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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

auch Geistliche gab, die anders zu diesen für sie wesenlosen Fragen standen,
die sogar von Lutherfestspielen menschlich und lebhaft sprechen konnten, freute
sie. In der Stadt hatte sie als junges Ding und Konfirmandin unter dem
geistlichen Einfluß eines bedeutenden Mannes gestanden, der nun schon tot
und durch einen Nachfolger zwar von der Observanz, aber nicht der Art seines
Vorgängers ersetzt war. So hatte sie denn vor den Geistlichen eine eigen¬
tümliche Scheu, wenn sie mich für den verstorbnen Feudalprediger eine auf¬
richtige und für den jetzigen eine konventionelle Verehrung hegte. In Marien¬
zelle hatte sie Geistliche nur auffassen gelernt als Menschen, die verlobt sind,
die Stiftsstipendicn gehabt haben, die ins Amt kommen wollen, und die lang¬
weilig und fromm sind. Schon daß dieser junge Pastor Kluges von ihrem
Typus abwich, gab ihm bei ihr einen Vorsprung, und wie man dann, wenn
man einmal ein Vorurteil abzustreifen anfängt, oft weiter geht, als nötig
wäre, und gleichsam um ein Unrecht wieder gut zu machen, zu idealisiren
geneigt wird, so sah sie nun auch den fremdartigen jungen Mann mit den
Augen an, mit denen sie die jungen Herren ihrer Gesellschaftsschicht zu be¬
trachten gewohnt war. Und da war er heute im Vorteil. Denn deren be¬
stechende Uniformeleganz trat jetzt zurück, wo unerwartet ein Kämpfer auf¬
trat, der sich ganz außer der Ordnung geltend machte.

Und während nnn des seligen Goßner gedacht und ein leckeres Htthner-
srikassee verspeist wurde, während man von Louis Harms unvergeßlichen
Eifer sprach und einen köstlichen wild gemachten Hammelbraten verzehrte,
endlich unter Betrachtungen über die vielerlei Aufgaben und mancherlei An¬
fechtungen der Herrnhuter einer süßen Schüssel alle Ehre anthat, wünschte
sich Pastor Klages, der sich gern protesteinlegend geäußert hätte, aber nicht
wußte, kraft welcher Weltanschauung er Einspruch erheben und als welche seiner
vielen ihm im Laufe der Zeit nach und ueben einander aufgenötigten Per¬
sönlichkeiten er sich geben sollte, weit weg in irgend einen kühlen Wirtshaus¬
winkel, oder wenn es denn nicht anders ging, auch in sein Pfarrhaus, um
bei einer vernünftigen Cigarre wieder das Gefühl der Daseinsberechtigung zu
gewinnen, und gleichzeitig hing das junge Fräulein von Mechtshciusen un¬
gewohnten Gedanken nach, und es stieg manche ketzerische Regung in ihr auf.
Fräulein von Welsberg aber nahm sich vor, den jungen Pastor nachher beim
Kaffee zu fragen, ob er Stifters Studie" gelesen hätte, und wie sie ihm ge¬
fallen Hütten.

Eben sollte das Zeichen zum Aufheben der Tafel gegeben werden, als
der Stiftsdiener einen Brief an das jüngere Fräulein von Mechtshausen herein¬
brachte, worin, wie sie flüchtig lesend feststellte, ihr Rechtsanwalt sich für eine
Spätnachmittagsstunde anmeldete, um in einer wichtigen Angelegenheit, wegen
des Hausverkaufs, mit ihr zu sprechen. Er schrieb, daß er auf seinem Zwei¬
rade kommen und so eine Berufsangelegenheit mit einer Erholung verbinden


Der Streit der Fakultäten

auch Geistliche gab, die anders zu diesen für sie wesenlosen Fragen standen,
die sogar von Lutherfestspielen menschlich und lebhaft sprechen konnten, freute
sie. In der Stadt hatte sie als junges Ding und Konfirmandin unter dem
geistlichen Einfluß eines bedeutenden Mannes gestanden, der nun schon tot
und durch einen Nachfolger zwar von der Observanz, aber nicht der Art seines
Vorgängers ersetzt war. So hatte sie denn vor den Geistlichen eine eigen¬
tümliche Scheu, wenn sie mich für den verstorbnen Feudalprediger eine auf¬
richtige und für den jetzigen eine konventionelle Verehrung hegte. In Marien¬
zelle hatte sie Geistliche nur auffassen gelernt als Menschen, die verlobt sind,
die Stiftsstipendicn gehabt haben, die ins Amt kommen wollen, und die lang¬
weilig und fromm sind. Schon daß dieser junge Pastor Kluges von ihrem
Typus abwich, gab ihm bei ihr einen Vorsprung, und wie man dann, wenn
man einmal ein Vorurteil abzustreifen anfängt, oft weiter geht, als nötig
wäre, und gleichsam um ein Unrecht wieder gut zu machen, zu idealisiren
geneigt wird, so sah sie nun auch den fremdartigen jungen Mann mit den
Augen an, mit denen sie die jungen Herren ihrer Gesellschaftsschicht zu be¬
trachten gewohnt war. Und da war er heute im Vorteil. Denn deren be¬
stechende Uniformeleganz trat jetzt zurück, wo unerwartet ein Kämpfer auf¬
trat, der sich ganz außer der Ordnung geltend machte.

