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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Lin Humorist als Politiker

Kienbaums Mörder zu sein. Und er selber thut nichts andres, als den
Mordgeruch aus seinem Hause, der roten Schanze, zu bannen, seinem Schwieger¬
vater und seiner Frau ihren Frieden wiederzugeben. Was ist die Philosophie
dieser Geschichte? Im Grnnde keine andre als die aus Grimbarts Rede in
"Reineke Fuchs":


Doch das schlimmste find' ich den Dünkel des irrigen Wahnes,
Der die Menschen ergreift, es könne jeder im Taumel
Seines heftigen Wollens die Welt beherrschen und richten.
Hielte doch jeder sein Weib und seine Kinder in Ordnung,
Wüßte sein trotzig Gesinde zu bändigen, könnte sich stille
Wenn die Thoren verschwenden, in mäßigem Leben erfreuen!
Aber wie sollte die Welt sich verbessern? Es läßt sich ein jeder
Alles zu und will mit Gewalt die andern bezwingen.
Und lo sinken wir tiefer und immer tiefer ins Arge.

Aber Nnabe hat doch etwas wichtiges, neues hinzuzufügen. "Endlich doch
einmal ein Mensch, der ein vorgesetztes Ziel erreicht hat, ohne daß es ihn
nach dem Anlangen enttäuscht hat!" sagt und seufzt einmal Stopfkuchens
Freund Eduard über ihn. Und der Dichter will doch Wohl zum Leser sagen:
"O Liebster, geht, laßt alles andre liegen!" Geht, und sucht erst dies Haupt¬
ziel zu erreichen!

Welches Ziel? Stopfkuchen, der Eroberer der roten Schanze -- des
Bollwerks aus dem siebenjährigen Kriege, wie oft und geflissentlich betont
wird --, meint, es brauche nicht jeder die Forsche zu haben, das neue deutsche
Reich aufzurichten, hinzustellen und zu sagen: Nun könnt ihr, und so weiter.
Was soll das anders heißen als: Auf jeden siebenjährigen Krieg kann ein Jena
folgen! Nicht immer Neues bauen wollen, sondern deu Bau wahrhaft in
Besitz nehmen! Wir Deutschen haben uns auch unsre rote Schanze erobert,
das neue deutsche Reich. Fühlen wir uus auch so wohl darin wie Stopf¬
kuchen? Oder enttäuscht uns das Ziel nach dem Anlangen? Wie sollen
wir es anfangen, daß wir uns in nnserm Vaterlande fo wohl fühlen wie
Stopfknchen in seinem Hause?

negativ ironisch beantwortet er die Frage: "Willst du genau erfahren,
Eduard, was im bürgerlichen Leben das richtige ist, so frage nur beim nächsten
Spießbürger an!" Aber es fehlt nicht an einer positiven Antwort: Über
Stopfkuchens Thür steht, in großen weißen Lettern ans schwarzem Grunde
angemalt, zu lesen: "Da redete Gott mit Nocch und sprach: Gehe aus dem
Kasten." "Jawohl, lieber Eduard, erläuterte er, laß nur jeden auf seine
Weise heraus aus dem Herdenkasten gehen. Da war zum Exempel der Heinrich
Schaumauu, den ihr Stvpfkuchen nanntet. Er hat wenigstens mal ganz und
gar nach seiner Natur gelebt, hat gethan und hat gelassen, was er thun oder
was er lassen mußte; ist es dann am Ende nachher seine Schuld, wenn in
irgend einer Weise etwas vernünftiges dabei herauskommt?"


Lin Humorist als Politiker

Kienbaums Mörder zu sein. Und er selber thut nichts andres, als den
Mordgeruch aus seinem Hause, der roten Schanze, zu bannen, seinem Schwieger¬
vater und seiner Frau ihren Frieden wiederzugeben. Was ist die Philosophie
dieser Geschichte? Im Grnnde keine andre als die aus Grimbarts Rede in
„Reineke Fuchs":


Doch das schlimmste find' ich den Dünkel des irrigen Wahnes,
Der die Menschen ergreift, es könne jeder im Taumel
Seines heftigen Wollens die Welt beherrschen und richten.
Hielte doch jeder sein Weib und seine Kinder in Ordnung,
Wüßte sein trotzig Gesinde zu bändigen, könnte sich stille
Wenn die Thoren verschwenden, in mäßigem Leben erfreuen!
Aber wie sollte die Welt sich verbessern? Es läßt sich ein jeder
Alles zu und will mit Gewalt die andern bezwingen.
Und lo sinken wir tiefer und immer tiefer ins Arge.

Aber Nnabe hat doch etwas wichtiges, neues hinzuzufügen. „Endlich doch
einmal ein Mensch, der ein vorgesetztes Ziel erreicht hat, ohne daß es ihn
nach dem Anlangen enttäuscht hat!" sagt und seufzt einmal Stopfkuchens
Freund Eduard über ihn. Und der Dichter will doch Wohl zum Leser sagen:
„O Liebster, geht, laßt alles andre liegen!" Geht, und sucht erst dies Haupt¬
ziel zu erreichen!

Welches Ziel? Stopfkuchen, der Eroberer der roten Schanze — des
Bollwerks aus dem siebenjährigen Kriege, wie oft und geflissentlich betont
wird —, meint, es brauche nicht jeder die Forsche zu haben, das neue deutsche
Reich aufzurichten, hinzustellen und zu sagen: Nun könnt ihr, und so weiter.
Was soll das anders heißen als: Auf jeden siebenjährigen Krieg kann ein Jena
folgen! Nicht immer Neues bauen wollen, sondern deu Bau wahrhaft in
Besitz nehmen! Wir Deutschen haben uns auch unsre rote Schanze erobert,
das neue deutsche Reich. Fühlen wir uus auch so wohl darin wie Stopf¬
kuchen? Oder enttäuscht uns das Ziel nach dem Anlangen? Wie sollen
wir es anfangen, daß wir uns in nnserm Vaterlande fo wohl fühlen wie
Stopfknchen in seinem Hause?

negativ ironisch beantwortet er die Frage: „Willst du genau erfahren,
Eduard, was im bürgerlichen Leben das richtige ist, so frage nur beim nächsten
Spießbürger an!" Aber es fehlt nicht an einer positiven Antwort: Über
Stopfkuchens Thür steht, in großen weißen Lettern ans schwarzem Grunde
angemalt, zu lesen: „Da redete Gott mit Nocch und sprach: Gehe aus dem
Kasten." „Jawohl, lieber Eduard, erläuterte er, laß nur jeden auf seine
Weise heraus aus dem Herdenkasten gehen. Da war zum Exempel der Heinrich
Schaumauu, den ihr Stvpfkuchen nanntet. Er hat wenigstens mal ganz und
gar nach seiner Natur gelebt, hat gethan und hat gelassen, was er thun oder
was er lassen mußte; ist es dann am Ende nachher seine Schuld, wenn in
irgend einer Weise etwas vernünftiges dabei herauskommt?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/284>, abgerufen am 23.07.2024.