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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Zur Erinnerung an Wilhelm Stier

der den vom König im Jahre 1851 ausgesetzten Preis für ein Athenäum in
München davontrug. Doch blieb auch dieser Entwurf wegen seiner Kost¬
spieligkeit unausgeführt und mußte einem der unglücklichsten Pläne weichen,
die je ein Baumeister ersonnen hat.

Trotz dieser äußerlichen Mißerfolge sollte die Kunstgeschichte Stiers Namen
nicht verschweigen, weil die Anregungen, die von seiner originellen Persön¬
lichkeit ausgingen, bei seinen zahlreichen Schülern Früchte getragen haben.
Es lohnt sich daher wohl, ein umfassendes Bekenntnis über sein Streben und
seine Kunstanschauung aus dem Dunkel der Vergessenheit ans Tageslicht zu
ziehen: ein längeres Schreiben Stiers an den Maler Julius Schmorr von
Carolsfeld, das uns von dem Besitzer des handschriftlichen Nachlasses dieses
Malers, von dem Oberbibliothekar Herrn Dr. Franz Schmorr von Carolsfeld
in Dresden, gütigst zur Verfügung gestellt worden ist. Schmorr gehörte in
Rom zu den vertrautesten Freunden Stiers. Ihm widmete Stier am
11. März 1827 bei der Feier, die Schmorr bei Gelegenheit der Vollendung
seiner Nolandfresken veranstaltete, einen poetischen Glückwunsch, worin er in
gehaltvollen Versen der Kunst seines Freundes, seinem Mäcen, König
Ludwig I. von Baiern, und seiner künftigen Geliebten drei Becher widmete.
Auch dieses Gedicht, von Schmorr in einem Briefe an seinen Vater vom
27. Mai 1827 erwähnt,*) hat sich unter den Papieren Schmorrs erhalten und
verdient gelegentlich einmal veröffentlicht zu werden. Hier begnügen wir uns,
das erwähnte Schreiben, dessen Veranlassung sich gleich aus seinem Anfang
ergiebt, bekannt zu machen; es ist in jeder Hinsicht das wichtigste unter den
in Schmorrs Nachlaß befindlichen Schriftstücken aus Stiers Feder. Auch von
ihm gilt, und zwar in ganz besonderm Maße, was Lübke in dem Vorwort
zu den "Hesperischen Blättern" über Stier sagt: "Er trägt die Richtung und
Stinnnung einer Zeit, die bereits abgeschlossen hinter uns liegt. Ist darin
die stillschweigende Aufforderung ausgesprochen, ihn als Kind, als nachgebornen
Spätling eben jener Zeit aufzufassen, so wird andrerseits die Ursprünglichkeit,
Frische und Lebensfttlle, die darin sprudelt, als ein Ausfluß von Stiers
eigensten Wesen zu betrachten sein, und man wird ihn in künstlerischen Kreisen
als anziehende Offenbarung eines für die Schönheit in edler Glut begeisterten
Künstlergemütes willkommen heißen."

Berlin d. 30. Aug. l18Z32.


Mein edler Schnarr!

Ich sende Deiner Liebe diese Zeilen durch den Maler Teller,meinen Freund.
Ihr werdet Beide Freude haben in gegenseitiger Bekanntschaft. Er hat mit ge¬
standen im Phalanx unserer neu teutschen Kunst. Von ihm wirst Du gründlich
erfahren können, was Dir von dem Nordtenschen Treiben zu wissen begehrlich sein




Briefe aus Italien von Julius Schmorr von Carolsfeld. Gotha, 1386. S. 826.
Johann Xeller (1784--1372), Maler aus Heidelberg, einer von Cornelius Freunden,
studierte in Rom.
Zur Erinnerung an Wilhelm Stier

der den vom König im Jahre 1851 ausgesetzten Preis für ein Athenäum in
München davontrug. Doch blieb auch dieser Entwurf wegen seiner Kost¬
spieligkeit unausgeführt und mußte einem der unglücklichsten Pläne weichen,
die je ein Baumeister ersonnen hat.

Trotz dieser äußerlichen Mißerfolge sollte die Kunstgeschichte Stiers Namen
nicht verschweigen, weil die Anregungen, die von seiner originellen Persön¬
lichkeit ausgingen, bei seinen zahlreichen Schülern Früchte getragen haben.
Es lohnt sich daher wohl, ein umfassendes Bekenntnis über sein Streben und
seine Kunstanschauung aus dem Dunkel der Vergessenheit ans Tageslicht zu
ziehen: ein längeres Schreiben Stiers an den Maler Julius Schmorr von
Carolsfeld, das uns von dem Besitzer des handschriftlichen Nachlasses dieses
Malers, von dem Oberbibliothekar Herrn Dr. Franz Schmorr von Carolsfeld
in Dresden, gütigst zur Verfügung gestellt worden ist. Schmorr gehörte in
Rom zu den vertrautesten Freunden Stiers. Ihm widmete Stier am
11. März 1827 bei der Feier, die Schmorr bei Gelegenheit der Vollendung
seiner Nolandfresken veranstaltete, einen poetischen Glückwunsch, worin er in
gehaltvollen Versen der Kunst seines Freundes, seinem Mäcen, König
Ludwig I. von Baiern, und seiner künftigen Geliebten drei Becher widmete.
Auch dieses Gedicht, von Schmorr in einem Briefe an seinen Vater vom
27. Mai 1827 erwähnt,*) hat sich unter den Papieren Schmorrs erhalten und
verdient gelegentlich einmal veröffentlicht zu werden. Hier begnügen wir uns,
das erwähnte Schreiben, dessen Veranlassung sich gleich aus seinem Anfang
ergiebt, bekannt zu machen; es ist in jeder Hinsicht das wichtigste unter den
in Schmorrs Nachlaß befindlichen Schriftstücken aus Stiers Feder. Auch von
ihm gilt, und zwar in ganz besonderm Maße, was Lübke in dem Vorwort
zu den „Hesperischen Blättern" über Stier sagt: „Er trägt die Richtung und
Stinnnung einer Zeit, die bereits abgeschlossen hinter uns liegt. Ist darin
die stillschweigende Aufforderung ausgesprochen, ihn als Kind, als nachgebornen
Spätling eben jener Zeit aufzufassen, so wird andrerseits die Ursprünglichkeit,
Frische und Lebensfttlle, die darin sprudelt, als ein Ausfluß von Stiers
eigensten Wesen zu betrachten sein, und man wird ihn in künstlerischen Kreisen
als anziehende Offenbarung eines für die Schönheit in edler Glut begeisterten
Künstlergemütes willkommen heißen."

Berlin d. 30. Aug. l18Z32.


Mein edler Schnarr!

Ich sende Deiner Liebe diese Zeilen durch den Maler Teller,meinen Freund.
Ihr werdet Beide Freude haben in gegenseitiger Bekanntschaft. Er hat mit ge¬
standen im Phalanx unserer neu teutschen Kunst. Von ihm wirst Du gründlich
erfahren können, was Dir von dem Nordtenschen Treiben zu wissen begehrlich sein




Briefe aus Italien von Julius Schmorr von Carolsfeld. Gotha, 1386. S. 826.
Johann Xeller (1784—1372), Maler aus Heidelberg, einer von Cornelius Freunden,
studierte in Rom.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/67>, abgerufen am 22.07.2024.