Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.schieden haben, und daß die Vertreter der Mittelparteien in der gegenwärtigen Soll etwas ersprießliches erreicht werden, so müssen unsers Erachtens die Wie haben sich denn unsre Gewerbepolitik und das gewerbliche Vereins¬ Seit etwa einem Jahrzehnt sind nun diese Bestimmungen und die darauf schieden haben, und daß die Vertreter der Mittelparteien in der gegenwärtigen Soll etwas ersprießliches erreicht werden, so müssen unsers Erachtens die Wie haben sich denn unsre Gewerbepolitik und das gewerbliche Vereins¬ Seit etwa einem Jahrzehnt sind nun diese Bestimmungen und die darauf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219220"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_625" prev="#ID_624"> schieden haben, und daß die Vertreter der Mittelparteien in der gegenwärtigen<lb/> Session des Reichstags mit Anträgen gekommen sind, die eine mehr oder<lb/> minder exklusive Interessenvertretung für das Handwerk bezwecken, so ist wohl<lb/> der Beweis geführt für unsre Behauptung, daß es nicht schwer fallen könne,<lb/> in dieser Frage Übereinstimmung zu erzielen. sachlichen Einwendungen in<lb/> Einzelheiten und der Debattirlust im allgemeinen bleibt dabei immer noch ein<lb/> ausreichender Spielraum.</p><lb/> <p xml:id="ID_626"> Soll etwas ersprießliches erreicht werden, so müssen unsers Erachtens die<lb/> vorhaudne» Einrichtungen nach Möglichkeit geschont werden, zumal da es gilt,<lb/> einem Staude zu helfen, der zäh am Überlieferten hält. Eine Hauptursache<lb/> des Mißerfolgs der Vorschläge Berlepschs lag wohl darin, daß sie mit Fach¬<lb/> genossenschaften, Gehilfenausschüssen, staatlichen Kommissarien n. s. w. den Leuten<lb/> zu viel neues auf einmal boten. Für solches Sozialpvlitisiren hatte der orga-<lb/> »isirte Handwerkerstand keine Neigungen und kein Verständnis.</p><lb/> <p xml:id="ID_627"> Wie haben sich denn unsre Gewerbepolitik und das gewerbliche Vereins¬<lb/> leben im Reiche entwickelt? Läßt sich denn daran nicht eine umfassendere Or¬<lb/> ganisation anknüpfen? Die Gewerbeordnung von 18KL hatte ja ohne Zweifel<lb/> manchen Zopf aus dem Erwerbsleben beseitigt, und die, die jetzt blindwütig<lb/> gegen die Gewerbefreiheit schreien, wissen nicht, wie es früher war, oder sie<lb/> wollen die Menge verwirren. Aber das ist ebenso unbestreitbar: während<lb/> damals dem Großhandel und der Großindustrie die Bahn freigegeben wurde<lb/> und zugleich die Innungen zu modernen Vereinen herabgedrückt wurden, gab<lb/> man das Kleingewerbe und das Handwerk unvermittelt und schutzlos den Stürmen<lb/> einer neuen Wirtschaftszeit preis. Der manchesterliche Grundsatz, die Lehre von<lb/> der vollen Freiheit des Einzelnen, zeigte bald in der Verschärfung des Gegen¬<lb/> satzes von Reich und Arm und in dem immer weiter klaffenden Spalt zwischen<lb/> Unternehmer und Arbeiter sehr bedenkliche Erscheinungen, der Staat mußte<lb/> seine Nachtwächterstelle aufgeben, und 1878 vollzog sich im deutschen Reiche<lb/> die bekannte Rechtsschwenkung. Man besann sich in der Gewerbepvlitik wieder<lb/> auf die alten Innungen. Deu Höhepunkt der sogenannten Junuugsära bilden<lb/> die Gewerbeordnungsuovellen von 1881 und 1884. Damals wurde bestimmt,<lb/> daß, wo sich Innungen auf dem Gebiete des Lehrlingswesens bewährten, die<lb/> Jnnnngsbehörden das Recht erhalten sollten, Streitigkeiten aus den Lehr¬<lb/> verhältnissen zu entscheiden, auch wenn Nichtinnungsmitglieder in Frage kämen,<lb/> und daß nur Jnnnngsmitglieder Lehrlinge halten und ausbilden dürften. 1887<lb/> wurde der Kreis dieser Vorrechte noch darauf ausgedehnt, daß die Beitrags¬<lb/> pflicht zu bestimmten Jnnungseinrichtungcu auch auf Nichtinnnngsineister an¬<lb/> gewendet werden konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_628" next="#ID_629"> Seit etwa einem Jahrzehnt sind nun diese Bestimmungen und die darauf<lb/> aufgebauten Einrichtungen in Kraft. Aber auch der Freund der Innungen<lb/> wird rückhaltlos zugeben, daß auch hier in mancher Beziehung das Unzuläng-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0218]
schieden haben, und daß die Vertreter der Mittelparteien in der gegenwärtigen
Session des Reichstags mit Anträgen gekommen sind, die eine mehr oder
minder exklusive Interessenvertretung für das Handwerk bezwecken, so ist wohl
der Beweis geführt für unsre Behauptung, daß es nicht schwer fallen könne,
in dieser Frage Übereinstimmung zu erzielen. sachlichen Einwendungen in
Einzelheiten und der Debattirlust im allgemeinen bleibt dabei immer noch ein
ausreichender Spielraum.
