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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

Chronik. Andre belgische Künstler holen sich Anregung bei ihren Nachbarn
in Holland, besonders die Landschafter, unter ihnen Schampeleer, Carpentier,
Massanx, H. Arten, sie haben den fetten, pastvsen Vortrag der Holländer an¬
genommen. Viktor Gilsoul und Conrtois bedienen sich zwar ähnlicher Mittel,
aber sie bewahren doch vermöge ihrer kräftigen Persönlichkeit mehr die eigne
Nationalität und bringen in ihren Landschaften dramatische Wirkungen in
Licht, Luft und Farben hervor, die die Holländer nicht erreichen. Einer der
bedeutendsten belgischen Künstler ist der Blumenmaler Joors in Antwerpen.
Er ist prächtig in der Farbe, ruhig, groß und geschlossen in der Komposition,
und seine Blumen und Früchte sind von einer wahrhaft verblüffenden Natur¬
frische; Primeln von solcher Natürlichkeit wie die auf einem seiner diesjährigen
Bilder sind wohl überhaupt noch nicht gemalt worden. Dieselben Elemente,
die einen Rubens hervorgebracht haben, finden sich noch heute bei den bel¬
gischen Künstlern: Rubens ist bei einem fremden Volke, den Italienern, in die
Schule gegangen und zeichnet sich durch freudige Pracht der Farbe und dra¬
matische Wirkung aus.

Auch die holländischen Maler haben noch heute eine gewisse Verwandt¬
schaft mit den Meistern des siebzehnten Jahrhunderts, ihre Säle fallen durch
die Einheitlichkeit des Tons in allen Bildern auf. Viel trägt wohl dazu die
feuchte Luft ihres Landes bei, die alle Farben dämpft. Ihre Farbenfreude
offenbart sich nur in den Blumenstöcken. Schönen roten Mohn hat Oldenelt
gemalt, ein blühendes Tulpenfeld A. L. Koster, Blumen in gedämpften Farben
Backhuhsen. Die meisten Bilder aber stellen Landschaften dar, und diese haben
es besonders darauf abgesehen, die Dunstcrscheinuugen der Lust zu schildern.
Mesdag wendet sich in seinen berühmten See- und Strandbildern neuerdings
vibristischen Effekten zu und zerstört dadurch die ruhige Haltung seiner
Bilder. Geballte Wolken am Himmel stellt Bernhard Hoppe dar, das klare
Licht der Stnrmluft und einen herbstlichen Himmel, der schwer über einer
Heide liegt, Poggenbeck, peitschenden Regen A. v. d. Waaij, schwermütige Flu߬
landschaft Rudolph Haal, Helles Licht unter Bäumen mit Sonnenflecken von
packender Wirkung Marie Bildcrs van Bosse, einen Jahrmarkt am Abend mit
dem zitternden Licht seiner Lampen über dem Gedränge der Marktbesucher
Oldenelt, eutlaubte Bäume eingehüllt in regenschwangere Luft Whsmuller.
Aber auch den Frieden des Hanfes schildern die holländischen Künstler wie
ihre Vorfahren, das dämmerige Licht in dunstiger Stube, immer mit einem
Genremotiv verbunden. Bei Docke wärmen sich herumziehende Musikanten am
gastlichen Kamin, Willy Mariens schildert die bangende Mutter am Bett ihres
kranken Kindes, Kvning läßt eine Magd im dunkeln Stall die Kühe tränken.
Fast immer sind es arme Leute, die in den Bildern vorgeführt werden; selten
andre, wie die junge Frau in Gesellschaftstoilette an der Wiege ihres Kindes
von Gvrard Müller. Die Malweise der jetzigen Holländer freilich ist lange


Grenzboten IV 1893 10
Die Münchner Ausstellungen

Chronik. Andre belgische Künstler holen sich Anregung bei ihren Nachbarn
in Holland, besonders die Landschafter, unter ihnen Schampeleer, Carpentier,
Massanx, H. Arten, sie haben den fetten, pastvsen Vortrag der Holländer an¬
genommen. Viktor Gilsoul und Conrtois bedienen sich zwar ähnlicher Mittel,
aber sie bewahren doch vermöge ihrer kräftigen Persönlichkeit mehr die eigne
Nationalität und bringen in ihren Landschaften dramatische Wirkungen in
Licht, Luft und Farben hervor, die die Holländer nicht erreichen. Einer der
bedeutendsten belgischen Künstler ist der Blumenmaler Joors in Antwerpen.
Er ist prächtig in der Farbe, ruhig, groß und geschlossen in der Komposition,
und seine Blumen und Früchte sind von einer wahrhaft verblüffenden Natur¬
frische; Primeln von solcher Natürlichkeit wie die auf einem seiner diesjährigen
Bilder sind wohl überhaupt noch nicht gemalt worden. Dieselben Elemente,
die einen Rubens hervorgebracht haben, finden sich noch heute bei den bel¬
gischen Künstlern: Rubens ist bei einem fremden Volke, den Italienern, in die
Schule gegangen und zeichnet sich durch freudige Pracht der Farbe und dra¬
matische Wirkung aus.

