Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Prozeßsucht und Prozeßverschleppung

ungerechtfertigte Verdrängung andrer Prozeßparteien. Das berührt in der That
das öffentliche Interesse, und deshalb darf es nicht zugelassen werden. Wir
schlagen daher vor, daß die Parteien für verpflichtet erachtet werden, dem Ge¬
richt ihre Absicht, an dem anberaumten Termin nicht zu verhandeln, anzu¬
zeigen, und zwar so zeitig, daß die Anberaumung eines Termins in einer
andern Prozeßsache an Stelle des weggefalleneu noch möglich ist. Bei Unter¬
lassung dieser rechtzeitigen Anzeige aber müßte für jede Vertagung oder Um¬
gehung des Verhandlungstermins von beiden Parteien eine volle Verhandlungs¬
gebühr zu entrichten sein; durch die thatsächlich vom Gericht für die Parteien
aufgewendete Arbeit würde dies vollständig gerechtfertigt erscheinen.

2. Wesentlicher, weil nicht nur das öffentliche Interesse, sondern auch
das Interesse des Rechtsuchenden berührend, ist das dnrch die Ordnung unsers
Versäumnisverfahrens einem böswilligen Schuldner gegebne Mittel, den Prozeß
ungebührlich in die Länge zu ziehen. Auf Antrag der erschienenen Partei muß
zwar gegen die ausbleibende ein Versüumnisurteil erlassen werden, die säumige
Partei hat aber das Recht, binnen zwei Wochen Einspruch zu erheben, und
die Folge ist, daß "der Prozeß in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich
vor Eintritt der Versäumnis befand." Wer ein Versäumnisurteil erlangt hat,
hat also thatsächlich sehr wenig erreicht, denn er kann sicher darauf rechnen,
daß der böswillige Schuldner Einspruch erhebt und dies erst knapp vor Ab¬
lauf der Einspruchsfrist thut. Nun ist es ja richtig, daß die säumige Partei
die -- bei geringfügigen Sachen übrigens nicht bedeutenden -- Kosten des
Versäumnisverfahrens zu tragen hat, und daß möglicherweise ein vorläufig voll¬
streckbares Urteil erlangt wird, auf Grund dessen die Zwangsvollstreckung
schon jetzt betrieben werden kann. Buche in jedem Falle nur die Möglichkeit
der Zwangsvollstreckung bestehen, so wäre das allerdings ein sehr wertvolles
Mittel, den Schuldner zur Pünktlichkeit anzuhalten. Aber das ist es ja eben, daß
diese Zwangsvollstreckung so leicht abzuwenden ist. Denn sie kann auf Antrag
des Schuldners vom Gericht auch ohne Sicherheitsleistung eingestellt werden,
und thatsächlich hat sich der Gerichte gerade bei den Versäumnisnrteileu eine
so milde Auffassung bemächtigt, daß die Vollstreckung aus einem Versäumnis¬
urteil fast regelmäßig abgewendet wird. Hierin liegt die Ursache, daß die Par¬
teien so leicht ein Versäumnisurteil riskiren, weil den einzigen Nachteil schlie߬
lich nur ein geringer Kostenbetrag bildet. Wir empfehlen daher, jedes Ver¬
säumnisurteil auch ohne Antrag von Amts wegen für vollstreckbar zu erklären
und die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesen Urteilen nur gegen
Sicherheitsleistung zuzulassen. Da die Zwangsvollstreckung hier stets selbst ver¬
schuldet ist, würde dies nicht unbillig erscheinen.

