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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor Alan Huber

leben. Und forderte er nach dem Kriege für Deutschösterreich die "Festhaltung
und Stärkung des geistigen und sittlichen Nexus mit Deutschland, d. h. mit
dem idealen Deutschland, das allein uns geblieben," so würde ihn die neueste,
konsequent in dieser Richtung und darüber hinaus fortschreitende Politik sicher
mit Befriedigung erfüllt haben. Auch der großdentsche Gedanke ist keines¬
wegs im Strom der Vergessenheit versunken. Er schläft nur, und das nächste
welthistorische Geräusch kann ihn aus dem Schlummer wecken. Vielleicht ist
es die soziale Frage, die in ihrer unabsehbaren Entwicklung noch einmal die
deutsche Frage aufrollen wird."

Wenn Huber vom Volke redete, so dachte er weder an das "gemeine"
Volk, noch meinte er einen beliebigen Menschenhaufen, der etwa nur durch
die gleiche Sprache und die Zwangsgewalt eines Staates zusammengehalten
wird, sondern hatte stets jene großen an ihrem sichtbaren Charakter äußerlich
kenntlichen Persönlichkeiten vor Augen, an deren Zerstörung die Büreaukratie,
der Mammonismus und der Industrialismus, der Weltverkehr und die Mode,
einander ergänzend, um die Wette arbeiten. Ungebrochen und unverhuuzt
war ihm der Volkscharakter in Spanien, zwar verdorben, aber noch kenntlich
in Schottland entgegengetreten, und auch in Mecklenburg fand er noch Winkel,
die, vom modernen Verkehr und Staatswesen unberührt, altväterischen Sitten
in eigner Gemeindeverfassung nachlebten. Am innigsten liebte er das spanische
Volk und wünschte dem deutschen, daß eine Reaktion den deutschen Volks¬
charakter wieder herstelle, wie die des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts
den bedrohten spanischen wieder hergestellt habe.

Es muß spaßhaft gewesen sein, die Gesichter zu sehen, die ohne Zweifel
die Mitglieder des Evangelischen Vereins in Berlin gemacht haben, als ihnen
Huber (es war im Winter 1851/52) in einem glänzenden Vortrage die In¬
quisition anpries. Sie werden geglaubt haben, er schnappe über. Das war
aber durchaus nicht der Fall. Wir haben selbst schon einmal, ohne Spanien
so genau zu kennen wie Huber, hervorgehoben, daß zwischen der spanischen
Inquisition und z. B. der Protcstantenausrottung in Osterreich ein himmel¬
weiter Unterschied bestehe, indem jene, weit entfernt davon, gegen das spanische
Volk gerichtet gewesen zu sein, aus dessen Geist und Willen hervorging. Lassen
wir diesmal den sachkundigem Huber reden: "Das christliche Spanien hatte
sich in dem siegreichen Kampfe gegen das mohammedanische Spanien vor den
auflösenden, zerrüttenden Wirkungen dieser Berührung nicht zu bewahren ver¬
mocht. Es stand in der größten Gefahr, auf dem endlich erkämpften und be¬
freiten Boden an den Wirkungen dieses Gifts zu Grunde zu gehen, oder einer
Zukunft entgegenzusiechen, die gerade die größten Kraftanstrengungen als un¬
erläßliche Bedingung der Rettung forderte, einer Zukunft, die von Afrika her
mit neuen Überschwemmungen des Islam, einem neuen blutigen Guadalete
drohte. Die Reaktion mußte in demselben Maße gewaltsam sein. Sie ging


Victor Alan Huber

leben. Und forderte er nach dem Kriege für Deutschösterreich die »Festhaltung
und Stärkung des geistigen und sittlichen Nexus mit Deutschland, d. h. mit
dem idealen Deutschland, das allein uns geblieben,« so würde ihn die neueste,
konsequent in dieser Richtung und darüber hinaus fortschreitende Politik sicher
mit Befriedigung erfüllt haben. Auch der großdentsche Gedanke ist keines¬
wegs im Strom der Vergessenheit versunken. Er schläft nur, und das nächste
welthistorische Geräusch kann ihn aus dem Schlummer wecken. Vielleicht ist
es die soziale Frage, die in ihrer unabsehbaren Entwicklung noch einmal die
deutsche Frage aufrollen wird."

Wenn Huber vom Volke redete, so dachte er weder an das „gemeine"
Volk, noch meinte er einen beliebigen Menschenhaufen, der etwa nur durch
die gleiche Sprache und die Zwangsgewalt eines Staates zusammengehalten
wird, sondern hatte stets jene großen an ihrem sichtbaren Charakter äußerlich
kenntlichen Persönlichkeiten vor Augen, an deren Zerstörung die Büreaukratie,
der Mammonismus und der Industrialismus, der Weltverkehr und die Mode,
einander ergänzend, um die Wette arbeiten. Ungebrochen und unverhuuzt
war ihm der Volkscharakter in Spanien, zwar verdorben, aber noch kenntlich
in Schottland entgegengetreten, und auch in Mecklenburg fand er noch Winkel,
die, vom modernen Verkehr und Staatswesen unberührt, altväterischen Sitten
in eigner Gemeindeverfassung nachlebten. Am innigsten liebte er das spanische
Volk und wünschte dem deutschen, daß eine Reaktion den deutschen Volks¬
charakter wieder herstelle, wie die des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts
den bedrohten spanischen wieder hergestellt habe.

