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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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ans den Wahlen der einzelnen Fachgenossenschaften des von der Regierung
abgegrenzten Bezirks hervorgehen und in der Landcszentralbehörde ihre Auf¬
sichtsbehörde erhalten. Auch ihnen waren obligatorische und fakultative Aus¬
gaben zugewiesen. Als obligatorisch wurden bezeichnet: die Aufsicht über die
Fachgenossenschaften und Innungen ihres Bezirks, Mitwirkung bei der Durch¬
führung der Arbeiterschntzbestimmnngen, Kontrolle der Lehrlingsvorschriften,
Sorge für den Arbeitsnachweis und für das Herbergswescu, Ausarbeitung
von Berichten und Gutachten für die Behörden. Als fakultative Aufgaben
waren in Aussicht genommen: Anregung der zur Förderung des Kleingewerbes
geeigneten Maßnahmen und Einrichtungen und Förderung des gewerblichen
Bildungswesens und der Fachschulen. Ferner sollten den Kammern gewisse
gesetzgeberische Aufgaben zufallen, so die Abfassung von Vorschriften über den
Besuch der von ihnen errichteten Fach- und Fortbildungsschulen, über Ar-
mut Abmeldung der Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter bei den Fachgenosseu-
schafteu.

Der zweite Teil der Vorschlüge Berlepschs befaßte sich mit der Reform
des Lehrlingswesens. Hier wurde n. ni. vorgeschlagen, daß, wer Lehrlinge
halten oder ausbilden wolle, in dem betreffenden Handwerk oder Fabrikbetrieb
eine ordnungsmäßige Lehrzeit von nicht weniger als drei und nicht über fünf
Jahren zurückgelegt und eine Gesellenprüfung bestanden haben müsse. Der
^ehrvertrag sollte künftig schriftlich abzufassen sein, und der Bnndesrat sollte
die Befugnis haben, über die zulässige Zahl von Lehrlingen im Verhältnis
zu deu in einem Betriebe beschäftigten Gesellen Vorschriften zu erlassen. Den
Meistertitel wollte man nur dem Handwerker zugestehen, der eine Gesellen¬
lind eine Meisterprüfung bestanden hätte.

Der Gesamteindruck, den die Vorlage hervorrief, war, kurz gesagt, der:
der Herr Minister hat sich zwischen zwei Stühle gesetzt, ein Urteil, das für
eine Sache, die noch durch deu vielköpfigen Bundesrat und deu noch mehr-
köpfigen Reichstag zu gehen hat, nicht als ein glückverheißendes Geleitwort
betrachtet werden darf.

Der große Revrganisativusplan sür das Handwerk wurde verworfen, von
den einen, weil er mit den obligatorischen Fachgenossenschaften, die man sich
nur als Zwangsinnuugen vorstellen konnte, eine Zwangsorganisation schaffen
wollte, die als eine reichlich mit dem Geiste der Büreaukratie durchtränkte
Einrichtung alle die so sehr verschieden gearteten Handwerke und Hand¬
werker sozusagen über einen Kamm scheren würde und, da ja die hohe Obrig¬
keit das meiste und beste selbst zu regeln beabsichtigte, für die selbständigen
Bestrebungen und Anregungen der Einzelnen kaum ausreichenden Raum lasse",
damit aber manche Frucht des freien Korporationslebens zum Verdorren bringen
würde. Von den andern wurde der Plau verworfen, weil er ihnen in der
Reglemcntirnng nicht weit genug ging, da er deu obligatorischen Befähignngs-


ans den Wahlen der einzelnen Fachgenossenschaften des von der Regierung
abgegrenzten Bezirks hervorgehen und in der Landcszentralbehörde ihre Auf¬
sichtsbehörde erhalten. Auch ihnen waren obligatorische und fakultative Aus¬
gaben zugewiesen. Als obligatorisch wurden bezeichnet: die Aufsicht über die
Fachgenossenschaften und Innungen ihres Bezirks, Mitwirkung bei der Durch¬
führung der Arbeiterschntzbestimmnngen, Kontrolle der Lehrlingsvorschriften,
Sorge für den Arbeitsnachweis und für das Herbergswescu, Ausarbeitung
von Berichten und Gutachten für die Behörden. Als fakultative Aufgaben
waren in Aussicht genommen: Anregung der zur Förderung des Kleingewerbes
geeigneten Maßnahmen und Einrichtungen und Förderung des gewerblichen
Bildungswesens und der Fachschulen. Ferner sollten den Kammern gewisse
gesetzgeberische Aufgaben zufallen, so die Abfassung von Vorschriften über den
Besuch der von ihnen errichteten Fach- und Fortbildungsschulen, über Ar-
mut Abmeldung der Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter bei den Fachgenosseu-
schafteu.

Der zweite Teil der Vorschlüge Berlepschs befaßte sich mit der Reform
des Lehrlingswesens. Hier wurde n. ni. vorgeschlagen, daß, wer Lehrlinge
halten oder ausbilden wolle, in dem betreffenden Handwerk oder Fabrikbetrieb
eine ordnungsmäßige Lehrzeit von nicht weniger als drei und nicht über fünf
Jahren zurückgelegt und eine Gesellenprüfung bestanden haben müsse. Der
^ehrvertrag sollte künftig schriftlich abzufassen sein, und der Bnndesrat sollte
die Befugnis haben, über die zulässige Zahl von Lehrlingen im Verhältnis
zu deu in einem Betriebe beschäftigten Gesellen Vorschriften zu erlassen. Den
Meistertitel wollte man nur dem Handwerker zugestehen, der eine Gesellen¬
lind eine Meisterprüfung bestanden hätte.

Der Gesamteindruck, den die Vorlage hervorrief, war, kurz gesagt, der:
der Herr Minister hat sich zwischen zwei Stühle gesetzt, ein Urteil, das für
eine Sache, die noch durch deu vielköpfigen Bundesrat und deu noch mehr-
köpfigen Reichstag zu gehen hat, nicht als ein glückverheißendes Geleitwort
betrachtet werden darf.

Der große Revrganisativusplan sür das Handwerk wurde verworfen, von
den einen, weil er mit den obligatorischen Fachgenossenschaften, die man sich
nur als Zwangsinnuugen vorstellen konnte, eine Zwangsorganisation schaffen
wollte, die als eine reichlich mit dem Geiste der Büreaukratie durchtränkte
Einrichtung alle die so sehr verschieden gearteten Handwerke und Hand¬
werker sozusagen über einen Kamm scheren würde und, da ja die hohe Obrig¬
keit das meiste und beste selbst zu regeln beabsichtigte, für die selbständigen
Bestrebungen und Anregungen der Einzelnen kaum ausreichenden Raum lasse»,
damit aber manche Frucht des freien Korporationslebens zum Verdorren bringen
würde. Von den andern wurde der Plau verworfen, weil er ihnen in der
Reglemcntirnng nicht weit genug ging, da er deu obligatorischen Befähignngs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/215>, abgerufen am 23.07.2024.