Weiter ist es aber auch von offenbarem Nachteil, daß eine Prozeßpartei,
so oft sie will, säumig werden kann, ohne daß ihr hieraus weiterer Schaden
erwächst, als eben die Kosten der Versäumnis tragen zu müssen. Es können


Prozeßsucht und Prozeßverschleppung

ungerechtfertigte Verdrängung andrer Prozeßparteien. Das berührt in der That
das öffentliche Interesse, und deshalb darf es nicht zugelassen werden. Wir
schlagen daher vor, daß die Parteien für verpflichtet erachtet werden, dem Ge¬
richt ihre Absicht, an dem anberaumten Termin nicht zu verhandeln, anzu¬
zeigen, und zwar so zeitig, daß die Anberaumung eines Termins in einer
andern Prozeßsache an Stelle des weggefalleneu noch möglich ist. Bei Unter¬
lassung dieser rechtzeitigen Anzeige aber müßte für jede Vertagung oder Um¬
gehung des Verhandlungstermins von beiden Parteien eine volle Verhandlungs¬
gebühr zu entrichten sein; durch die thatsächlich vom Gericht für die Parteien
aufgewendete Arbeit würde dies vollständig gerechtfertigt erscheinen.

2. Wesentlicher, weil nicht nur das öffentliche Interesse, sondern auch
das Interesse des Rechtsuchenden berührend, ist das dnrch die Ordnung unsers
Versäumnisverfahrens einem böswilligen Schuldner gegebne Mittel, den Prozeß
ungebührlich in die Länge zu ziehen. Auf Antrag der erschienenen Partei muß
zwar gegen die ausbleibende ein Versüumnisurteil erlassen werden, die säumige
Partei hat aber das Recht, binnen zwei Wochen Einspruch zu erheben, und
die Folge ist, daß „der Prozeß in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich
vor Eintritt der Versäumnis befand." Wer ein Versäumnisurteil erlangt hat,
hat also thatsächlich sehr wenig erreicht, denn er kann sicher darauf rechnen,
daß der böswillige Schuldner Einspruch erhebt und dies erst knapp vor Ab¬
lauf der Einspruchsfrist thut. Nun ist es ja richtig, daß die säumige Partei
die — bei geringfügigen Sachen übrigens nicht bedeutenden — Kosten des
Versäumnisverfahrens zu tragen hat, und daß möglicherweise ein vorläufig voll¬
streckbares Urteil erlangt wird, auf Grund dessen die Zwangsvollstreckung
schon jetzt betrieben werden kann. Buche in jedem Falle nur die Möglichkeit
der Zwangsvollstreckung bestehen, so wäre das allerdings ein sehr wertvolles
Mittel, den Schuldner zur Pünktlichkeit anzuhalten. Aber das ist es ja eben, daß
diese Zwangsvollstreckung so leicht abzuwenden ist. Denn sie kann auf Antrag
des Schuldners vom Gericht auch ohne Sicherheitsleistung eingestellt werden,
und thatsächlich hat sich der Gerichte gerade bei den Versäumnisnrteileu eine
so milde Auffassung bemächtigt, daß die Vollstreckung aus einem Versäumnis¬
urteil fast regelmäßig abgewendet wird. Hierin liegt die Ursache, daß die Par¬
teien so leicht ein Versäumnisurteil riskiren, weil den einzigen Nachteil schlie߬
lich nur ein geringer Kostenbetrag bildet. Wir empfehlen daher, jedes Ver¬
säumnisurteil auch ohne Antrag von Amts wegen für vollstreckbar zu erklären
und die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesen Urteilen nur gegen
Sicherheitsleistung zuzulassen. Da die Zwangsvollstreckung hier stets selbst ver¬
schuldet ist, würde dies nicht unbillig erscheinen.

Weiter ist es aber auch von offenbarem Nachteil, daß eine Prozeßpartei,
so oft sie will, säumig werden kann, ohne daß ihr hieraus weiterer Schaden
erwächst, als eben die Kosten der Versäumnis tragen zu müssen. Es können


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219306"/>
          <fw type="header" place="top"> Prozeßsucht und Prozeßverschleppung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_899" prev="#ID_898"> ungerechtfertigte Verdrängung andrer Prozeßparteien. Das berührt in der That<lb/>
das öffentliche Interesse, und deshalb darf es nicht zugelassen werden. Wir<lb/>
schlagen daher vor, daß die Parteien für verpflichtet erachtet werden, dem Ge¬<lb/>
richt ihre Absicht, an dem anberaumten Termin nicht zu verhandeln, anzu¬<lb/>
zeigen, und zwar so zeitig, daß die Anberaumung eines Termins in einer<lb/>
andern Prozeßsache an Stelle des weggefalleneu noch möglich ist. Bei Unter¬<lb/>
lassung dieser rechtzeitigen Anzeige aber müßte für jede Vertagung oder Um¬<lb/>
gehung des Verhandlungstermins von beiden Parteien eine volle Verhandlungs¬<lb/>
gebühr zu entrichten sein; durch die thatsächlich vom Gericht für die Parteien<lb/>
aufgewendete Arbeit würde dies vollständig gerechtfertigt erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_900"> 2. Wesentlicher, weil nicht nur das öffentliche Interesse, sondern auch<lb/>
das Interesse des Rechtsuchenden berührend, ist das dnrch die Ordnung unsers<lb/>
Versäumnisverfahrens einem böswilligen Schuldner gegebne Mittel, den Prozeß<lb/>
ungebührlich in die Länge zu ziehen. Auf Antrag der erschienenen Partei muß<lb/>
zwar gegen die ausbleibende ein Versüumnisurteil erlassen werden, die säumige<lb/>
Partei hat aber das Recht, binnen zwei Wochen Einspruch zu erheben, und<lb/>
die Folge ist, daß &#x201E;der Prozeß in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich<lb/>
vor Eintritt der Versäumnis befand." Wer ein Versäumnisurteil erlangt hat,<lb/>
hat also thatsächlich sehr wenig erreicht, denn er kann sicher darauf rechnen,<lb/>
daß der böswillige Schuldner Einspruch erhebt und dies erst knapp vor Ab¬<lb/>
lauf der Einspruchsfrist thut. Nun ist es ja richtig, daß die säumige Partei<lb/>
die &#x2014; bei geringfügigen Sachen übrigens nicht bedeutenden &#x2014; Kosten des<lb/>
Versäumnisverfahrens zu tragen hat, und daß möglicherweise ein vorläufig voll¬<lb/>
streckbares Urteil erlangt wird, auf Grund dessen die Zwangsvollstreckung<lb/>
schon jetzt betrieben werden kann. Buche in jedem Falle nur die Möglichkeit<lb/>
der Zwangsvollstreckung bestehen, so wäre das allerdings ein sehr wertvolles<lb/>
Mittel, den Schuldner zur Pünktlichkeit anzuhalten. Aber das ist es ja eben, daß<lb/>
diese Zwangsvollstreckung so leicht abzuwenden ist. Denn sie kann auf Antrag<lb/>
des Schuldners vom Gericht auch ohne Sicherheitsleistung eingestellt werden,<lb/>
und thatsächlich hat sich der Gerichte gerade bei den Versäumnisnrteileu eine<lb/>
so milde Auffassung bemächtigt, daß die Vollstreckung aus einem Versäumnis¬<lb/>
urteil fast regelmäßig abgewendet wird. Hierin liegt die Ursache, daß die Par¬<lb/>
teien so leicht ein Versäumnisurteil riskiren, weil den einzigen Nachteil schlie߬<lb/>
lich nur ein geringer Kostenbetrag bildet. Wir empfehlen daher, jedes Ver¬<lb/>
säumnisurteil auch ohne Antrag von Amts wegen für vollstreckbar zu erklären<lb/>
und die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesen Urteilen nur gegen<lb/>
Sicherheitsleistung zuzulassen. Da die Zwangsvollstreckung hier stets selbst ver¬<lb/>
