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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Lin Humorist als Politiker

die uns schon jetzt das Kleinod des Nationalismus entwenden und, ohne eine
Spur von geschichtlichem Sinn, uns einen verworrnen Internationalismus
aufschwatzen möchten, Recht bekämen, dann müßten wir in Wahrheit wieder
von vorn anfangen und auf den Trümmern einer großen Zeit in elenden
Hütten wohnen. Wodurch anders als durch den Nationalismus kann aber
Wohl der Internationalismus bekämpft werden? Den deutschen Familiensinn
ausbauen, uns als Deutsche fühlen und betragen, an einander warm und
froh werden, wie Kinder einer großen Familie zusammenleben, das ist uach
Raabe die wahre brennende Frage und unsre nächste Aufgabe. Denn alles
Negative wird am sichersten durch Positives bekämpft. Und was kann der
Internationalismus anders als negiren?

Wie das anzufangen sei? Man könnte einen Charakterthpus des deutschen
Adelsmenschen nach Raabe zeichnen, aber das gäbe doch wohl nur eine frostige
Lächerlichkeit gegenüber dem blühenden warmen Leben, das in seinen Werken
pulstrt. Lese sich doch lieber das deutsche Volk in diese Werke hinein, bis
es da zu Hause ist, es kann wahrlich keine politischere und zeitgemäßere Lek¬
türe finden. Jedenfalls ist es nicht so anzufangen, wie es Eckbert Scriewer
für das richtige hält. Jedenfalls ist das deutsche Gemüt, das Heiligtum und
Palladium des deutschen Nationalcharakters, nicht zu entwürdigen zu Svnder-
strebereien, welcher Natur sie much sein mögen, Sonderstrebereien, die übrigens
immer nur von der Hauptaufgabe ablenken können in einer Zeit, wo der
rechte Augenblick leicht versäumt werden kann. Greifen wir gefülligst in
unsern Busen, Gevattern! Wann hat die Sonderstreberei tollere Bocksprünge
am Abgrunde getanzt als in den letzten zwei Jahrzehnten? Es ist zu fürchten,
daß der Eckbert Seriewer, wenn er einmal nach Gebühr wird gewürdigt
worden sein, an uns und unsrer Zeit als Keos ÄMura hängen bleibt. Oder
sollen wir uns lieber einen Sachsen-, Schwaben-, Franken-, Vaicrnspiegel
daraus machen?

Eckbert Seriewer ist eine Negation. Die dazu gehörige Position heißt
"Stopfknchen." Ist das der Deutsche, wie er sein soll? Dieses weniger.
Aber er thut, was jeder Deutsche von Rechts wegen zuerst thun sollte, nämlich
Kienbaum totschlagen. In einer dem Aristophanes kongenialen stillen Heiter¬
keit predigt hier Raabe tiefsinnigste, im Grunde durchaus nicht so neue po¬
litische Weisheit, und wenn F. Th. Bischer seine Ästhetik fünfzig Jahre später
geschriebell hätte, er Hütte ihn sicher mit innigem Vergnügen unter dem Ab¬
schnitt "Der freie Humor" untergebracht. Anders freilich der deutsche Kritiker,
der seinerzeit bedauernd schrieb: Schade um den schönen Stoff! Die Kriminal¬
geschichte natürlich. Was gäben aber wir nicht darum, eine Photographie
von dem Manne zu besitzen!

Stopfkuchen -uns Heinrich Schaumann hat in eine anrüchige Familie
hineingeheiratet. Sein Schwiegervater hat unter dem Verdacht gestanden,


Lin Humorist als Politiker

die uns schon jetzt das Kleinod des Nationalismus entwenden und, ohne eine
Spur von geschichtlichem Sinn, uns einen verworrnen Internationalismus
aufschwatzen möchten, Recht bekämen, dann müßten wir in Wahrheit wieder
von vorn anfangen und auf den Trümmern einer großen Zeit in elenden
Hütten wohnen. Wodurch anders als durch den Nationalismus kann aber
Wohl der Internationalismus bekämpft werden? Den deutschen Familiensinn
ausbauen, uns als Deutsche fühlen und betragen, an einander warm und
froh werden, wie Kinder einer großen Familie zusammenleben, das ist uach
Raabe die wahre brennende Frage und unsre nächste Aufgabe. Denn alles
Negative wird am sichersten durch Positives bekämpft. Und was kann der
Internationalismus anders als negiren?

Wie das anzufangen sei? Man könnte einen Charakterthpus des deutschen
Adelsmenschen nach Raabe zeichnen, aber das gäbe doch wohl nur eine frostige
Lächerlichkeit gegenüber dem blühenden warmen Leben, das in seinen Werken
pulstrt. Lese sich doch lieber das deutsche Volk in diese Werke hinein, bis
es da zu Hause ist, es kann wahrlich keine politischere und zeitgemäßere Lek¬
türe finden. Jedenfalls ist es nicht so anzufangen, wie es Eckbert Scriewer
für das richtige hält. Jedenfalls ist das deutsche Gemüt, das Heiligtum und
Palladium des deutschen Nationalcharakters, nicht zu entwürdigen zu Svnder-
strebereien, welcher Natur sie much sein mögen, Sonderstrebereien, die übrigens
immer nur von der Hauptaufgabe ablenken können in einer Zeit, wo der
rechte Augenblick leicht versäumt werden kann. Greifen wir gefülligst in
unsern Busen, Gevattern! Wann hat die Sonderstreberei tollere Bocksprünge
am Abgrunde getanzt als in den letzten zwei Jahrzehnten? Es ist zu fürchten,
daß der Eckbert Seriewer, wenn er einmal nach Gebühr wird gewürdigt
worden sein, an uns und unsrer Zeit als Keos ÄMura hängen bleibt. Oder
sollen wir uns lieber einen Sachsen-, Schwaben-, Franken-, Vaicrnspiegel
daraus machen?

