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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Würdigung der gegenwärtigen Annstbestrel'ungen

etwas aus der Geschichte zu lernen und ältere Kunstwerke geschichtlich zu
fassen. "Nach den Freiheitskriegen zogen sich die Deutschen -- so sagen die
"Aphorismen" -- in sich zurück. Die Folge davon war ein nie geahnter
Niedergang in der .Kunst . . . Kaum waren die Wunden geheilt, da wurde
nach den Kriegen von 1870/71 eine neue deutsche Kunst etablirt. Wagner
in seiner den Corneliuskartons ähnlichen humorlosen Langweile beherrschte
die Welt, die die Musen verlassen hatten."

Das sind Äußerungen schwerer Unwissenheit. Ich erkläre rundweg: Herr
Professor Begas ist in der Theorie und Geschichte der Kunst ein solcher
Fremdling und Jrrfahrer, daß eine Auseinandersetzung mit ihm eine bare Un¬
möglichkeit ist. Das schadet ja nun auch gar nichts. Mag er sein, wie er will
und kann. Ich wollte nur nicht, daß derartige Äußerungen eines Künstlers,
der zu den bedeutendern der Gegenwart gehört, ohne Zurückweisung bleiben.

Es ist merkwürdig, welche tiefe Abneigung, welch leidenschaftlicher Haß
gegen alles Klassische durch das jüngere Geschlecht geht. Da schrieb z. B.
vor kurzem ein Dr. Paul Goldmann in Paris (Frankfurter Zeitung vom
12. Juli 1894): "Zur selben Zeit, als in Frankreich der Klassizismus gras-
sirte und deu Talenten Blut und Leben nahm u. s. w." Damit meint er
David, Proudhon, Ingres und deren Genossen, zu denen ja auch Gvrard
gehört. Alles Streben nach Klassizität wird hier wie eine verheerende, tot°
liebe Seuche in unschicklichen Ausdrücken verschrieen. Genau so unvernünftig
ist das, was der Verfasser der "Aphorismen" über Cornelius sagt. Er nennt
ihn "einen der geistreichsten Männer seiner Zeit, der aber eigentlich der Kunst
fern stand," und setzt hinzu: "die gesamten Schöpfungen dieses genialen
Kopfes haben nicht den künstlerischen Wert eines holländischen Stilllebens
aus bester Zeit." An diesen Reden ist nnr eins merkwürdig: daß der Ur¬
heber sich nicht scheut und schämt, solche Albernheiten zum besten zu geben.
Man sollte sich enthalten, über Dinge herzuziehen, die man nicht versteht.
Wenn Begas bei den apokalyptischen Reitern und den andern Darstellungen
aus der Offenbarung den Humor vermißt und sich langweilt, so ist das seine
Sache; aber als ein Mann, der doch offenbar eine gute Erziehung genossen
hat, hätte er so klug sein müssen, lieber zu schweigen, als sich lächerlich zu
macheu. Denn kein vernünftiger Mensch sucht in der Offenbarung des Johannes
und in den künstlerischen Darstellungen ihres tiefernsten, dichterisch gewaltigen
Inhalts nach Humor, und langweilen kann sich vor solchen Darstellungen nur
der, dem sie zu hoch sind.

Aber Herr Begas macht sich nicht nur lächerlich. Er und alle, die seine
Ansichten teilen, versündigen sich an der Ehre des Baterlandes. Denn alle
jene Männer, von Carstens an bis zum Erlöschen des lebensvollen Klassi¬
zismus, gereichen der deutschen Nation zur größten Ehre, und es ist un¬
schicklich und unpatriotisch, sie mit Geringschätzung zu behandeln. Das reinste


Zur Würdigung der gegenwärtigen Annstbestrel'ungen

etwas aus der Geschichte zu lernen und ältere Kunstwerke geschichtlich zu
fassen. „Nach den Freiheitskriegen zogen sich die Deutschen — so sagen die
»Aphorismen« — in sich zurück. Die Folge davon war ein nie geahnter
Niedergang in der .Kunst . . . Kaum waren die Wunden geheilt, da wurde
nach den Kriegen von 1870/71 eine neue deutsche Kunst etablirt. Wagner
in seiner den Corneliuskartons ähnlichen humorlosen Langweile beherrschte
die Welt, die die Musen verlassen hatten."

Das sind Äußerungen schwerer Unwissenheit. Ich erkläre rundweg: Herr
Professor Begas ist in der Theorie und Geschichte der Kunst ein solcher
Fremdling und Jrrfahrer, daß eine Auseinandersetzung mit ihm eine bare Un¬
möglichkeit ist. Das schadet ja nun auch gar nichts. Mag er sein, wie er will
und kann. Ich wollte nur nicht, daß derartige Äußerungen eines Künstlers,
der zu den bedeutendern der Gegenwart gehört, ohne Zurückweisung bleiben.