Es muß spaßhaft gewesen sein, die Gesichter zu sehen, die ohne Zweifel
die Mitglieder des Evangelischen Vereins in Berlin gemacht haben, als ihnen
Huber (es war im Winter 1851/52) in einem glänzenden Vortrage die In¬
quisition anpries. Sie werden geglaubt haben, er schnappe über. Das war
aber durchaus nicht der Fall. Wir haben selbst schon einmal, ohne Spanien
so genau zu kennen wie Huber, hervorgehoben, daß zwischen der spanischen
Inquisition und z. B. der Protcstantenausrottung in Osterreich ein himmel¬
weiter Unterschied bestehe, indem jene, weit entfernt davon, gegen das spanische
Volk gerichtet gewesen zu sein, aus dessen Geist und Willen hervorging. Lassen
wir diesmal den sachkundigem Huber reden: „Das christliche Spanien hatte
sich in dem siegreichen Kampfe gegen das mohammedanische Spanien vor den
auflösenden, zerrüttenden Wirkungen dieser Berührung nicht zu bewahren ver¬
mocht. Es stand in der größten Gefahr, auf dem endlich erkämpften und be¬
freiten Boden an den Wirkungen dieses Gifts zu Grunde zu gehen, oder einer
Zukunft entgegenzusiechen, die gerade die größten Kraftanstrengungen als un¬
erläßliche Bedingung der Rettung forderte, einer Zukunft, die von Afrika her
mit neuen Überschwemmungen des Islam, einem neuen blutigen Guadalete
drohte. Die Reaktion mußte in demselben Maße gewaltsam sein. Sie ging


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[0376] Victor Alan Huber leben. Und forderte er nach dem Kriege für Deutschösterreich die »Festhaltung und Stärkung des geistigen und sittlichen Nexus mit Deutschland, d. h. mit dem idealen Deutschland, das allein uns geblieben,« so würde ihn die neueste, konsequent in dieser Richtung und darüber hinaus fortschreitende Politik sicher mit Befriedigung erfüllt haben. Auch der großdentsche Gedanke ist keines¬ wegs im Strom der Vergessenheit versunken. Er schläft nur, und das nächste welthistorische Geräusch kann ihn aus dem Schlummer wecken. Vielleicht ist es die soziale Frage, die in ihrer unabsehbaren Entwicklung noch einmal die deutsche Frage aufrollen wird." Wenn Huber vom Volke redete, so dachte er weder an das „gemeine" Volk, noch meinte er einen beliebigen Menschenhaufen, der etwa nur durch die gleiche Sprache und die Zwangsgewalt eines Staates zusammengehalten wird, sondern hatte stets jene großen an ihrem sichtbaren Charakter äußerlich kenntlichen Persönlichkeiten vor Augen, an deren Zerstörung die Büreaukratie, der Mammonismus und der Industrialismus, der Weltverkehr und die Mode, einander ergänzend, um die Wette arbeiten. Ungebrochen und unverhuuzt war ihm der Volkscharakter in Spanien, zwar verdorben, aber noch kenntlich in Schottland entgegengetreten, und auch in Mecklenburg fand er noch Winkel, die, vom modernen Verkehr und Staatswesen unberührt, altväterischen Sitten in eigner Gemeindeverfassung nachlebten. Am innigsten liebte er das spanische Volk und wünschte dem deutschen, daß eine Reaktion den deutschen Volks¬ charakter wieder herstelle, wie die des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts den bedrohten spanischen wieder hergestellt habe. Es muß spaßhaft gewesen sein, die Gesichter zu sehen, die ohne Zweifel die Mitglieder des Evangelischen Vereins in Berlin gemacht haben, als ihnen Huber (es war im Winter 1851/52) in einem glänzenden Vortrage die In¬ quisition anpries. Sie werden geglaubt haben, er schnappe über. Das war aber durchaus nicht der Fall. Wir haben selbst schon einmal, ohne Spanien so genau zu kennen wie Huber, hervorgehoben, daß zwischen der spanischen Inquisition und z. B. der Protcstantenausrottung in Osterreich ein himmel¬ weiter Unterschied bestehe, indem jene, weit entfernt davon, gegen das spanische Volk gerichtet gewesen zu sein, aus dessen Geist und Willen hervorging. Lassen wir diesmal den sachkundigem Huber reden: „Das christliche Spanien hatte sich in dem siegreichen Kampfe gegen das mohammedanische Spanien vor den auflösenden, zerrüttenden Wirkungen dieser Berührung nicht zu bewahren ver¬ mocht. Es stand in der größten Gefahr, auf dem endlich erkämpften und be¬ freiten Boden an den Wirkungen dieses Gifts zu Grunde zu gehen, oder einer Zukunft entgegenzusiechen, die gerade die größten Kraftanstrengungen als un¬ erläßliche Bedingung der Rettung forderte, einer Zukunft, die von Afrika her mit neuen Überschwemmungen des Islam, einem neuen blutigen Guadalete drohte. Die Reaktion mußte in demselben Maße gewaltsam sein. Sie ging

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/376>, abgerufen am 23.07.2024.