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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Gin neues Buch über das alte Italien

hange mit der Natur, der sie entsprossen waren, kennen und verstehen zu lernen.
Mit vielseitigem Rüstzeug des Wissens gewappnet, hat er offne Augen und
warme Empfindung sür alles, was er sucht und was ihm ohne sein Zuthun
begegnet, und in jeder Stadt, in der mächtige Persönlichkeiten gewaltet, ge¬
herrscht oder in der Überlieferung nachgewirkt haben, machte er diese zum
Mittelpunkt seiner Betrachtungen. In Ravenna, dessen Baudenkmäler er mit
unbefangnen Augen anschaut, in ihrem Ursprünge verfolgt und in ihrer Ent¬
wicklung zu erklären sucht, ist es Amalcisuntci, die Tochter Theodorichs des
Großen, in Rimini sind es Sigismondo Malatesta und seine Jsotta, in Urbino
Cesare Borgia, die im Mittelpunkte seiner Darstellung stehen.

Cesare Borgia hat, wie viele neuere Historiker und Kunsthistoriker, anch
Bischer lebhaft interessirt. Sie wollten ihn gern in einem beglaubigtet?
Bildnis kennen lernen. Aber es gab keins, das nicht bis zur Karrikatur,
bis zum Typus eines nach Blut lechzender Tyrannen gesteigert gewesen wäre.
Das Bildnis, das lange Zeit unter dem Namen Bvrgias, angeblich als ein
Meisterwerk von Raffael, im Palazzo Borghese aufbewahrt wurde, ist seines
Ruhmes entkleidet worden. Italien braucht ihm also keine Thräne nach¬
zuweinen, daß es nach Frankreich verkauft worden ist, und der Käufer, Baron
von Rothschild, hat keine Ursache, den dafür bezahlten Posten auf das Gewinn¬
konto zu setzen. Wirklich beglaubigte Bildnisse Cesare Vorgias sind noch in
Urbino vorhanden; wer sie gemalt hat, ist nicht bekannt. Aber ihr Ursprung
läßt sich soweit zurückverfolgen, daß an ihrer Echtheit nicht gezweifelt werden
kann. Bischer giebt zwei dieser Bildnisse in Heliogravüre und Holzschnitt
wieder.

Ein andres Ergebnis seiner Ortsforschungen ist die Untersuchung der
Gegend, wo Hasdrubal, der Bruder Hannibals, am 24. Juni 207 v. Chr.
geschlagen und getötet worden ist, ehe er seinem bedrängten Bruder zu Hilfe
kommen konnte. Nach Livius soll die Schlacht im Gebirge, an der Ostseite
des Apennin, am rechten Ufer des zwei Kilometer südlich vom heutigen Färö
ins Meer sich ergießenden Metanrus, stattgefunden haben. Aber die Be¬
schaffenheit des Terrains und seine eigne Schilderung des Verlaufs der
Schlacht sowie die des um mehr als hundert Jahre ältern griechischen Ge¬
schichtschreibers Polybios widersprechen der Ortsangabe des Livius. Nach
Wischers Untersuchungen lassen sich beide Schlachtberichte nur mit einer nördlich
von dem Flüßchen Cesano, nicht weit von dem Städtchen Sena gallica, dem
heutigen Sinigaglia, gelegnen Ebne vereinigen, in der es allein möglich war,
"zwei Armeen in Schlachtordnung aufzustellen." Damit hat die Annahme
Mommsens, der das Schlachtfeld nach Sena verlegt, eine neue Stütze gewonnen.

Das sind ein paar Proben aus der "Ährenlese" eines Mannes, der in
hohem Greisenalter noch Rüstigkeit des Körpers und Frische des Geistes genug
hat, der Lösung von Rätseln, die Geschichte und Natur aufgegeben haben, an


Gin neues Buch über das alte Italien

hange mit der Natur, der sie entsprossen waren, kennen und verstehen zu lernen.
Mit vielseitigem Rüstzeug des Wissens gewappnet, hat er offne Augen und
warme Empfindung sür alles, was er sucht und was ihm ohne sein Zuthun
begegnet, und in jeder Stadt, in der mächtige Persönlichkeiten gewaltet, ge¬
herrscht oder in der Überlieferung nachgewirkt haben, machte er diese zum
Mittelpunkt seiner Betrachtungen. In Ravenna, dessen Baudenkmäler er mit
unbefangnen Augen anschaut, in ihrem Ursprünge verfolgt und in ihrer Ent¬
wicklung zu erklären sucht, ist es Amalcisuntci, die Tochter Theodorichs des
Großen, in Rimini sind es Sigismondo Malatesta und seine Jsotta, in Urbino
Cesare Borgia, die im Mittelpunkte seiner Darstellung stehen.

Cesare Borgia hat, wie viele neuere Historiker und Kunsthistoriker, anch
Bischer lebhaft interessirt. Sie wollten ihn gern in einem beglaubigtet?
Bildnis kennen lernen. Aber es gab keins, das nicht bis zur Karrikatur,
bis zum Typus eines nach Blut lechzender Tyrannen gesteigert gewesen wäre.
Das Bildnis, das lange Zeit unter dem Namen Bvrgias, angeblich als ein
Meisterwerk von Raffael, im Palazzo Borghese aufbewahrt wurde, ist seines
Ruhmes entkleidet worden. Italien braucht ihm also keine Thräne nach¬
zuweinen, daß es nach Frankreich verkauft worden ist, und der Käufer, Baron
von Rothschild, hat keine Ursache, den dafür bezahlten Posten auf das Gewinn¬
konto zu setzen. Wirklich beglaubigte Bildnisse Cesare Vorgias sind noch in
Urbino vorhanden; wer sie gemalt hat, ist nicht bekannt. Aber ihr Ursprung
läßt sich soweit zurückverfolgen, daß an ihrer Echtheit nicht gezweifelt werden
kann. Bischer giebt zwei dieser Bildnisse in Heliogravüre und Holzschnitt
wieder.

Ein andres Ergebnis seiner Ortsforschungen ist die Untersuchung der
Gegend, wo Hasdrubal, der Bruder Hannibals, am 24. Juni 207 v. Chr.
geschlagen und getötet worden ist, ehe er seinem bedrängten Bruder zu Hilfe
kommen konnte. Nach Livius soll die Schlacht im Gebirge, an der Ostseite
des Apennin, am rechten Ufer des zwei Kilometer südlich vom heutigen Färö
ins Meer sich ergießenden Metanrus, stattgefunden haben. Aber die Be¬
schaffenheit des Terrains und seine eigne Schilderung des Verlaufs der
Schlacht sowie die des um mehr als hundert Jahre ältern griechischen Ge¬
schichtschreibers Polybios widersprechen der Ortsangabe des Livius. Nach
Wischers Untersuchungen lassen sich beide Schlachtberichte nur mit einer nördlich
von dem Flüßchen Cesano, nicht weit von dem Städtchen Sena gallica, dem
heutigen Sinigaglia, gelegnen Ebne vereinigen, in der es allein möglich war,
„zwei Armeen in Schlachtordnung aufzustellen." Damit hat die Annahme
Mommsens, der das Schlachtfeld nach Sena verlegt, eine neue Stütze gewonnen.

Das sind ein paar Proben aus der „Ährenlese" eines Mannes, der in
hohem Greisenalter noch Rüstigkeit des Körpers und Frische des Geistes genug
hat, der Lösung von Rätseln, die Geschichte und Natur aufgegeben haben, an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/320>, abgerufen am 23.07.2024.