Soll etwas ersprießliches erreicht werden, so müssen unsers Erachtens die
vorhaudne» Einrichtungen nach Möglichkeit geschont werden, zumal da es gilt,
einem Staude zu helfen, der zäh am Überlieferten hält. Eine Hauptursache
des Mißerfolgs der Vorschläge Berlepschs lag wohl darin, daß sie mit Fach¬
genossenschaften, Gehilfenausschüssen, staatlichen Kommissarien n. s. w. den Leuten
zu viel neues auf einmal boten. Für solches Sozialpvlitisiren hatte der orga-
»isirte Handwerkerstand keine Neigungen und kein Verständnis.
Wie haben sich denn unsre Gewerbepolitik und das gewerbliche Vereins¬
leben im Reiche entwickelt? Läßt sich denn daran nicht eine umfassendere Or¬
ganisation anknüpfen? Die Gewerbeordnung von 18KL hatte ja ohne Zweifel
manchen Zopf aus dem Erwerbsleben beseitigt, und die, die jetzt blindwütig
gegen die Gewerbefreiheit schreien, wissen nicht, wie es früher war, oder sie
wollen die Menge verwirren. Aber das ist ebenso unbestreitbar: während
damals dem Großhandel und der Großindustrie die Bahn freigegeben wurde
und zugleich die Innungen zu modernen Vereinen herabgedrückt wurden, gab
man das Kleingewerbe und das Handwerk unvermittelt und schutzlos den Stürmen
einer neuen Wirtschaftszeit preis. Der manchesterliche Grundsatz, die Lehre von
der vollen Freiheit des Einzelnen, zeigte bald in der Verschärfung des Gegen¬
satzes von Reich und Arm und in dem immer weiter klaffenden Spalt zwischen
Unternehmer und Arbeiter sehr bedenkliche Erscheinungen, der Staat mußte
seine Nachtwächterstelle aufgeben, und 1878 vollzog sich im deutschen Reiche
die bekannte Rechtsschwenkung. Man besann sich in der Gewerbepvlitik wieder
auf die alten Innungen. Deu Höhepunkt der sogenannten Junuugsära bilden
die Gewerbeordnungsuovellen von 1881 und 1884. Damals wurde bestimmt,
daß, wo sich Innungen auf dem Gebiete des Lehrlingswesens bewährten, die
Jnnnngsbehörden das Recht erhalten sollten, Streitigkeiten aus den Lehr¬
verhältnissen zu entscheiden, auch wenn Nichtinnungsmitglieder in Frage kämen,
und daß nur Jnnnngsmitglieder Lehrlinge halten und ausbilden dürften. 1887
wurde der Kreis dieser Vorrechte noch darauf ausgedehnt, daß die Beitrags¬
pflicht zu bestimmten Jnnungseinrichtungcu auch auf Nichtinnnngsineister an¬
gewendet werden konnte.
Seit etwa einem Jahrzehnt sind nun diese Bestimmungen und die darauf
aufgebauten Einrichtungen in Kraft. Aber auch der Freund der Innungen
wird rückhaltlos zugeben, daß auch hier in mancher Beziehung das Unzuläng-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |