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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Sozialdemokratie und Antisemitismus

Patrizierrespektabilität läßt bis auf den Grund der Seelen blicken und läßt
erkennen, daß hier auf keine Einkehr zu rechnen ist.

Der zweite verhängnisvolle Fehler, den der Liberalismus gemacht hat,
ist der, daß er dem Judentum im Staate ohne Rückhalt die völlige Gleich¬
berechtigung mit den andern Unterthanen zuerkannt hat. Die Durchführung
dieser Sache ist ihm dadurch so leicht gemacht worden, daß seine Gegner nicht
mit dem Inhalt, sondern mit der Form gekämpft haben. Wenn die orthodoxe
Kirche dem Ansturm der Feinde nur das Dogma entgegenhielt, so stellte sie
sich auf thönerne Füße und schwang hölzerne Waffen im Streite, die ihr nur
zu bald aus der Hand geschlagen waren. Es ist dein Freisinn gar nicht zum
Bewußtsein gebracht worden, daß es nicht die äußere Hülle, sondern der leben¬
dige Inhalt des Christentums ist, zu dem das Judentum nicht paßt. Nach
keiner Seite hiu, wenn wir die Rassenfrage hier nicht hereinziehen wollen.
Denn die altgläubige Judenschaft steht noch mit demselben Haß der Religion
der Liebe gegenüber, wie einst Ahasver, als er den Herrn von seiner Thür
stieß, und die, die auf die Satzungen der Väter nichts zu geben behaupte",
sind nicht besser als ihre Vorfahren, die zu Christi Zeiten die Tempelhallen
mit ihrem Schachergeschrei erfüllten und die geweihte Stätte zu einer "Mörder¬
grube" machte". Der Geist der Liebe hat sie einst aus dem Tempel ver¬
trieben, aber es ist nicht derselbe Geist, der sie in unsrer nationalen Gemein¬
schaft zugelassen hat.

Unbesehen sind sie hereingelassen worden, und nun sind sie da, durch nichts
abgehalten, das Böse, das in ihrem Charakter liegt, uach jeder Seite hiu wirken
zu lassen. Sie sind da, und in wenig Jahren ist es an vielen Orten dahin
gekommen, daß das Erbteil, das den Kindern gebührt, in die Hände der Fremd¬
linge gelangt ist. Vieles ist schon nnter der Herrschaft des jüdischen Geistes
verloren gegangen, aber es ist Gefahr, daß noch mehr und wertvolleres ver¬
loren geht. Diese Gefahr hat man endlich im Volke zu erkennen begonnen,
und damit ist auch die Bewegung dagegen riesengroß angeschwollen. Wer Ver¬
ständnis für ihr eigentliches Wesen hat, kann sich nicht wundern, sondern wird
sich sagen, daß die Wirkung genan im Verhältnis zur Ursache steht., Mit
etwas Wesenlosem kann das Volk nicht bis in seine Tiefen erschüttert werden.
An der Nespektabilitätspresse geht allerdings diese Wahrheit spurlos vorüber.
Für sie ist die ganze antisemitische Bewegung nichts als eine Mache, künstlich
von einigen unruhigen, vielleicht auch ehrgeizigen Köpfen mit hungrigen Magen
in die Menge geworfen, eine Kinderkrankheit, die kommt und geht, ohne Spuren
zurück zu lassen. Man kann dem Ding mit der Gelassenheit des Arztes zu¬
sehen, der kein andres Interesse dran hat, als es sich ausheilen zu lassen.

Was können denn mich ein verflossener Hofprediger, ein gemaßregelter
Offizier und ein mit Schimpf entlassener Rektor für Bedeutung haben? An
dem einen haftet noch immer der Vorwurf einer absichtlichen öffentlichen Lüge.


Sozialdemokratie und Antisemitismus

Patrizierrespektabilität läßt bis auf den Grund der Seelen blicken und läßt
erkennen, daß hier auf keine Einkehr zu rechnen ist.

Der zweite verhängnisvolle Fehler, den der Liberalismus gemacht hat,
ist der, daß er dem Judentum im Staate ohne Rückhalt die völlige Gleich¬
berechtigung mit den andern Unterthanen zuerkannt hat. Die Durchführung
dieser Sache ist ihm dadurch so leicht gemacht worden, daß seine Gegner nicht
mit dem Inhalt, sondern mit der Form gekämpft haben. Wenn die orthodoxe
Kirche dem Ansturm der Feinde nur das Dogma entgegenhielt, so stellte sie
sich auf thönerne Füße und schwang hölzerne Waffen im Streite, die ihr nur
zu bald aus der Hand geschlagen waren. Es ist dein Freisinn gar nicht zum
Bewußtsein gebracht worden, daß es nicht die äußere Hülle, sondern der leben¬
dige Inhalt des Christentums ist, zu dem das Judentum nicht paßt. Nach
keiner Seite hiu, wenn wir die Rassenfrage hier nicht hereinziehen wollen.
Denn die altgläubige Judenschaft steht noch mit demselben Haß der Religion
der Liebe gegenüber, wie einst Ahasver, als er den Herrn von seiner Thür
stieß, und die, die auf die Satzungen der Väter nichts zu geben behaupte«,
sind nicht besser als ihre Vorfahren, die zu Christi Zeiten die Tempelhallen
mit ihrem Schachergeschrei erfüllten und die geweihte Stätte zu einer „Mörder¬
grube" machte». Der Geist der Liebe hat sie einst aus dem Tempel ver¬
trieben, aber es ist nicht derselbe Geist, der sie in unsrer nationalen Gemein¬
schaft zugelassen hat.