schuldet ist, würde dies nicht unbillig erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901" next="#ID_902"> Weiter ist es aber auch von offenbarem Nachteil, daß eine Prozeßpartei,<lb/>
so oft sie will, säumig werden kann, ohne daß ihr hieraus weiterer Schaden<lb/>
erwächst, als eben die Kosten der Versäumnis tragen zu müssen.  Es können</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0304] Prozeßsucht und Prozeßverschleppung ungerechtfertigte Verdrängung andrer Prozeßparteien. Das berührt in der That das öffentliche Interesse, und deshalb darf es nicht zugelassen werden. Wir schlagen daher vor, daß die Parteien für verpflichtet erachtet werden, dem Ge¬ richt ihre Absicht, an dem anberaumten Termin nicht zu verhandeln, anzu¬ zeigen, und zwar so zeitig, daß die Anberaumung eines Termins in einer andern Prozeßsache an Stelle des weggefalleneu noch möglich ist. Bei Unter¬ lassung dieser rechtzeitigen Anzeige aber müßte für jede Vertagung oder Um¬ gehung des Verhandlungstermins von beiden Parteien eine volle Verhandlungs¬ gebühr zu entrichten sein; durch die thatsächlich vom Gericht für die Parteien aufgewendete Arbeit würde dies vollständig gerechtfertigt erscheinen. 2. Wesentlicher, weil nicht nur das öffentliche Interesse, sondern auch das Interesse des Rechtsuchenden berührend, ist das dnrch die Ordnung unsers Versäumnisverfahrens einem böswilligen Schuldner gegebne Mittel, den Prozeß ungebührlich in die Länge zu ziehen. Auf Antrag der erschienenen Partei muß zwar gegen die ausbleibende ein Versüumnisurteil erlassen werden, die säumige Partei hat aber das Recht, binnen zwei Wochen Einspruch zu erheben, und die Folge ist, daß „der Prozeß in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand." Wer ein Versäumnisurteil erlangt hat, hat also thatsächlich sehr wenig erreicht, denn er kann sicher darauf rechnen, daß der böswillige Schuldner Einspruch erhebt und dies erst knapp vor Ab¬ lauf der Einspruchsfrist thut. Nun ist es ja richtig, daß die säumige Partei die — bei geringfügigen Sachen übrigens nicht bedeutenden — Kosten des Versäumnisverfahrens zu tragen hat, und daß möglicherweise ein vorläufig voll¬ streckbares Urteil erlangt wird, auf Grund dessen die Zwangsvollstreckung schon jetzt betrieben werden kann. Buche in jedem Falle nur die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung bestehen, so wäre das allerdings ein sehr wertvolles Mittel, den Schuldner zur Pünktlichkeit anzuhalten. Aber das ist es ja eben, daß diese Zwangsvollstreckung so leicht abzuwenden ist. Denn sie kann auf Antrag des Schuldners vom Gericht auch ohne Sicherheitsleistung eingestellt werden, und thatsächlich hat sich der Gerichte gerade bei den Versäumnisnrteileu eine so milde Auffassung bemächtigt, daß die Vollstreckung aus einem Versäumnis¬ urteil fast regelmäßig abgewendet wird. Hierin liegt die Ursache, daß die Par¬ teien so leicht ein Versäumnisurteil riskiren, weil den einzigen Nachteil schlie߬ lich nur ein geringer Kostenbetrag bildet. Wir empfehlen daher, jedes Ver¬ säumnisurteil auch ohne Antrag von Amts wegen für vollstreckbar zu erklären und die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesen Urteilen nur gegen Sicherheitsleistung zuzulassen. Da die Zwangsvollstreckung hier stets selbst ver¬ schuldet ist, würde dies nicht unbillig erscheinen. Weiter ist es aber auch von offenbarem Nachteil, daß eine Prozeßpartei, so oft sie will, säumig werden kann, ohne daß ihr hieraus weiterer Schaden erwächst, als eben die Kosten der Versäumnis tragen zu müssen. Es können

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/304
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/304>, abgerufen am 23.07.2024.