überzeugung gewonnen, daß die schönsten
Hoffnungen, die er an seine parlamentarische Thätigkeit knüpfte, nichts als
Wolte Träume waren, und täglich hinzutretende Erfahrungen, belehren "ilM
daß andre, die er noch hegt, ebenfalls dahinwelken werden.

Aber der Held eines Romans gewinnt ja nicht bloß durch die Thätigkeit
Interesse, die er für sein Leben gewählt hat, sondern vor allem auch durch
die tiefern seelischen Beziehungen, in die er vom Schicksal zu andern Menschen
gebracht wird. Auf seiner Reise nach Berlin hat Hornung Bekanntschaft mit
einer Erzieherin gemacht, die mit ihm das gleiche Reiseziel hatte. Diese Be¬
kanntschaft, die sich im Laufe der Tage zu herzlicher Freundschaft erweitert,
wird ihm ebenso verhängnisvoll wie das Verhältnis, in das er zu der Frau
eines Ministers tritt, die Grund dazu zu haben glaubt, sich von ihrem Manne
scheiden zu lassen. Durch beide kommt er in die ärgsten Verlegenheiten.
Schließlich wird er nur dadurch vor dem Geschick bewahrt, in einem ameri¬
kanischen Duell zu fallen, daß noch in dem entscheidenden Augenblick seinem
Gegner seine völlige Unschuld dargelegt wird. Dies alles macht ihm den
Aufenthalt in der Residenz unleidlich, seine Thätigkeit im Reichstage uner¬
träglich. Nachdem er sein Mandat niedergelegt hat, kehrt er in die Heimat
zurück, Um in stiller Arbeit an sich und in dem kleinen Kreise von Menschen,
die auf ihn angewiesen sind, Befriedigung und Glück zu finden. Soweit der
Inhalt, von dem ich in der besten Absicht nicht mehr verraten habe, als für
die Beurteilung der Erzählung unbedingt notwendig ist.

Wenn nun jemand der Meinung fein wollte, daß ein fo der unmittelbaren
Gegenwart entnommner Stoff schon seiner Aktualität wegen Erwartung und
Spannung im Leser wachrufen müsse, fo könnte damit doch nur die müßige
Neugier gemeint sein, die dem gewöhnlichen, alltäglichen Klatsch entgegen¬
gebracht wird. Es muß auch hier wieder an die alte Wahrheit erinnert
werden, daß der Erzähler, der seinen Stoff der nächsten Umgebung entnimmt,
ans dem Wege, den er geht, nicht geringere Schwierigkeiten vorfindet, als der,
der ihn aus dem grauen Nebel einer ferner Vergangenheit heraufholt. Wenn
der eine Gefahr läuft, sich wie auf uferlosen Meeren zu verlieren, so ist bei
dem andern zu befürchten, daß er vom, Wellenschlage der Brandung über¬
schüttet und verschlungen werde. Der eine wie der andre muß das Steuer¬
ruder seines Fahrzeugs in fester Hand behalten, wenn er es im sichern Hafen
bergen will, das heißt, jeder Erzähler muß feinen Stoff beherrschen, mag er
ihn nehmen, woher er will, er muß ihn mit der sichern Hand des Meisters
behandeln, nur aus Meisterhand wird ein Gebild hervorgehen, das eines
mächtigen Eindrucks auf den Betrachter nicht verfehlen wird. Es ist aber
eine alte Wahrheit, daß nur der diese Sicherheit hat, der, wenn er auch große
und schwierige Arbeit ausführt, doch diese Arbeit nicht sehen läßt, dein es
gelingt, sein eignes Ich gewissermaßen totzuschlagen, dafür aber seinem Werke


Bismarcks Nachfolger

Monate gewährt, und schon hat er die Überzeugung gewonnen, daß die schönsten
Hoffnungen, die er an seine parlamentarische Thätigkeit knüpfte, nichts als
Wolte Träume waren, und täglich hinzutretende Erfahrungen, belehren "ilM
daß andre, die er noch hegt, ebenfalls dahinwelken werden.

Aber der Held eines Romans gewinnt ja nicht bloß durch die Thätigkeit
Interesse, die er für sein Leben gewählt hat, sondern vor allem auch durch
die tiefern seelischen Beziehungen, in die er vom Schicksal zu andern Menschen
gebracht wird. Auf seiner Reise nach Berlin hat Hornung Bekanntschaft mit
einer Erzieherin gemacht, die mit ihm das gleiche Reiseziel hatte. Diese Be¬
kanntschaft, die sich im Laufe der Tage zu herzlicher Freundschaft erweitert,
wird ihm ebenso verhängnisvoll wie das Verhältnis, in das er zu der Frau
eines Ministers tritt, die Grund dazu zu haben glaubt, sich von ihrem Manne
scheiden zu lassen. Durch beide kommt er in die ärgsten Verlegenheiten.
Schließlich wird er nur dadurch vor dem Geschick bewahrt, in einem ameri¬
kanischen Duell zu fallen, daß noch in dem entscheidenden Augenblick seinem
Gegner seine völlige Unschuld dargelegt wird. Dies alles macht ihm den
Aufenthalt in der Residenz unleidlich, seine Thätigkeit im Reichstage uner¬
träglich. Nachdem er sein Mandat niedergelegt hat, kehrt er in die Heimat
zurück, Um in stiller Arbeit an sich und in dem kleinen Kreise von Menschen,
die auf ihn angewiesen sind, Befriedigung und Glück zu finden. Soweit der
Inhalt, von dem ich in der besten Absicht nicht mehr verraten habe, als für
die Beurteilung der Erzählung unbedingt notwendig ist.

