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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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von der Ehre eines entlassenen Offiziers wollen wir lieber schweigen, und was
gar den Rektor aller Deutschen angeht, so hat sich der Mann selber gerichtet.
Waren nicht alle seine Anklagen eine unnnterbrvchne Reihe von horribeln
Lügen? Daß seine öffentlichen Reden auf nichts andres als auf Bauernfang
ausgingen, beweise"? die Tellersammluugen, und wie auf die Dauer ein Mann
im Volke Halt haben sollte, der in anständiger Gesellschaft nicht einmal seine
Toilette in Ordnung halten kann, das mögen andre verstehen, wir können es
nicht. Wir sind Steifleinen auswendig und inwendig und können auch nur
steifleinenes Wesen verstehen. Antisemitismus ist nichts andres, als ein vom
Neid eingegebnes rohes Auflehnen gegen die bestehende Gesellschaftsordnung,
die unübertrefflich und unbesiegbar ist, weil sie mit der Stempelmarke bürger¬
licher Nespektnbilität versehen ist.

Es ist unglaublich, wie wenig man sich bei diesen Leuten auf deu im
Leben des Volkes gehenden Pulsschlag versteht. Wo in dem erwähnten Leit¬
artikel von den Zielen des Antisemitismus die Rede ist, da wird -- durchaus
nicht unklar -- die Versicherung gegeben, daß man sich darüber keine Unrnhe
zu mache'n brauche. Wie die Sozialdemvlrciten nicht anzugeben vermöchten,
welche Gestalt der von ihnen angestrebte Staat haben werde, so könnten anch
die Antisemiten über das, was sie eigentlich wollten, nichts verraten. Als
Beweis muß Stöcker herhalten. Als der Hofprediger einst über die Ziele der
antisemitischen Bewegung befragt worden sei, habe er, schließlich in die Enge
getrieben, die Antwort gegeben, die Juden müßten bescheidner werden. Über
diese Antwort natürlich helle Freude im Lager Israels. Das also war des
Pudels Kern? Um diesen Pfannkuchen so viel Spektakel? Nur größere Be¬
scheidenheit wird verlangt? Nun, damit können wir zufrieden sein. Sind
wir doch respektable, gesittete Leute, nud Bescheidenheit ist überall eine Zier,
sowohl auf der Straße, als im Hause, nicht nur in Gesellschaft andrer, sondern
anch in der Familie bei Tische. Weshalb, Herr von Liebermann und Herr
Hofprediger -- deu Namen Ahlwardts wollen wir gar nicht nennen --, wes¬
halb müssen Sie denn diesen Appell durchaus "ach auswärts richten? Wäre
es nicht besser, zunächst bei sich selber Einkehr zu halten und dann viel ein¬
dringlicher durch das Beispiel zu wirken?

Dergleichen höhnische Erwiderungen konnte man seinerzeit zur Genüge zu
lesen bekommen, und auch jetzt noch sind sie an der Tagesordnung. Die
Variationen darüber sind dem liberalen Philister die liebste Musik, ein Ohren¬
schmaus, den er morgens beim Kaffee, des Mittags beim Wein und des
Abends nach dem Skat mit unendlichen Behagen genießt. Aber es ist wie
überall auch hier eine Wahrheit, daß es darauf ankommt, wie und von wo
aus man eine Sache ansieht, und daß, je höher der Standpunkt der Betrach-
tung ist, desto umfangreicher das Ergebnis sein muß. Bescheidenheit giebt es
nicht bloß in den Dingen, in denen Vater und Mutter ihre Kinder anleiten,


von der Ehre eines entlassenen Offiziers wollen wir lieber schweigen, und was
gar den Rektor aller Deutschen angeht, so hat sich der Mann selber gerichtet.
Waren nicht alle seine Anklagen eine unnnterbrvchne Reihe von horribeln
Lügen? Daß seine öffentlichen Reden auf nichts andres als auf Bauernfang
ausgingen, beweise»? die Tellersammluugen, und wie auf die Dauer ein Mann
im Volke Halt haben sollte, der in anständiger Gesellschaft nicht einmal seine
Toilette in Ordnung halten kann, das mögen andre verstehen, wir können es
nicht. Wir sind Steifleinen auswendig und inwendig und können auch nur
steifleinenes Wesen verstehen. Antisemitismus ist nichts andres, als ein vom
Neid eingegebnes rohes Auflehnen gegen die bestehende Gesellschaftsordnung,
die unübertrefflich und unbesiegbar ist, weil sie mit der Stempelmarke bürger¬
licher Nespektnbilität versehen ist.

Es ist unglaublich, wie wenig man sich bei diesen Leuten auf deu im
Leben des Volkes gehenden Pulsschlag versteht. Wo in dem erwähnten Leit¬
artikel von den Zielen des Antisemitismus die Rede ist, da wird — durchaus
nicht unklar — die Versicherung gegeben, daß man sich darüber keine Unrnhe
zu mache'n brauche. Wie die Sozialdemvlrciten nicht anzugeben vermöchten,
welche Gestalt der von ihnen angestrebte Staat haben werde, so könnten anch
die Antisemiten über das, was sie eigentlich wollten, nichts verraten. Als
Beweis muß Stöcker herhalten. Als der Hofprediger einst über die Ziele der
antisemitischen Bewegung befragt worden sei, habe er, schließlich in die Enge
getrieben, die Antwort gegeben, die Juden müßten bescheidner werden. Über
diese Antwort natürlich helle Freude im Lager Israels. Das also war des
Pudels Kern? Um diesen Pfannkuchen so viel Spektakel? Nur größere Be¬
scheidenheit wird verlangt? Nun, damit können wir zufrieden sein. Sind
wir doch respektable, gesittete Leute, nud Bescheidenheit ist überall eine Zier,
sowohl auf der Straße, als im Hause, nicht nur in Gesellschaft andrer, sondern
anch in der Familie bei Tische. Weshalb, Herr von Liebermann und Herr
Hofprediger — deu Namen Ahlwardts wollen wir gar nicht nennen —, wes¬
halb müssen Sie denn diesen Appell durchaus »ach auswärts richten? Wäre
es nicht besser, zunächst bei sich selber Einkehr zu halten und dann viel ein¬
dringlicher durch das Beispiel zu wirken?

Dergleichen höhnische Erwiderungen konnte man seinerzeit zur Genüge zu
lesen bekommen, und auch jetzt noch sind sie an der Tagesordnung. Die
Variationen darüber sind dem liberalen Philister die liebste Musik, ein Ohren¬
schmaus, den er morgens beim Kaffee, des Mittags beim Wein und des
Abends nach dem Skat mit unendlichen Behagen genießt. Aber es ist wie
überall auch hier eine Wahrheit, daß es darauf ankommt, wie und von wo
aus man eine Sache ansieht, und daß, je höher der Standpunkt der Betrach-
tung ist, desto umfangreicher das Ergebnis sein muß. Bescheidenheit giebt es
nicht bloß in den Dingen, in denen Vater und Mutter ihre Kinder anleiten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/614>, abgerufen am 04.07.2024.