Eckbert Seriewer ist eine Negation. Die dazu gehörige Position heißt
„Stopfknchen." Ist das der Deutsche, wie er sein soll? Dieses weniger.
Aber er thut, was jeder Deutsche von Rechts wegen zuerst thun sollte, nämlich
Kienbaum totschlagen. In einer dem Aristophanes kongenialen stillen Heiter¬
keit predigt hier Raabe tiefsinnigste, im Grunde durchaus nicht so neue po¬
litische Weisheit, und wenn F. Th. Bischer seine Ästhetik fünfzig Jahre später
geschriebell hätte, er Hütte ihn sicher mit innigem Vergnügen unter dem Ab¬
schnitt „Der freie Humor" untergebracht. Anders freilich der deutsche Kritiker,
der seinerzeit bedauernd schrieb: Schade um den schönen Stoff! Die Kriminal¬
geschichte natürlich. Was gäben aber wir nicht darum, eine Photographie
von dem Manne zu besitzen!

Stopfkuchen -uns Heinrich Schaumann hat in eine anrüchige Familie
hineingeheiratet. Sein Schwiegervater hat unter dem Verdacht gestanden,


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[0283] Lin Humorist als Politiker die uns schon jetzt das Kleinod des Nationalismus entwenden und, ohne eine Spur von geschichtlichem Sinn, uns einen verworrnen Internationalismus aufschwatzen möchten, Recht bekämen, dann müßten wir in Wahrheit wieder von vorn anfangen und auf den Trümmern einer großen Zeit in elenden Hütten wohnen. Wodurch anders als durch den Nationalismus kann aber Wohl der Internationalismus bekämpft werden? Den deutschen Familiensinn ausbauen, uns als Deutsche fühlen und betragen, an einander warm und froh werden, wie Kinder einer großen Familie zusammenleben, das ist uach Raabe die wahre brennende Frage und unsre nächste Aufgabe. Denn alles Negative wird am sichersten durch Positives bekämpft. Und was kann der Internationalismus anders als negiren? Wie das anzufangen sei? Man könnte einen Charakterthpus des deutschen Adelsmenschen nach Raabe zeichnen, aber das gäbe doch wohl nur eine frostige Lächerlichkeit gegenüber dem blühenden warmen Leben, das in seinen Werken pulstrt. Lese sich doch lieber das deutsche Volk in diese Werke hinein, bis es da zu Hause ist, es kann wahrlich keine politischere und zeitgemäßere Lek¬ türe finden. Jedenfalls ist es nicht so anzufangen, wie es Eckbert Scriewer für das richtige hält. Jedenfalls ist das deutsche Gemüt, das Heiligtum und Palladium des deutschen Nationalcharakters, nicht zu entwürdigen zu Svnder- strebereien, welcher Natur sie much sein mögen, Sonderstrebereien, die übrigens immer nur von der Hauptaufgabe ablenken können in einer Zeit, wo der rechte Augenblick leicht versäumt werden kann. Greifen wir gefülligst in unsern Busen, Gevattern! Wann hat die Sonderstreberei tollere Bocksprünge am Abgrunde getanzt als in den letzten zwei Jahrzehnten? Es ist zu fürchten, daß der Eckbert Seriewer, wenn er einmal nach Gebühr wird gewürdigt worden sein, an uns und unsrer Zeit als Keos ÄMura hängen bleibt. Oder sollen wir uns lieber einen Sachsen-, Schwaben-, Franken-, Vaicrnspiegel daraus machen? Eckbert Seriewer ist eine Negation. Die dazu gehörige Position heißt „Stopfknchen." Ist das der Deutsche, wie er sein soll? Dieses weniger. Aber er thut, was jeder Deutsche von Rechts wegen zuerst thun sollte, nämlich Kienbaum totschlagen. In einer dem Aristophanes kongenialen stillen Heiter¬ keit predigt hier Raabe tiefsinnigste, im Grunde durchaus nicht so neue po¬ litische Weisheit, und wenn F. Th. Bischer seine Ästhetik fünfzig Jahre später geschriebell hätte, er Hütte ihn sicher mit innigem Vergnügen unter dem Ab¬ schnitt „Der freie Humor" untergebracht. Anders freilich der deutsche Kritiker, der seinerzeit bedauernd schrieb: Schade um den schönen Stoff! Die Kriminal¬ geschichte natürlich. Was gäben aber wir nicht darum, eine Photographie von dem Manne zu besitzen! Stopfkuchen -uns Heinrich Schaumann hat in eine anrüchige Familie hineingeheiratet. Sein Schwiegervater hat unter dem Verdacht gestanden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/283>, abgerufen am 23.07.2024.