Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Bismarcks Schatten ^ Ein solches Bild, wie es Bismarck zuweilen den Völkern bot, stellte wie Das und nichts andres ist ja das merkwürdige Phänomen, das wir Genie Schon früh, schon von Frankfurt aus regte er in seinen Denkschriften den Bismarcks Schatten ^ Ein solches Bild, wie es Bismarck zuweilen den Völkern bot, stellte wie Das und nichts andres ist ja das merkwürdige Phänomen, das wir Genie Schon früh, schon von Frankfurt aus regte er in seinen Denkschriften den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216366"/> <fw type="header" place="top"> Bismarcks Schatten</fw><lb/> <p xml:id="ID_2480" prev="#ID_2479"> ^ Ein solches Bild, wie es Bismarck zuweilen den Völkern bot, stellte wie<lb/> in einem Symbol die Kräfte dar, durch die er uns zur Größe geführt und<lb/> in der Größe behauptet hat. In seinem Kopfe trug er beständig das ganze<lb/> reizbare und bewegliche Zusammenleben der Völker. Er war Psycholog wie<lb/> keiner, Psycholog von Natur. Er kannte, was sich in den Empfindungen der<lb/> Völker bewegt, aus Stammeseigeutümlichkeiten und dem Begehren des Augen¬<lb/> blicks gemischt, wie die Empfindungen wirken. Mit allem rechnete er, alles<lb/> wirkte in seinen Gedanken nach, wie es wirkte bei dem Volke. Und er wußte<lb/> auf der audern Seite, daß nur Thatsachen den Menschen bilden, erziehen und<lb/> lenken. So wenn auch die kleinsten Ereignisse in seinem politischen Takt er¬<lb/> wogen wurden nach ihrer Beziehung zum Gesamtzustande und dem Gleich¬<lb/> gewicht der Nationen, stellte er bei Schwankungen des Zusammenlebens mächtig<lb/> und weithin sichtbar die Thatsachen heraus, daß sich die Verhältnisse auf<lb/> Realität gründeten und sich gestalten mußten nach realen Umständet!. Er<lb/> hatte als stete Nahrung der Kraft zu dem Bewußtsein der Übersicht und des<lb/> Könnens das Bewußtsein des guten Gewissens, und er erzog die Deutsche»<lb/> zum Mitfühlen öffentlicher Dinge in einem großen nationalen Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2481"> Das und nichts andres ist ja das merkwürdige Phänomen, das wir Genie<lb/> nennen: daß ein Mensch wie ein Zucken am eignen Körper verspürt, was zu<lb/> dem Lebenskreise seines Wirkens gehört. So fühlte Bismarck wie organische<lb/> Stücke des eignen Lebens die Ereignisse in dem Zusammenleben der Völker.<lb/> Wie sich aber — man weiß es aus zahlreichen Geschichten — in seinem<lb/> persönlichen Benehmen die Schnelligkeit des Überblicks der Lage unmittelbar<lb/> bethätigte in einer Handlung, die Recht und Würde der eiguen Persönlichkeit<lb/> wahrte, so hat er auch in der Geschichte geschaffen und gelebt. Ihm ging<lb/> die Idee des deutschen Staates fest gegründet im Herzen Europas auf. Der<lb/> politische Gedanke hat erst das befriedigte Gefühl der Vollendung, wenn er<lb/> Thatsache unter den Menschen geworden ist. Und Vismnrck durfte das Un¬<lb/> vergleichliche erleben, daß sein Gedanke Volk ward.</p><lb/> <p xml:id="ID_2482" next="#ID_2483"> Schon früh, schon von Frankfurt aus regte er in seinen Denkschriften den<lb/> Gedanken an, die Fragen der auswärtigen Politik offen behandeln zu lassen<lb/> im Parlament. Ihm war die auswärtige Politik die Seele der nationalen<lb/> Existenz. Alle nationalen Kräfte sollten in Schwung kommen und sich gesund<lb/> erhalten durch das Bewußtsein der Mitarbeit an der Größe des Reichs, das<lb/> sich zu behaupten hatte unter den Völkern. Sie sollten zusammengefaßt werden<lb/> in schöpferischer Arbeit, sie sollten den Lebensquell finden, sie sollten wach<lb/> bleiben in dem Gefühl der Verantwortung vor dem Reiche und den großen<lb/> Forderungen, die seine Stellung im Herzen Europes jedem ins Gewissen ruft.<lb/> So begriff er Deutschland, und seine Kraft erhielt uns den festen Boden für<lb/> alle Arbeit und allen Kampf. Und so viel sich auch der Gegensatz gegen den<lb/> überragenden Mann regen mochte, alle fühlten, man war in einem Leben, das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0642]