Und während nnn des seligen Goßner gedacht und ein leckeres Htthner-
srikassee verspeist wurde, während man von Louis Harms unvergeßlichen
Eifer sprach und einen köstlichen wild gemachten Hammelbraten verzehrte,
endlich unter Betrachtungen über die vielerlei Aufgaben und mancherlei An¬
fechtungen der Herrnhuter einer süßen Schüssel alle Ehre anthat, wünschte
sich Pastor Klages, der sich gern protesteinlegend geäußert hätte, aber nicht
wußte, kraft welcher Weltanschauung er Einspruch erheben und als welche seiner
vielen ihm im Laufe der Zeit nach und ueben einander aufgenötigten Per¬
sönlichkeiten er sich geben sollte, weit weg in irgend einen kühlen Wirtshaus¬
winkel, oder wenn es denn nicht anders ging, auch in sein Pfarrhaus, um
bei einer vernünftigen Cigarre wieder das Gefühl der Daseinsberechtigung zu
gewinnen, und gleichzeitig hing das junge Fräulein von Mechtshciusen un¬
gewohnten Gedanken nach, und es stieg manche ketzerische Regung in ihr auf.
Fräulein von Welsberg aber nahm sich vor, den jungen Pastor nachher beim
Kaffee zu fragen, ob er Stifters Studie» gelesen hätte, und wie sie ihm ge¬
fallen Hütten.

Eben sollte das Zeichen zum Aufheben der Tafel gegeben werden, als
der Stiftsdiener einen Brief an das jüngere Fräulein von Mechtshausen herein¬
brachte, worin, wie sie flüchtig lesend feststellte, ihr Rechtsanwalt sich für eine
Spätnachmittagsstunde anmeldete, um in einer wichtigen Angelegenheit, wegen
des Hausverkaufs, mit ihr zu sprechen. Er schrieb, daß er auf seinem Zwei¬
rade kommen und so eine Berufsangelegenheit mit einer Erholung verbinden


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[0237] Der Streit der Fakultäten auch Geistliche gab, die anders zu diesen für sie wesenlosen Fragen standen, die sogar von Lutherfestspielen menschlich und lebhaft sprechen konnten, freute sie. In der Stadt hatte sie als junges Ding und Konfirmandin unter dem geistlichen Einfluß eines bedeutenden Mannes gestanden, der nun schon tot und durch einen Nachfolger zwar von der Observanz, aber nicht der Art seines Vorgängers ersetzt war. So hatte sie denn vor den Geistlichen eine eigen¬ tümliche Scheu, wenn sie mich für den verstorbnen Feudalprediger eine auf¬ richtige und für den jetzigen eine konventionelle Verehrung hegte. In Marien¬ zelle hatte sie Geistliche nur auffassen gelernt als Menschen, die verlobt sind, die Stiftsstipendicn gehabt haben, die ins Amt kommen wollen, und die lang¬ weilig und fromm sind. Schon daß dieser junge Pastor Kluges von ihrem Typus abwich, gab ihm bei ihr einen Vorsprung, und wie man dann, wenn man einmal ein Vorurteil abzustreifen anfängt, oft weiter geht, als nötig wäre, und gleichsam um ein Unrecht wieder gut zu machen, zu idealisiren geneigt wird, so sah sie nun auch den fremdartigen jungen Mann mit den Augen an, mit denen sie die jungen Herren ihrer Gesellschaftsschicht zu be¬ trachten gewohnt war. Und da war er heute im Vorteil. Denn deren be¬ stechende Uniformeleganz trat jetzt zurück, wo unerwartet ein Kämpfer auf¬ trat, der sich ganz außer der Ordnung geltend machte. Und während nnn des seligen Goßner gedacht und ein leckeres Htthner- srikassee verspeist wurde, während man von Louis Harms unvergeßlichen Eifer sprach und einen köstlichen wild gemachten Hammelbraten verzehrte, endlich unter Betrachtungen über die vielerlei Aufgaben und mancherlei An¬ fechtungen der Herrnhuter einer süßen Schüssel alle Ehre anthat, wünschte sich Pastor Klages, der sich gern protesteinlegend geäußert hätte, aber nicht wußte, kraft welcher Weltanschauung er Einspruch erheben und als welche seiner vielen ihm im Laufe der Zeit nach und ueben einander aufgenötigten Per¬ sönlichkeiten er sich geben sollte, weit weg in irgend einen kühlen Wirtshaus¬ winkel, oder wenn es denn nicht anders ging, auch in sein Pfarrhaus, um bei einer vernünftigen Cigarre wieder das Gefühl der Daseinsberechtigung zu gewinnen, und gleichzeitig hing das junge Fräulein von Mechtshciusen un¬ gewohnten Gedanken nach, und es stieg manche ketzerische Regung in ihr auf. Fräulein von Welsberg aber nahm sich vor, den jungen Pastor nachher beim Kaffee zu fragen, ob er Stifters Studie» gelesen hätte, und wie sie ihm ge¬ fallen Hütten. Eben sollte das Zeichen zum Aufheben der Tafel gegeben werden, als der Stiftsdiener einen Brief an das jüngere Fräulein von Mechtshausen herein¬ brachte, worin, wie sie flüchtig lesend feststellte, ihr Rechtsanwalt sich für eine Spätnachmittagsstunde anmeldete, um in einer wichtigen Angelegenheit, wegen des Hausverkaufs, mit ihr zu sprechen. Er schrieb, daß er auf seinem Zwei¬ rade kommen und so eine Berufsangelegenheit mit einer Erholung verbinden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/237>, abgerufen am 23.07.2024.