Unbesehen sind sie hereingelassen worden, und nun sind sie da, durch nichts
abgehalten, das Böse, das in ihrem Charakter liegt, uach jeder Seite hiu wirken
zu lassen. Sie sind da, und in wenig Jahren ist es an vielen Orten dahin
gekommen, daß das Erbteil, das den Kindern gebührt, in die Hände der Fremd¬
linge gelangt ist. Vieles ist schon nnter der Herrschaft des jüdischen Geistes
verloren gegangen, aber es ist Gefahr, daß noch mehr und wertvolleres ver¬
loren geht. Diese Gefahr hat man endlich im Volke zu erkennen begonnen,
und damit ist auch die Bewegung dagegen riesengroß angeschwollen. Wer Ver¬
ständnis für ihr eigentliches Wesen hat, kann sich nicht wundern, sondern wird
sich sagen, daß die Wirkung genan im Verhältnis zur Ursache steht., Mit
etwas Wesenlosem kann das Volk nicht bis in seine Tiefen erschüttert werden.
An der Nespektabilitätspresse geht allerdings diese Wahrheit spurlos vorüber.
Für sie ist die ganze antisemitische Bewegung nichts als eine Mache, künstlich
von einigen unruhigen, vielleicht auch ehrgeizigen Köpfen mit hungrigen Magen
in die Menge geworfen, eine Kinderkrankheit, die kommt und geht, ohne Spuren
zurück zu lassen. Man kann dem Ding mit der Gelassenheit des Arztes zu¬
sehen, der kein andres Interesse dran hat, als es sich ausheilen zu lassen.

Was können denn mich ein verflossener Hofprediger, ein gemaßregelter
Offizier und ein mit Schimpf entlassener Rektor für Bedeutung haben? An
dem einen haftet noch immer der Vorwurf einer absichtlichen öffentlichen Lüge.


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[0613] Sozialdemokratie und Antisemitismus Patrizierrespektabilität läßt bis auf den Grund der Seelen blicken und läßt erkennen, daß hier auf keine Einkehr zu rechnen ist. Der zweite verhängnisvolle Fehler, den der Liberalismus gemacht hat, ist der, daß er dem Judentum im Staate ohne Rückhalt die völlige Gleich¬ berechtigung mit den andern Unterthanen zuerkannt hat. Die Durchführung dieser Sache ist ihm dadurch so leicht gemacht worden, daß seine Gegner nicht mit dem Inhalt, sondern mit der Form gekämpft haben. Wenn die orthodoxe Kirche dem Ansturm der Feinde nur das Dogma entgegenhielt, so stellte sie sich auf thönerne Füße und schwang hölzerne Waffen im Streite, die ihr nur zu bald aus der Hand geschlagen waren. Es ist dein Freisinn gar nicht zum Bewußtsein gebracht worden, daß es nicht die äußere Hülle, sondern der leben¬ dige Inhalt des Christentums ist, zu dem das Judentum nicht paßt. Nach keiner Seite hiu, wenn wir die Rassenfrage hier nicht hereinziehen wollen. Denn die altgläubige Judenschaft steht noch mit demselben Haß der Religion der Liebe gegenüber, wie einst Ahasver, als er den Herrn von seiner Thür stieß, und die, die auf die Satzungen der Väter nichts zu geben behaupte«, sind nicht besser als ihre Vorfahren, die zu Christi Zeiten die Tempelhallen mit ihrem Schachergeschrei erfüllten und die geweihte Stätte zu einer „Mörder¬ grube" machte». Der Geist der Liebe hat sie einst aus dem Tempel ver¬ trieben, aber es ist nicht derselbe Geist, der sie in unsrer nationalen Gemein¬ schaft zugelassen hat. Unbesehen sind sie hereingelassen worden, und nun sind sie da, durch nichts abgehalten, das Böse, das in ihrem Charakter liegt, uach jeder Seite hiu wirken zu lassen. Sie sind da, und in wenig Jahren ist es an vielen Orten dahin gekommen, daß das Erbteil, das den Kindern gebührt, in die Hände der Fremd¬ linge gelangt ist. Vieles ist schon nnter der Herrschaft des jüdischen Geistes verloren gegangen, aber es ist Gefahr, daß noch mehr und wertvolleres ver¬ loren geht. Diese Gefahr hat man endlich im Volke zu erkennen begonnen, und damit ist auch die Bewegung dagegen riesengroß angeschwollen. Wer Ver¬ ständnis für ihr eigentliches Wesen hat, kann sich nicht wundern, sondern wird sich sagen, daß die Wirkung genan im Verhältnis zur Ursache steht., Mit etwas Wesenlosem kann das Volk nicht bis in seine Tiefen erschüttert werden. An der Nespektabilitätspresse geht allerdings diese Wahrheit spurlos vorüber. Für sie ist die ganze antisemitische Bewegung nichts als eine Mache, künstlich von einigen unruhigen, vielleicht auch ehrgeizigen Köpfen mit hungrigen Magen in die Menge geworfen, eine Kinderkrankheit, die kommt und geht, ohne Spuren zurück zu lassen. Man kann dem Ding mit der Gelassenheit des Arztes zu¬ sehen, der kein andres Interesse dran hat, als es sich ausheilen zu lassen. Was können denn mich ein verflossener Hofprediger, ein gemaßregelter Offizier und ein mit Schimpf entlassener Rektor für Bedeutung haben? An dem einen haftet noch immer der Vorwurf einer absichtlichen öffentlichen Lüge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/613>, abgerufen am 24.07.2024.