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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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enner nicht das Recht haben soll, zu fragen, was er sich bei den: sinnlichen
Eindruck denken könne? Welcher Widerspruch, welche Verwirrung! Die Malerei
hat mit dem dichterischen Element nichts zu thun, sie mag das Alltägliche
"geschmackvoll serviren," natürlich nach Kellnerart, mit dein Putzlappen unterm
Arme. Armer Rafael, armer Dürer, armer Michelangelo, armer Rubens,
armer Cornelius! Ja, arm und armselig sind sie alle, die großen Meister der
Vergangenheit von Polygnot bis zur Gegenwart. Sie haben sich alle über¬
nommen in dein "visionären, dichterischen Element," das allein der Bildhauerei
gebührt.

Und dabei jammert der Verfasser über den Realismus und Naturalismus
der Gegenwart, über das Betonen von Nebendingen zum Nachteile der Haupt¬
sache. In solchen und einigen andern Bemerkungen verrät sich jn richtiges
Urteil, aber das geht alles auf und unter in gänzlich verworrenen Gedanken.
"Die monumentale Kunst gleicht der Oper; beide schleppen so viel Beiwerk
mit sich, daß die reine Kunst darunter leidet." Was denkt sich wohl der Ver¬
fasser dieses Ausspruchs bei den Worten "reine Kunst"? Sehr einfach: nnr
das rein Formale, die natürlich-sinnliche Form mit strengem Ausschluß alles
dessen, wobei man sich "etwas denken" konnte. Da aber die Bildhauer, die
die vielen öffentlichen Denkmäler herstellten, "bald herausmerkten -- so fährt
der Verfasser fort --, daß das Auge nicht der Sinn ist, mit dem ihre Leistungen
gemessen werden, so bildet (!) sich bei ihnen mit der Zeit (!) bald (!) eine be¬
merkenswerte Oberflächlichkeit in der Behandlung der Formen heraus. Diese
Oberflächlichkeit wird dadurch noch gesteigert, daß man es liebt, Denkmäler
in Wälder und auf Berge zu stellen -- eine überaus barbarische Sitte, die
wohl zu keiner Zeit begabter Kulturvölker bestanden hat." Die Anspie¬
lung auf das Niederwalddenkmal ist deutlich, und Johannes Schilling mag
sich bei Herrn Professor Begas für den Vorwurf "bemerkenswerter Ober¬
flächlichkeit in der Behandlung der Formen" ehrerbietigst bedanken. Die Auf¬
stellung dieses Denkmals ist zwar auch nicht nach meinem Sinn, aber nicht
weil es auf einem Berge und vor einem Walde steht, sondern weil es aus
der Ferne zu klein erscheint und weil man in der Nähe keinen Raum hat,
den richtigen Standpunkt zur Betrachtung zu finden. Aber bei vielen begabten
Kulturvölkern hat man ähnliches gethan, und neuerdings ist es in Frankreich
besonders in die Mode gekommen; ich will nur an die Niesenstandbilder der
heiligen Jungfran auf hohen Bergen über Orange, Lyon und andern Orten
erinnern.

So arbeitet Herr Professor Vegas -- tiefsinnig, folgerichtig, gründlich
und weise. Seine Behauptungen und Meinungen sind die der ganzen neu¬
modischen Kunstströmung. Und auch bei ihm trifft zu, was im allgemeinen
gilt, daß diese modernen Künstler, die ältern Jungen, die jüngern Jungen
und die allerjüngsten Jungen, weder die Fähigkeit noch den Willen haben,


enner nicht das Recht haben soll, zu fragen, was er sich bei den: sinnlichen
Eindruck denken könne? Welcher Widerspruch, welche Verwirrung! Die Malerei
hat mit dem dichterischen Element nichts zu thun, sie mag das Alltägliche
„geschmackvoll serviren," natürlich nach Kellnerart, mit dein Putzlappen unterm
Arme. Armer Rafael, armer Dürer, armer Michelangelo, armer Rubens,
armer Cornelius! Ja, arm und armselig sind sie alle, die großen Meister der
Vergangenheit von Polygnot bis zur Gegenwart. Sie haben sich alle über¬
nommen in dein „visionären, dichterischen Element," das allein der Bildhauerei
gebührt.

Und dabei jammert der Verfasser über den Realismus und Naturalismus
der Gegenwart, über das Betonen von Nebendingen zum Nachteile der Haupt¬
sache. In solchen und einigen andern Bemerkungen verrät sich jn richtiges
Urteil, aber das geht alles auf und unter in gänzlich verworrenen Gedanken.
„Die monumentale Kunst gleicht der Oper; beide schleppen so viel Beiwerk
mit sich, daß die reine Kunst darunter leidet." Was denkt sich wohl der Ver¬
fasser dieses Ausspruchs bei den Worten „reine Kunst"? Sehr einfach: nnr
das rein Formale, die natürlich-sinnliche Form mit strengem Ausschluß alles
dessen, wobei man sich „etwas denken" konnte. Da aber die Bildhauer, die
die vielen öffentlichen Denkmäler herstellten, „bald herausmerkten — so fährt
der Verfasser fort —, daß das Auge nicht der Sinn ist, mit dem ihre Leistungen
gemessen werden, so bildet (!) sich bei ihnen mit der Zeit (!) bald (!) eine be¬
merkenswerte Oberflächlichkeit in der Behandlung der Formen heraus. Diese
Oberflächlichkeit wird dadurch noch gesteigert, daß man es liebt, Denkmäler
in Wälder und auf Berge zu stellen — eine überaus barbarische Sitte, die
wohl zu keiner Zeit begabter Kulturvölker bestanden hat." Die Anspie¬
lung auf das Niederwalddenkmal ist deutlich, und Johannes Schilling mag
sich bei Herrn Professor Begas für den Vorwurf „bemerkenswerter Ober¬
flächlichkeit in der Behandlung der Formen" ehrerbietigst bedanken. Die Auf¬
stellung dieses Denkmals ist zwar auch nicht nach meinem Sinn, aber nicht
weil es auf einem Berge und vor einem Walde steht, sondern weil es aus
der Ferne zu klein erscheint und weil man in der Nähe keinen Raum hat,
den richtigen Standpunkt zur Betrachtung zu finden. Aber bei vielen begabten
Kulturvölkern hat man ähnliches gethan, und neuerdings ist es in Frankreich
besonders in die Mode gekommen; ich will nur an die Niesenstandbilder der
heiligen Jungfran auf hohen Bergen über Orange, Lyon und andern Orten
erinnern.

So arbeitet Herr Professor Vegas — tiefsinnig, folgerichtig, gründlich
und weise. Seine Behauptungen und Meinungen sind die der ganzen neu¬
modischen Kunstströmung. Und auch bei ihm trifft zu, was im allgemeinen
gilt, daß diese modernen Künstler, die ältern Jungen, die jüngern Jungen
und die allerjüngsten Jungen, weder die Fähigkeit noch den Willen haben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/130>, abgerufen am 23.07.2024.