Es ist merkwürdig, welche tiefe Abneigung, welch leidenschaftlicher Haß
gegen alles Klassische durch das jüngere Geschlecht geht. Da schrieb z. B.
vor kurzem ein Dr. Paul Goldmann in Paris (Frankfurter Zeitung vom
12. Juli 1894): „Zur selben Zeit, als in Frankreich der Klassizismus gras-
sirte und deu Talenten Blut und Leben nahm u. s. w." Damit meint er
David, Proudhon, Ingres und deren Genossen, zu denen ja auch Gvrard
gehört. Alles Streben nach Klassizität wird hier wie eine verheerende, tot°
liebe Seuche in unschicklichen Ausdrücken verschrieen. Genau so unvernünftig
ist das, was der Verfasser der „Aphorismen" über Cornelius sagt. Er nennt
ihn „einen der geistreichsten Männer seiner Zeit, der aber eigentlich der Kunst
fern stand," und setzt hinzu: „die gesamten Schöpfungen dieses genialen
Kopfes haben nicht den künstlerischen Wert eines holländischen Stilllebens
aus bester Zeit." An diesen Reden ist nnr eins merkwürdig: daß der Ur¬
heber sich nicht scheut und schämt, solche Albernheiten zum besten zu geben.
Man sollte sich enthalten, über Dinge herzuziehen, die man nicht versteht.
Wenn Begas bei den apokalyptischen Reitern und den andern Darstellungen
aus der Offenbarung den Humor vermißt und sich langweilt, so ist das seine
Sache; aber als ein Mann, der doch offenbar eine gute Erziehung genossen
hat, hätte er so klug sein müssen, lieber zu schweigen, als sich lächerlich zu
macheu. Denn kein vernünftiger Mensch sucht in der Offenbarung des Johannes
und in den künstlerischen Darstellungen ihres tiefernsten, dichterisch gewaltigen
Inhalts nach Humor, und langweilen kann sich vor solchen Darstellungen nur
der, dem sie zu hoch sind.

Aber Herr Begas macht sich nicht nur lächerlich. Er und alle, die seine
Ansichten teilen, versündigen sich an der Ehre des Baterlandes. Denn alle
jene Männer, von Carstens an bis zum Erlöschen des lebensvollen Klassi¬
zismus, gereichen der deutschen Nation zur größten Ehre, und es ist un¬
schicklich und unpatriotisch, sie mit Geringschätzung zu behandeln. Das reinste


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[0131] Zur Würdigung der gegenwärtigen Annstbestrel'ungen etwas aus der Geschichte zu lernen und ältere Kunstwerke geschichtlich zu fassen. „Nach den Freiheitskriegen zogen sich die Deutschen — so sagen die »Aphorismen« — in sich zurück. Die Folge davon war ein nie geahnter Niedergang in der .Kunst . . . Kaum waren die Wunden geheilt, da wurde nach den Kriegen von 1870/71 eine neue deutsche Kunst etablirt. Wagner in seiner den Corneliuskartons ähnlichen humorlosen Langweile beherrschte die Welt, die die Musen verlassen hatten." Das sind Äußerungen schwerer Unwissenheit. Ich erkläre rundweg: Herr Professor Begas ist in der Theorie und Geschichte der Kunst ein solcher Fremdling und Jrrfahrer, daß eine Auseinandersetzung mit ihm eine bare Un¬ möglichkeit ist. Das schadet ja nun auch gar nichts. Mag er sein, wie er will und kann. Ich wollte nur nicht, daß derartige Äußerungen eines Künstlers, der zu den bedeutendern der Gegenwart gehört, ohne Zurückweisung bleiben. Es ist merkwürdig, welche tiefe Abneigung, welch leidenschaftlicher Haß gegen alles Klassische durch das jüngere Geschlecht geht. Da schrieb z. B. vor kurzem ein Dr. Paul Goldmann in Paris (Frankfurter Zeitung vom 12. Juli 1894): „Zur selben Zeit, als in Frankreich der Klassizismus gras- sirte und deu Talenten Blut und Leben nahm u. s. w." Damit meint er David, Proudhon, Ingres und deren Genossen, zu denen ja auch Gvrard gehört. Alles Streben nach Klassizität wird hier wie eine verheerende, tot° liebe Seuche in unschicklichen Ausdrücken verschrieen. Genau so unvernünftig ist das, was der Verfasser der „Aphorismen" über Cornelius sagt. Er nennt ihn „einen der geistreichsten Männer seiner Zeit, der aber eigentlich der Kunst fern stand," und setzt hinzu: „die gesamten Schöpfungen dieses genialen Kopfes haben nicht den künstlerischen Wert eines holländischen Stilllebens aus bester Zeit." An diesen Reden ist nnr eins merkwürdig: daß der Ur¬ heber sich nicht scheut und schämt, solche Albernheiten zum besten zu geben. Man sollte sich enthalten, über Dinge herzuziehen, die man nicht versteht. Wenn Begas bei den apokalyptischen Reitern und den andern Darstellungen aus der Offenbarung den Humor vermißt und sich langweilt, so ist das seine Sache; aber als ein Mann, der doch offenbar eine gute Erziehung genossen hat, hätte er so klug sein müssen, lieber zu schweigen, als sich lächerlich zu macheu. Denn kein vernünftiger Mensch sucht in der Offenbarung des Johannes und in den künstlerischen Darstellungen ihres tiefernsten, dichterisch gewaltigen Inhalts nach Humor, und langweilen kann sich vor solchen Darstellungen nur der, dem sie zu hoch sind. Aber Herr Begas macht sich nicht nur lächerlich. Er und alle, die seine Ansichten teilen, versündigen sich an der Ehre des Baterlandes. Denn alle jene Männer, von Carstens an bis zum Erlöschen des lebensvollen Klassi¬ zismus, gereichen der deutschen Nation zur größten Ehre, und es ist un¬ schicklich und unpatriotisch, sie mit Geringschätzung zu behandeln. Das reinste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/131>, abgerufen am 23.07.2024.