Bismarcks Schatten
^ Ein solches Bild, wie es Bismarck zuweilen den Völkern bot, stellte wie
in einem Symbol die Kräfte dar, durch die er uns zur Größe geführt und
in der Größe behauptet hat. In seinem Kopfe trug er beständig das ganze
reizbare und bewegliche Zusammenleben der Völker. Er war Psycholog wie
keiner, Psycholog von Natur. Er kannte, was sich in den Empfindungen der
Völker bewegt, aus Stammeseigeutümlichkeiten und dem Begehren des Augen¬
blicks gemischt, wie die Empfindungen wirken. Mit allem rechnete er, alles
wirkte in seinen Gedanken nach, wie es wirkte bei dem Volke. Und er wußte
auf der audern Seite, daß nur Thatsachen den Menschen bilden, erziehen und
lenken. So wenn auch die kleinsten Ereignisse in seinem politischen Takt er¬
wogen wurden nach ihrer Beziehung zum Gesamtzustande und dem Gleich¬
gewicht der Nationen, stellte er bei Schwankungen des Zusammenlebens mächtig
und weithin sichtbar die Thatsachen heraus, daß sich die Verhältnisse auf
Realität gründeten und sich gestalten mußten nach realen Umständet!. Er
hatte als stete Nahrung der Kraft zu dem Bewußtsein der Übersicht und des
Könnens das Bewußtsein des guten Gewissens, und er erzog die Deutsche»
zum Mitfühlen öffentlicher Dinge in einem großen nationalen Leben.
Das und nichts andres ist ja das merkwürdige Phänomen, das wir Genie
nennen: daß ein Mensch wie ein Zucken am eignen Körper verspürt, was zu
dem Lebenskreise seines Wirkens gehört. So fühlte Bismarck wie organische
Stücke des eignen Lebens die Ereignisse in dem Zusammenleben der Völker.
Wie sich aber — man weiß es aus zahlreichen Geschichten — in seinem
persönlichen Benehmen die Schnelligkeit des Überblicks der Lage unmittelbar
bethätigte in einer Handlung, die Recht und Würde der eiguen Persönlichkeit
wahrte, so hat er auch in der Geschichte geschaffen und gelebt. Ihm ging
die Idee des deutschen Staates fest gegründet im Herzen Europas auf. Der
politische Gedanke hat erst das befriedigte Gefühl der Vollendung, wenn er
Thatsache unter den Menschen geworden ist. Und Vismnrck durfte das Un¬
vergleichliche erleben, daß sein Gedanke Volk ward.
Schon früh, schon von Frankfurt aus regte er in seinen Denkschriften den
Gedanken an, die Fragen der auswärtigen Politik offen behandeln zu lassen
im Parlament. Ihm war die auswärtige Politik die Seele der nationalen
Existenz. Alle nationalen Kräfte sollten in Schwung kommen und sich gesund
erhalten durch das Bewußtsein der Mitarbeit an der Größe des Reichs, das
sich zu behaupten hatte unter den Völkern. Sie sollten zusammengefaßt werden
in schöpferischer Arbeit, sie sollten den Lebensquell finden, sie sollten wach
bleiben in dem Gefühl der Verantwortung vor dem Reiche und den großen
Forderungen, die seine Stellung im Herzen Europes jedem ins Gewissen ruft.
So begriff er Deutschland, und seine Kraft erhielt uns den festen Boden für
alle Arbeit und allen Kampf. Und so viel sich auch der Gegensatz gegen den
überragenden Mann regen mochte, alle fühlten, man war in einem Leben, das
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