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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

nehmen Schwager etwas zu gute thaten, oder noch mehr, wenn sie sein stolzes
Wesen und seine ablehnenden Manieren in ihrer Weise bespöttelten.

Als Vogelfang in die ehrbaren Jahre kam, fand er weniger Gefallen an
dem sich gleichbleibenden Wirtshaustreiben, in das nur das Auftreten einer
neuen Persönlichkeit oder das Aufkommen einer neuen Mode einige Abwechs¬
lung brachte. Er blieb öfter abends zu Hause, nahm auch wohl ein Buch
vor, aber es fehlte" ihm entschiedne Antriebe. Er lief so mit. Wie er sich
in Sachen der Geselligkeit von den Anschauungen und Interessen seines Kreises,
obgleich es eigentlich gar nicht die seinigen waren, hatte mitnehmen lassen, so
stand er auch den großen Fragen der Zeit fast ratlos gegenüber. Er gehörte
zu der großen Zahl derer, für die Zeitungen geschrieben werden, aber die auch
diese nur mit oberflächlicher Teilnahme lesen. Er machte, wenn er nicht zu
einer Übung einberufen wurde, seine Sommerreisen, besuchte Weihnachten nicht
ohne innern Zwang seine Eltern, reiste möglichst bald wieder ab und verlor
sich das Jahr über an ein Treiben, über dessen im Grunde unbefriedigende
Gesamtwirkung er nur deshalb nicht zur Klarheit kam, weil ihm seine Praxis
immer mehr äußere Erfolge eintrug. Den Kampf um die Existenz hatte er
nie gekannt, und die Freuden, sich und vielleicht auch lieben Angehörigen
immer bessere Lebensbedingungen zu erringen, nie genossen, sodciß er sich bei
seiner Arbeit mit der immer erneuten Reizung seiner Eigenliebe zufrieden gab.
Als ihm daher die Ordnung der Angelegenheiten des jungen Fräulein von
Mechtshausen übertragen wurde, fand er das ihm geschenkte Vertrauen sehr
berechtigt und machte sich mit Eifer daran, die Verhältnisse zu entwirren und
das Wohl seiner jungen Klientin, die er persönlich noch nicht kennen gelernt
hatte, wahrzunehmen. Der für einen Radfahrer immerhin nicht bedeutende
Ausflug nach Marienzelle hatte etwas Anziehendes für ihn, das schöne Wetter,
die anmutige Gegend, die halb sportsmüßige Freude an schnellem Vorwärts¬
kommen, nicht zum wenigsten auch das Bewußtsein, einer vermutlich schönen
jungen Dame nicht ganz schlechte Nachrichten bringe" zu können, versetzten ihn
in eine vergnügte Stimmung.

Die kleine Verlegenheit bei dem Bekanntwerden vor der Thür ohne eine
Mittelsperson war leicht überwunden. Fräulein von Welsberg und Pastor
Klages erkannten schnell, daß sie nun nichts mehr zu bedeuten hatten; sie
stiegen zwar hinter der jungen Waise und ihrem Rechtsbeistande die Treppe
hinauf, aber nur, um sich von den übrigen zu verabschieden. Das war schnell
gethan. Pastor Klages. der zu längerm Bleiben nicht genötigt wurde, schied
mit vielen Verbeugungen, schenkte dem öffnenden Dienstmädchen eine Mark,
ließ den Stiftsdiener leer ausgehen und pilgerte durch die entzauberten Ge¬
filde seinem Pfarrhause zu, das für ihn mit einemmale jeden Reiz der Be¬
haglichkeit verloren hatte. Fräulein von Welsberg und die andern beiden
Dame" verfügte" sich gleichfalls in ihre Wohnungen, und' ehrbar und würdig


Der Streit der Fakultäten

nehmen Schwager etwas zu gute thaten, oder noch mehr, wenn sie sein stolzes
Wesen und seine ablehnenden Manieren in ihrer Weise bespöttelten.

Als Vogelfang in die ehrbaren Jahre kam, fand er weniger Gefallen an
dem sich gleichbleibenden Wirtshaustreiben, in das nur das Auftreten einer
neuen Persönlichkeit oder das Aufkommen einer neuen Mode einige Abwechs¬
lung brachte. Er blieb öfter abends zu Hause, nahm auch wohl ein Buch
vor, aber es fehlte» ihm entschiedne Antriebe. Er lief so mit. Wie er sich
in Sachen der Geselligkeit von den Anschauungen und Interessen seines Kreises,
obgleich es eigentlich gar nicht die seinigen waren, hatte mitnehmen lassen, so
stand er auch den großen Fragen der Zeit fast ratlos gegenüber. Er gehörte
zu der großen Zahl derer, für die Zeitungen geschrieben werden, aber die auch
diese nur mit oberflächlicher Teilnahme lesen. Er machte, wenn er nicht zu
einer Übung einberufen wurde, seine Sommerreisen, besuchte Weihnachten nicht
ohne innern Zwang seine Eltern, reiste möglichst bald wieder ab und verlor
sich das Jahr über an ein Treiben, über dessen im Grunde unbefriedigende
Gesamtwirkung er nur deshalb nicht zur Klarheit kam, weil ihm seine Praxis
immer mehr äußere Erfolge eintrug. Den Kampf um die Existenz hatte er
nie gekannt, und die Freuden, sich und vielleicht auch lieben Angehörigen
immer bessere Lebensbedingungen zu erringen, nie genossen, sodciß er sich bei
seiner Arbeit mit der immer erneuten Reizung seiner Eigenliebe zufrieden gab.
Als ihm daher die Ordnung der Angelegenheiten des jungen Fräulein von
Mechtshausen übertragen wurde, fand er das ihm geschenkte Vertrauen sehr
berechtigt und machte sich mit Eifer daran, die Verhältnisse zu entwirren und
das Wohl seiner jungen Klientin, die er persönlich noch nicht kennen gelernt
hatte, wahrzunehmen. Der für einen Radfahrer immerhin nicht bedeutende
Ausflug nach Marienzelle hatte etwas Anziehendes für ihn, das schöne Wetter,
die anmutige Gegend, die halb sportsmüßige Freude an schnellem Vorwärts¬
kommen, nicht zum wenigsten auch das Bewußtsein, einer vermutlich schönen
jungen Dame nicht ganz schlechte Nachrichten bringe» zu können, versetzten ihn
in eine vergnügte Stimmung.

