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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Es ist lebendige und interessant erfnndne Bewegung in der Gruppe. Die Be¬
nennung des Werkes: "Die Meerestiefen" ist freilich aus einem schiefen Gedanken
entsprungen, denn es ist doch von dem Beschauer zu viel verlangt, daß er sich
die Gruppe von Wasser umgeben vorstelle. Überdies, wenn ein Plastiker ein
menschliches Wesen greifbar vor uns hinstellt und dabei sagt, es lebe auf dem
Meeresgrunde, so werden wir einfach sagen: das ist nicht möglich. In Dich¬
tungen nehmen wir keinen Anstand, uns auf dem Meeresgrunde Paläste be¬
wohnt von menschlichen Wesen zu denken. Aber die Borstellung, die uns eine
Dichtung giebt, ist lange nicht so greifbar, wie das Werk eines Plastikers, vor
dem wir stehen; deshalb lassen wir uns dort eher über das Naturuumögliche
hinwegtäuschen. Der Plastiker wird gut daran thun, solche menschliche Wasser¬
wesen in Situationen darzustellen, in denen sie sich an der Oberfläche oder
am Strande befinden können. Eberlein hat wieder eine mit großer Grazie
geschickt gearbeitete kleine Gruppe: Venus und Amor ausgestellt.

Das beste leistet Berlin in der Bildnisbüste. Unter den jungen Bild-
hauern, die dieses Fach vertreten, ragt Harro Magnussen hervor. Er hat in
seinen Arbeiten die derbe Kraft, die Herzcnswärme, die zähe Energie, die Unter¬
drückung alles Kleinlichen, die den niedersächsischen Stamm, dem er angehört,
kennzeichnen. niederdeutsche sind es auch, die sich Magnussen vorzüglich zu
Modellen aussucht. Da ist eine Büste des Marschendichters Allmers: der
Kraft und Naturmensch mit einem Profil -- der Dargestellte verzeihe mir den
Vergleich --, halb Adler, halb Eber, ist mit einer Energie der Charakteristik
gegeben, die das Werk weithin sichtbar aus allen in seiner Nachbarschaft stehenden
herausheben. Nicht weniger gut ist die bronzirte Büste des Chefredakteurs
des Kladderadatsch, Johonnes Trojan, gelungen. Um die Mundwinkel zuckt
der Schalk, die Backen haben trotz des gleichmäßigen Vronzetvns fast farbige
Wirkung, mit haarscharfer Sicherheit und fester, kraftvoller Hand sind Nase und
Stirn modcllirt. Auch in diesem Kopfe ist dieselbe geschlossene, einheitliche
Wirkung wie in dem Kopfe von Allmers. Weniger günstig für den aus¬
geprägt plastischen Stil des Künstlers ist der mehr malerische Kopf Heinrich
Seidels. Auch weibliche Köpfe liegen dem Künstler nicht so gut, da in seiner
Auffassung das Charakteristische zu sehr in erster Linie steht, als daß das An¬
mutige und Zarte eines weiblichen Kopfes genügend zur Geltung kommen
könnte. Die Charakteristik in der Büste seiner Gattin aber ist so reich und sicher,
daß sie an antikrömische Fraucnbüstcn erinnert. Von erster Güte als Studie
ist der Kopf eines Schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten. Die lebensgroße
Statue Friedrichs des Großen, wie er in seinen letzten Lebenstagen im Kranken¬
stuhl sitzt, ist insofern weniger gelungen, als nur die Energie, noch zu leben, in
dem nach der Totenmaske vortrefflich gearbeiteten Kopf zum Ausdruck kommt
und uicht das Heroische, wie z. B. in der Statue des sterbenden Napoleon
zu Fontainebleau.


Es ist lebendige und interessant erfnndne Bewegung in der Gruppe. Die Be¬
nennung des Werkes: „Die Meerestiefen" ist freilich aus einem schiefen Gedanken
entsprungen, denn es ist doch von dem Beschauer zu viel verlangt, daß er sich
die Gruppe von Wasser umgeben vorstelle. Überdies, wenn ein Plastiker ein
menschliches Wesen greifbar vor uns hinstellt und dabei sagt, es lebe auf dem
Meeresgrunde, so werden wir einfach sagen: das ist nicht möglich. In Dich¬
tungen nehmen wir keinen Anstand, uns auf dem Meeresgrunde Paläste be¬
wohnt von menschlichen Wesen zu denken. Aber die Borstellung, die uns eine
Dichtung giebt, ist lange nicht so greifbar, wie das Werk eines Plastikers, vor
dem wir stehen; deshalb lassen wir uns dort eher über das Naturuumögliche
hinwegtäuschen. Der Plastiker wird gut daran thun, solche menschliche Wasser¬
wesen in Situationen darzustellen, in denen sie sich an der Oberfläche oder
am Strande befinden können. Eberlein hat wieder eine mit großer Grazie
geschickt gearbeitete kleine Gruppe: Venus und Amor ausgestellt.

Das beste leistet Berlin in der Bildnisbüste. Unter den jungen Bild-
hauern, die dieses Fach vertreten, ragt Harro Magnussen hervor. Er hat in
seinen Arbeiten die derbe Kraft, die Herzcnswärme, die zähe Energie, die Unter¬
drückung alles Kleinlichen, die den niedersächsischen Stamm, dem er angehört,
kennzeichnen. niederdeutsche sind es auch, die sich Magnussen vorzüglich zu
Modellen aussucht. Da ist eine Büste des Marschendichters Allmers: der
Kraft und Naturmensch mit einem Profil — der Dargestellte verzeihe mir den
Vergleich —, halb Adler, halb Eber, ist mit einer Energie der Charakteristik
gegeben, die das Werk weithin sichtbar aus allen in seiner Nachbarschaft stehenden
herausheben. Nicht weniger gut ist die bronzirte Büste des Chefredakteurs
des Kladderadatsch, Johonnes Trojan, gelungen. Um die Mundwinkel zuckt
der Schalk, die Backen haben trotz des gleichmäßigen Vronzetvns fast farbige
Wirkung, mit haarscharfer Sicherheit und fester, kraftvoller Hand sind Nase und
Stirn modcllirt. Auch in diesem Kopfe ist dieselbe geschlossene, einheitliche
Wirkung wie in dem Kopfe von Allmers. Weniger günstig für den aus¬
geprägt plastischen Stil des Künstlers ist der mehr malerische Kopf Heinrich
Seidels. Auch weibliche Köpfe liegen dem Künstler nicht so gut, da in seiner
Auffassung das Charakteristische zu sehr in erster Linie steht, als daß das An¬
mutige und Zarte eines weiblichen Kopfes genügend zur Geltung kommen
könnte. Die Charakteristik in der Büste seiner Gattin aber ist so reich und sicher,
daß sie an antikrömische Fraucnbüstcn erinnert. Von erster Güte als Studie
ist der Kopf eines Schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten. Die lebensgroße
Statue Friedrichs des Großen, wie er in seinen letzten Lebenstagen im Kranken¬
stuhl sitzt, ist insofern weniger gelungen, als nur die Energie, noch zu leben, in
dem nach der Totenmaske vortrefflich gearbeiteten Kopf zum Ausdruck kommt
und uicht das Heroische, wie z. B. in der Statue des sterbenden Napoleon
zu Fontainebleau.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/87>, abgerufen am 22.07.2024.