Auch die holländischen Maler haben noch heute eine gewisse Verwandt¬
schaft mit den Meistern des siebzehnten Jahrhunderts, ihre Säle fallen durch
die Einheitlichkeit des Tons in allen Bildern auf. Viel trägt wohl dazu die
feuchte Luft ihres Landes bei, die alle Farben dämpft. Ihre Farbenfreude
offenbart sich nur in den Blumenstöcken. Schönen roten Mohn hat Oldenelt
gemalt, ein blühendes Tulpenfeld A. L. Koster, Blumen in gedämpften Farben
Backhuhsen. Die meisten Bilder aber stellen Landschaften dar, und diese haben
es besonders darauf abgesehen, die Dunstcrscheinuugen der Lust zu schildern.
Mesdag wendet sich in seinen berühmten See- und Strandbildern neuerdings
vibristischen Effekten zu und zerstört dadurch die ruhige Haltung seiner
Bilder. Geballte Wolken am Himmel stellt Bernhard Hoppe dar, das klare
Licht der Stnrmluft und einen herbstlichen Himmel, der schwer über einer
Heide liegt, Poggenbeck, peitschenden Regen A. v. d. Waaij, schwermütige Flu߬
landschaft Rudolph Haal, Helles Licht unter Bäumen mit Sonnenflecken von
packender Wirkung Marie Bildcrs van Bosse, einen Jahrmarkt am Abend mit
dem zitternden Licht seiner Lampen über dem Gedränge der Marktbesucher
Oldenelt, eutlaubte Bäume eingehüllt in regenschwangere Luft Whsmuller.
Aber auch den Frieden des Hanfes schildern die holländischen Künstler wie
ihre Vorfahren, das dämmerige Licht in dunstiger Stube, immer mit einem
Genremotiv verbunden. Bei Docke wärmen sich herumziehende Musikanten am
gastlichen Kamin, Willy Mariens schildert die bangende Mutter am Bett ihres
kranken Kindes, Kvning läßt eine Magd im dunkeln Stall die Kühe tränken.
Fast immer sind es arme Leute, die in den Bildern vorgeführt werden; selten
andre, wie die junge Frau in Gesellschaftstoilette an der Wiege ihres Kindes
von Gvrard Müller. Die Malweise der jetzigen Holländer freilich ist lange


Grenzboten IV 1893 10
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[0081] Die Münchner Ausstellungen Chronik. Andre belgische Künstler holen sich Anregung bei ihren Nachbarn in Holland, besonders die Landschafter, unter ihnen Schampeleer, Carpentier, Massanx, H. Arten, sie haben den fetten, pastvsen Vortrag der Holländer an¬ genommen. Viktor Gilsoul und Conrtois bedienen sich zwar ähnlicher Mittel, aber sie bewahren doch vermöge ihrer kräftigen Persönlichkeit mehr die eigne Nationalität und bringen in ihren Landschaften dramatische Wirkungen in Licht, Luft und Farben hervor, die die Holländer nicht erreichen. Einer der bedeutendsten belgischen Künstler ist der Blumenmaler Joors in Antwerpen. Er ist prächtig in der Farbe, ruhig, groß und geschlossen in der Komposition, und seine Blumen und Früchte sind von einer wahrhaft verblüffenden Natur¬ frische; Primeln von solcher Natürlichkeit wie die auf einem seiner diesjährigen Bilder sind wohl überhaupt noch nicht gemalt worden. Dieselben Elemente, die einen Rubens hervorgebracht haben, finden sich noch heute bei den bel¬ gischen Künstlern: Rubens ist bei einem fremden Volke, den Italienern, in die Schule gegangen und zeichnet sich durch freudige Pracht der Farbe und dra¬ matische Wirkung aus. Auch die holländischen Maler haben noch heute eine gewisse Verwandt¬ schaft mit den Meistern des siebzehnten Jahrhunderts, ihre Säle fallen durch die Einheitlichkeit des Tons in allen Bildern auf. Viel trägt wohl dazu die feuchte Luft ihres Landes bei, die alle Farben dämpft. Ihre Farbenfreude offenbart sich nur in den Blumenstöcken. Schönen roten Mohn hat Oldenelt gemalt, ein blühendes Tulpenfeld A. L. Koster, Blumen in gedämpften Farben Backhuhsen. Die meisten Bilder aber stellen Landschaften dar, und diese haben es besonders darauf abgesehen, die Dunstcrscheinuugen der Lust zu schildern. Mesdag wendet sich in seinen berühmten See- und Strandbildern neuerdings vibristischen Effekten zu und zerstört dadurch die ruhige Haltung seiner Bilder. Geballte Wolken am Himmel stellt Bernhard Hoppe dar, das klare Licht der Stnrmluft und einen herbstlichen Himmel, der schwer über einer Heide liegt, Poggenbeck, peitschenden Regen A. v. d. Waaij, schwermütige Flu߬ landschaft Rudolph Haal, Helles Licht unter Bäumen mit Sonnenflecken von packender Wirkung Marie Bildcrs van Bosse, einen Jahrmarkt am Abend mit dem zitternden Licht seiner Lampen über dem Gedränge der Marktbesucher Oldenelt, eutlaubte Bäume eingehüllt in regenschwangere Luft Whsmuller. Aber auch den Frieden des Hanfes schildern die holländischen Künstler wie ihre Vorfahren, das dämmerige Licht in dunstiger Stube, immer mit einem Genremotiv verbunden. Bei Docke wärmen sich herumziehende Musikanten am gastlichen Kamin, Willy Mariens schildert die bangende Mutter am Bett ihres kranken Kindes, Kvning läßt eine Magd im dunkeln Stall die Kühe tränken. Fast immer sind es arme Leute, die in den Bildern vorgeführt werden; selten andre, wie die junge Frau in Gesellschaftstoilette an der Wiege ihres Kindes von Gvrard Müller. Die Malweise der jetzigen Holländer freilich ist lange Grenzboten IV 1893 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/81>, abgerufen am 22.07.2024.