Die kleine Verlegenheit bei dem Bekanntwerden vor der Thür ohne eine
Mittelsperson war leicht überwunden. Fräulein von Welsberg und Pastor
Klages erkannten schnell, daß sie nun nichts mehr zu bedeuten hatten; sie
stiegen zwar hinter der jungen Waise und ihrem Rechtsbeistande die Treppe
hinauf, aber nur, um sich von den übrigen zu verabschieden. Das war schnell
gethan. Pastor Klages. der zu längerm Bleiben nicht genötigt wurde, schied
mit vielen Verbeugungen, schenkte dem öffnenden Dienstmädchen eine Mark,
ließ den Stiftsdiener leer ausgehen und pilgerte durch die entzauberten Ge¬
filde seinem Pfarrhause zu, das für ihn mit einemmale jeden Reiz der Be¬
haglichkeit verloren hatte. Fräulein von Welsberg und die andern beiden
Dame» verfügte» sich gleichfalls in ihre Wohnungen, und' ehrbar und würdig


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[0330] Der Streit der Fakultäten nehmen Schwager etwas zu gute thaten, oder noch mehr, wenn sie sein stolzes Wesen und seine ablehnenden Manieren in ihrer Weise bespöttelten. Als Vogelfang in die ehrbaren Jahre kam, fand er weniger Gefallen an dem sich gleichbleibenden Wirtshaustreiben, in das nur das Auftreten einer neuen Persönlichkeit oder das Aufkommen einer neuen Mode einige Abwechs¬ lung brachte. Er blieb öfter abends zu Hause, nahm auch wohl ein Buch vor, aber es fehlte» ihm entschiedne Antriebe. Er lief so mit. Wie er sich in Sachen der Geselligkeit von den Anschauungen und Interessen seines Kreises, obgleich es eigentlich gar nicht die seinigen waren, hatte mitnehmen lassen, so stand er auch den großen Fragen der Zeit fast ratlos gegenüber. Er gehörte zu der großen Zahl derer, für die Zeitungen geschrieben werden, aber die auch diese nur mit oberflächlicher Teilnahme lesen. Er machte, wenn er nicht zu einer Übung einberufen wurde, seine Sommerreisen, besuchte Weihnachten nicht ohne innern Zwang seine Eltern, reiste möglichst bald wieder ab und verlor sich das Jahr über an ein Treiben, über dessen im Grunde unbefriedigende Gesamtwirkung er nur deshalb nicht zur Klarheit kam, weil ihm seine Praxis immer mehr äußere Erfolge eintrug. Den Kampf um die Existenz hatte er nie gekannt, und die Freuden, sich und vielleicht auch lieben Angehörigen immer bessere Lebensbedingungen zu erringen, nie genossen, sodciß er sich bei seiner Arbeit mit der immer erneuten Reizung seiner Eigenliebe zufrieden gab. Als ihm daher die Ordnung der Angelegenheiten des jungen Fräulein von Mechtshausen übertragen wurde, fand er das ihm geschenkte Vertrauen sehr berechtigt und machte sich mit Eifer daran, die Verhältnisse zu entwirren und das Wohl seiner jungen Klientin, die er persönlich noch nicht kennen gelernt hatte, wahrzunehmen. Der für einen Radfahrer immerhin nicht bedeutende Ausflug nach Marienzelle hatte etwas Anziehendes für ihn, das schöne Wetter, die anmutige Gegend, die halb sportsmüßige Freude an schnellem Vorwärts¬ kommen, nicht zum wenigsten auch das Bewußtsein, einer vermutlich schönen jungen Dame nicht ganz schlechte Nachrichten bringe» zu können, versetzten ihn in eine vergnügte Stimmung. Die kleine Verlegenheit bei dem Bekanntwerden vor der Thür ohne eine Mittelsperson war leicht überwunden. Fräulein von Welsberg und Pastor Klages erkannten schnell, daß sie nun nichts mehr zu bedeuten hatten; sie stiegen zwar hinter der jungen Waise und ihrem Rechtsbeistande die Treppe hinauf, aber nur, um sich von den übrigen zu verabschieden. Das war schnell gethan. Pastor Klages. der zu längerm Bleiben nicht genötigt wurde, schied mit vielen Verbeugungen, schenkte dem öffnenden Dienstmädchen eine Mark, ließ den Stiftsdiener leer ausgehen und pilgerte durch die entzauberten Ge¬ filde seinem Pfarrhause zu, das für ihn mit einemmale jeden Reiz der Be¬ haglichkeit verloren hatte. Fräulein von Welsberg und die andern beiden Dame» verfügte» sich gleichfalls in ihre Wohnungen, und' ehrbar und würdig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/330>, abgerufen am 23.07.2024.