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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

legung und forderte in wiederhergestellter guter Laune den jungen Mann auf,
die Einladung der Tante zum Thee anzunehmen.

Da Mondschein im Kalender stand, fehlte jeder Grund zur Ablehnung.
So sah denn dasselbe Zimmer, das am Mittag eine so feierliche Gesellschaft
vereinigt hatte, bald darauf die drei Personen, die so geschäftliche Dinge be¬
redet hatten, an einem anmutig gedeckten Theetisch, der von dem Mädchen ge¬
räuschlos bedient wurde. Wie auf Verabredung vermied man jede Anspielung
auf den vorigen Gesprächsgegenstand. Vogelsang schilderte den Eindrnck, den
das alte Stift auf ihn gemacht habe, als er sich ihm auf dem so ganz modernen
Rade genähert habe. Das Fahrrad, das vorhin fast einstimmig verurteilt
worden war, fand einen beredten Fürsprecher, und wenn man auch das Reiten
für eine edlere Art der Fortbewegung erklärte, gab man doch jetzt bereitwillig
zu, daß das Radfahren eine schöne Sache sei.

Von da kam man auf Reisen zu sprechen. Hier konnte nun Vogelsang
aus der Fülle der Erinnerungen schöpfen. Er gab sich als einen begeisterten
Alpenfreund zu erkennen, der schon vieles gesehen hatte. Auch seine junge
Klientin hatte einige Reisen gemacht. Man blieb um so lieber bei diesem Gegen¬
stande, als es bei dem Mangel gemeinsamer Bekannten und andrer Anknüpfungs-
punkte eine nngezwnngnere Art der Unterhaltung kaum geben konnte. Fräu¬
lein von Mechtshcmsen wollte die rein sportsmäßige Besteigung von Bergen
nicht gelten lassen und fand es bedauerlich, daß über dem Drumunddran dieser
Art von Reisen die reine Freude an der Natur verloren gehe.

Ein Aktenmensch, wie ich es leider bin, meinte darauf Vogelsang, kann
gar keine bessere Bethätigung seiner Körperkräfte und keine gesündere Erholung
wünschen als eine mit Schwierigkeiten verknüpfte Bergbesteigung, bei der es
auf die äußerste Willensanspannung und die Überwindung der alltäglichen
Trägheitsstimmung ankommt.

Aber die Bergphilister, die selbst auf die höchste" Höhen der Alpen die
allerkleinlichste Eitelkeit mit hinanfschleppen und überall ihren breitspurigen
Vereinsenthusiasmus auskramen, die norddeutschen Tartarins, die nicht so
liebenswürdig sind wie der spaßhafte Prooem?ale, wollen Sie anch diese als
Reisegenossen willkommen heißen?

Die müssen wir mit verbrauchen; ihre Beiträge dienen mit zur Erschließung
immer größerer Gebiete, und sie haben auch ihr Gutes.

Ju meiner Jugend, bemerkte dazwischen die Stiftsdame, kannte die Welt
ein so ausgedehntes Reisen nicht, man beschränkte sich auf die Nähe. Es
fiel noch nicht aller Welt ein, durchaus eine Sommerreise gemacht haben
zu müssen.

Darin, entgegnete Vogelsang, daß die Verkehrsmittel heutzutage so vielen
Menschen erlauben, sich in der Welt umzusehen, möchte ich nun gerade einen
Vorzug unsrer Zeit sehen, die in jeder Weise auszugleichen bemüht ist.


Der Streit der Fakultäten

legung und forderte in wiederhergestellter guter Laune den jungen Mann auf,
die Einladung der Tante zum Thee anzunehmen.

Da Mondschein im Kalender stand, fehlte jeder Grund zur Ablehnung.
So sah denn dasselbe Zimmer, das am Mittag eine so feierliche Gesellschaft
vereinigt hatte, bald darauf die drei Personen, die so geschäftliche Dinge be¬
redet hatten, an einem anmutig gedeckten Theetisch, der von dem Mädchen ge¬
räuschlos bedient wurde. Wie auf Verabredung vermied man jede Anspielung
auf den vorigen Gesprächsgegenstand. Vogelsang schilderte den Eindrnck, den
das alte Stift auf ihn gemacht habe, als er sich ihm auf dem so ganz modernen
Rade genähert habe. Das Fahrrad, das vorhin fast einstimmig verurteilt
worden war, fand einen beredten Fürsprecher, und wenn man auch das Reiten
für eine edlere Art der Fortbewegung erklärte, gab man doch jetzt bereitwillig
zu, daß das Radfahren eine schöne Sache sei.

Von da kam man auf Reisen zu sprechen. Hier konnte nun Vogelsang
aus der Fülle der Erinnerungen schöpfen. Er gab sich als einen begeisterten
Alpenfreund zu erkennen, der schon vieles gesehen hatte. Auch seine junge
Klientin hatte einige Reisen gemacht. Man blieb um so lieber bei diesem Gegen¬
stande, als es bei dem Mangel gemeinsamer Bekannten und andrer Anknüpfungs-
punkte eine nngezwnngnere Art der Unterhaltung kaum geben konnte. Fräu¬
lein von Mechtshcmsen wollte die rein sportsmäßige Besteigung von Bergen
nicht gelten lassen und fand es bedauerlich, daß über dem Drumunddran dieser
Art von Reisen die reine Freude an der Natur verloren gehe.

