Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Zur !vürdignng der gegenwärtigen Runstbestrebnngen Zeiten, ohne auf die moderne Anthropologie zu warten, die Sorge für Zeu¬ Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen Herman Riegel von phorismen über Kunst -- so lautet die Überschrift von allerlei Zur !vürdignng der gegenwärtigen Runstbestrebnngen Zeiten, ohne auf die moderne Anthropologie zu warten, die Sorge für Zeu¬ Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen Herman Riegel von phorismen über Kunst — so lautet die Überschrift von allerlei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219130"/> <fw type="header" place="top"> Zur !vürdignng der gegenwärtigen Runstbestrebnngen</fw><lb/> <p xml:id="ID_363" prev="#ID_362"> Zeiten, ohne auf die moderne Anthropologie zu warten, die Sorge für Zeu¬<lb/> gung und Heranbildung eines gesunden und starken Geschlechts zu den wich¬<lb/> tigsten Pflichten des Staates gerechnet haben; aber im allgemeinen erleidet er<lb/> so viele Ausnahmen, daß es stets unmöglich bleiben wird, aus der Körper¬<lb/> beschaffenheit eines Menschen zweifellos sichere Schlüsse auf seinen Charakter<lb/> zu ziehen. Ist nach dem oben gesagten die körperliche Seite des Verbrecher¬<lb/> typus: eine Körperbeschaffenheit, die zwar nicht zur Verbrecherlaufbahn zwingt,<lb/> aber sie nahelegt und manchmal unvermeidlich macht, in den meisten Fällen<lb/> angeboren, so ist dagegen die seelische Seite, zu der auch Physiognomie und<lb/> Benehmen gehören, meistens erworben. Der von Ellis angeführte Tarde wird<lb/> Recht haben, wenn er den Verbrechertypus, oder genauer gesagt die Verbrecher-<lb/> thpen als Berufstypen bezeichnet und sie ebenso entstehen läßt, wie der<lb/> Advokaten-, der gelehrte, der Soldaten-, der Bauerntypus entstehen. Von<lb/> einem allgemeinen Verbrechertypus kann schon darum keine Rede sein, weil,<lb/> wie jeder weiß, und wie auch Ellis bestätigt, zwischen dem armen, scheuen<lb/> Diebe, dem frechen, eleganten Hochstapler und dem großen Betrüger, der die<lb/> Gimpel durch sein behäbiges, gutmütiges, nicht selten klerikales Äußere lockt,<lb/> himmelweite und ganz augenfällige Unterschiede bestehen. Daß Leib und Seele<lb/> gegenseitig auf einander einwirken, daß eine bestimmte Schüdelbildung auf die<lb/> Gehirnentwicklung und das Seelenleben, umgekehrt aber auch dieses, namentlich<lb/> wenn es in einer bestimmten Berufsthätigkeit verläuft, auf das Gehirn und<lb/> mittelbar auf den Knochenbau Einfluß hat, ist gewiß; aber bei der Vielheit<lb/> einander kreuzender und zum Teil der Forschung unzugänglicher Ursachen (die<lb/> Gehirne lebender Menschen können nicht untersucht werden, und die Gehirne<lb/> toter nur dann, wenn die Inhaber Verbrecher oder berühmte Männer waren)<lb/> wird die praktische Verwertung der Kriminalanthrvpvlogie stets so schwierig<lb/> bleiben wie die der Meteorologie für Wetterprognosen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen<lb/><note type="byline"> Herman Riegel</note> von </head><lb/> <p xml:id="ID_364" next="#ID_365"> phorismen über Kunst — so lautet die Überschrift von allerlei<lb/> Herzensergießungen, mit deuen Herr Professor Reinhold Vegas<lb/> kürzlich auf vier Druckseiten der „Zukunft" die Welt beschenkt hat.<lb/> Wer die paar Seiten unbefangen liest, der staunt über den niedrigen<lb/> Begriff und die geringen, verworrnen Kenntnisse, die der Ver¬<lb/> fasser von der Kunst und ihrer Geschichte hat. Viele werden freilich anch nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
Zur !vürdignng der gegenwärtigen Runstbestrebnngen
Zeiten, ohne auf die moderne Anthropologie zu warten, die Sorge für Zeu¬
gung und Heranbildung eines gesunden und starken Geschlechts zu den wich¬
tigsten Pflichten des Staates gerechnet haben; aber im allgemeinen erleidet er
so viele Ausnahmen, daß es stets unmöglich bleiben wird, aus der Körper¬
beschaffenheit eines Menschen zweifellos sichere Schlüsse auf seinen Charakter
zu ziehen. Ist nach dem oben gesagten die körperliche Seite des Verbrecher¬
typus: eine Körperbeschaffenheit, die zwar nicht zur Verbrecherlaufbahn zwingt,
aber sie nahelegt und manchmal unvermeidlich macht, in den meisten Fällen
angeboren, so ist dagegen die seelische Seite, zu der auch Physiognomie und
Benehmen gehören, meistens erworben. Der von Ellis angeführte Tarde wird
Recht haben, wenn er den Verbrechertypus, oder genauer gesagt die Verbrecher-
thpen als Berufstypen bezeichnet und sie ebenso entstehen läßt, wie der
Advokaten-, der gelehrte, der Soldaten-, der Bauerntypus entstehen. Von
einem allgemeinen Verbrechertypus kann schon darum keine Rede sein, weil,
wie jeder weiß, und wie auch Ellis bestätigt, zwischen dem armen, scheuen
Diebe, dem frechen, eleganten Hochstapler und dem großen Betrüger, der die
Gimpel durch sein behäbiges, gutmütiges, nicht selten klerikales Äußere lockt,
himmelweite und ganz augenfällige Unterschiede bestehen. Daß Leib und Seele
gegenseitig auf einander einwirken, daß eine bestimmte Schüdelbildung auf die
Gehirnentwicklung und das Seelenleben, umgekehrt aber auch dieses, namentlich
wenn es in einer bestimmten Berufsthätigkeit verläuft, auf das Gehirn und
mittelbar auf den Knochenbau Einfluß hat, ist gewiß; aber bei der Vielheit
einander kreuzender und zum Teil der Forschung unzugänglicher Ursachen (die
Gehirne lebender Menschen können nicht untersucht werden, und die Gehirne
toter nur dann, wenn die Inhaber Verbrecher oder berühmte Männer waren)
wird die praktische Verwertung der Kriminalanthrvpvlogie stets so schwierig
bleiben wie die der Meteorologie für Wetterprognosen.
Zur Würdigung der gegenwärtigen Kunstbestrebungen
Herman Riegel von
phorismen über Kunst — so lautet die Überschrift von allerlei
Herzensergießungen, mit deuen Herr Professor Reinhold Vegas
kürzlich auf vier Druckseiten der „Zukunft" die Welt beschenkt hat.
Wer die paar Seiten unbefangen liest, der staunt über den niedrigen
Begriff und die geringen, verworrnen Kenntnisse, die der Ver¬
fasser von der Kunst und ihrer Geschichte hat. Viele werden freilich anch nicht
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