Wenn nun jemand der Meinung fein wollte, daß ein fo der unmittelbaren
Gegenwart entnommner Stoff schon seiner Aktualität wegen Erwartung und
Spannung im Leser wachrufen müsse, fo könnte damit doch nur die müßige
Neugier gemeint sein, die dem gewöhnlichen, alltäglichen Klatsch entgegen¬
gebracht wird. Es muß auch hier wieder an die alte Wahrheit erinnert
werden, daß der Erzähler, der seinen Stoff der nächsten Umgebung entnimmt,
ans dem Wege, den er geht, nicht geringere Schwierigkeiten vorfindet, als der,
der ihn aus dem grauen Nebel einer ferner Vergangenheit heraufholt. Wenn
der eine Gefahr läuft, sich wie auf uferlosen Meeren zu verlieren, so ist bei
dem andern zu befürchten, daß er vom, Wellenschlage der Brandung über¬
schüttet und verschlungen werde. Der eine wie der andre muß das Steuer¬
ruder seines Fahrzeugs in fester Hand behalten, wenn er es im sichern Hafen
bergen will, das heißt, jeder Erzähler muß feinen Stoff beherrschen, mag er
ihn nehmen, woher er will, er muß ihn mit der sichern Hand des Meisters
behandeln, nur aus Meisterhand wird ein Gebild hervorgehen, das eines
mächtigen Eindrucks auf den Betrachter nicht verfehlen wird. Es ist aber
eine alte Wahrheit, daß nur der diese Sicherheit hat, der, wenn er auch große
und schwierige Arbeit ausführt, doch diese Arbeit nicht sehen läßt, dein es
gelingt, sein eignes Ich gewissermaßen totzuschlagen, dafür aber seinem Werke


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[0044] Bismarcks Nachfolger Monate gewährt, und schon hat er die Überzeugung gewonnen, daß die schönsten Hoffnungen, die er an seine parlamentarische Thätigkeit knüpfte, nichts als Wolte Träume waren, und täglich hinzutretende Erfahrungen, belehren "ilM daß andre, die er noch hegt, ebenfalls dahinwelken werden. Aber der Held eines Romans gewinnt ja nicht bloß durch die Thätigkeit Interesse, die er für sein Leben gewählt hat, sondern vor allem auch durch die tiefern seelischen Beziehungen, in die er vom Schicksal zu andern Menschen gebracht wird. Auf seiner Reise nach Berlin hat Hornung Bekanntschaft mit einer Erzieherin gemacht, die mit ihm das gleiche Reiseziel hatte. Diese Be¬ kanntschaft, die sich im Laufe der Tage zu herzlicher Freundschaft erweitert, wird ihm ebenso verhängnisvoll wie das Verhältnis, in das er zu der Frau eines Ministers tritt, die Grund dazu zu haben glaubt, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen. Durch beide kommt er in die ärgsten Verlegenheiten. Schließlich wird er nur dadurch vor dem Geschick bewahrt, in einem ameri¬ kanischen Duell zu fallen, daß noch in dem entscheidenden Augenblick seinem Gegner seine völlige Unschuld dargelegt wird. Dies alles macht ihm den Aufenthalt in der Residenz unleidlich, seine Thätigkeit im Reichstage uner¬ träglich. Nachdem er sein Mandat niedergelegt hat, kehrt er in die Heimat zurück, Um in stiller Arbeit an sich und in dem kleinen Kreise von Menschen, die auf ihn angewiesen sind, Befriedigung und Glück zu finden. Soweit der Inhalt, von dem ich in der besten Absicht nicht mehr verraten habe, als für die Beurteilung der Erzählung unbedingt notwendig ist. Wenn nun jemand der Meinung fein wollte, daß ein fo der unmittelbaren Gegenwart entnommner Stoff schon seiner Aktualität wegen Erwartung und Spannung im Leser wachrufen müsse, fo könnte damit doch nur die müßige Neugier gemeint sein, die dem gewöhnlichen, alltäglichen Klatsch entgegen¬ gebracht wird. Es muß auch hier wieder an die alte Wahrheit erinnert werden, daß der Erzähler, der seinen Stoff der nächsten Umgebung entnimmt, ans dem Wege, den er geht, nicht geringere Schwierigkeiten vorfindet, als der, der ihn aus dem grauen Nebel einer ferner Vergangenheit heraufholt. Wenn der eine Gefahr läuft, sich wie auf uferlosen Meeren zu verlieren, so ist bei dem andern zu befürchten, daß er vom, Wellenschlage der Brandung über¬ schüttet und verschlungen werde. Der eine wie der andre muß das Steuer¬ ruder seines Fahrzeugs in fester Hand behalten, wenn er es im sichern Hafen bergen will, das heißt, jeder Erzähler muß feinen Stoff beherrschen, mag er ihn nehmen, woher er will, er muß ihn mit der sichern Hand des Meisters behandeln, nur aus Meisterhand wird ein Gebild hervorgehen, das eines mächtigen Eindrucks auf den Betrachter nicht verfehlen wird. Es ist aber eine alte Wahrheit, daß nur der diese Sicherheit hat, der, wenn er auch große und schwierige Arbeit ausführt, doch diese Arbeit nicht sehen läßt, dein es gelingt, sein eignes Ich gewissermaßen totzuschlagen, dafür aber seinem Werke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/44>, abgerufen am 23.07.2024.