Ein Aktenmensch, wie ich es leider bin, meinte darauf Vogelsang, kann
gar keine bessere Bethätigung seiner Körperkräfte und keine gesündere Erholung
wünschen als eine mit Schwierigkeiten verknüpfte Bergbesteigung, bei der es
auf die äußerste Willensanspannung und die Überwindung der alltäglichen
Trägheitsstimmung ankommt.

Aber die Bergphilister, die selbst auf die höchste» Höhen der Alpen die
allerkleinlichste Eitelkeit mit hinanfschleppen und überall ihren breitspurigen
Vereinsenthusiasmus auskramen, die norddeutschen Tartarins, die nicht so
liebenswürdig sind wie der spaßhafte Prooem?ale, wollen Sie anch diese als
Reisegenossen willkommen heißen?

Die müssen wir mit verbrauchen; ihre Beiträge dienen mit zur Erschließung
immer größerer Gebiete, und sie haben auch ihr Gutes.

Ju meiner Jugend, bemerkte dazwischen die Stiftsdame, kannte die Welt
ein so ausgedehntes Reisen nicht, man beschränkte sich auf die Nähe. Es
fiel noch nicht aller Welt ein, durchaus eine Sommerreise gemacht haben
zu müssen.

Darin, entgegnete Vogelsang, daß die Verkehrsmittel heutzutage so vielen
Menschen erlauben, sich in der Welt umzusehen, möchte ich nun gerade einen
Vorzug unsrer Zeit sehen, die in jeder Weise auszugleichen bemüht ist.


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[0332] Der Streit der Fakultäten legung und forderte in wiederhergestellter guter Laune den jungen Mann auf, die Einladung der Tante zum Thee anzunehmen. Da Mondschein im Kalender stand, fehlte jeder Grund zur Ablehnung. So sah denn dasselbe Zimmer, das am Mittag eine so feierliche Gesellschaft vereinigt hatte, bald darauf die drei Personen, die so geschäftliche Dinge be¬ redet hatten, an einem anmutig gedeckten Theetisch, der von dem Mädchen ge¬ räuschlos bedient wurde. Wie auf Verabredung vermied man jede Anspielung auf den vorigen Gesprächsgegenstand. Vogelsang schilderte den Eindrnck, den das alte Stift auf ihn gemacht habe, als er sich ihm auf dem so ganz modernen Rade genähert habe. Das Fahrrad, das vorhin fast einstimmig verurteilt worden war, fand einen beredten Fürsprecher, und wenn man auch das Reiten für eine edlere Art der Fortbewegung erklärte, gab man doch jetzt bereitwillig zu, daß das Radfahren eine schöne Sache sei. Von da kam man auf Reisen zu sprechen. Hier konnte nun Vogelsang aus der Fülle der Erinnerungen schöpfen. Er gab sich als einen begeisterten Alpenfreund zu erkennen, der schon vieles gesehen hatte. Auch seine junge Klientin hatte einige Reisen gemacht. Man blieb um so lieber bei diesem Gegen¬ stande, als es bei dem Mangel gemeinsamer Bekannten und andrer Anknüpfungs- punkte eine nngezwnngnere Art der Unterhaltung kaum geben konnte. Fräu¬ lein von Mechtshcmsen wollte die rein sportsmäßige Besteigung von Bergen nicht gelten lassen und fand es bedauerlich, daß über dem Drumunddran dieser Art von Reisen die reine Freude an der Natur verloren gehe. Ein Aktenmensch, wie ich es leider bin, meinte darauf Vogelsang, kann gar keine bessere Bethätigung seiner Körperkräfte und keine gesündere Erholung wünschen als eine mit Schwierigkeiten verknüpfte Bergbesteigung, bei der es auf die äußerste Willensanspannung und die Überwindung der alltäglichen Trägheitsstimmung ankommt. Aber die Bergphilister, die selbst auf die höchste» Höhen der Alpen die allerkleinlichste Eitelkeit mit hinanfschleppen und überall ihren breitspurigen Vereinsenthusiasmus auskramen, die norddeutschen Tartarins, die nicht so liebenswürdig sind wie der spaßhafte Prooem?ale, wollen Sie anch diese als Reisegenossen willkommen heißen? Die müssen wir mit verbrauchen; ihre Beiträge dienen mit zur Erschließung immer größerer Gebiete, und sie haben auch ihr Gutes. Ju meiner Jugend, bemerkte dazwischen die Stiftsdame, kannte die Welt ein so ausgedehntes Reisen nicht, man beschränkte sich auf die Nähe. Es fiel noch nicht aller Welt ein, durchaus eine Sommerreise gemacht haben zu müssen. Darin, entgegnete Vogelsang, daß die Verkehrsmittel heutzutage so vielen Menschen erlauben, sich in der Welt umzusehen, möchte ich nun gerade einen Vorzug unsrer Zeit sehen, die in jeder Weise auszugleichen bemüht ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/332>, abgerufen am 23.07.2024.