Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Raimundtheater in Wien

ans den Blättern dieses Lebens anschaut, und man darf schließlich nicht all¬
zusehr mit ihr rechten, daß ihr das Geschick zu hundert guten Gaben die Milde
und die heitere Beweglichkeit des Geistes versagt hatte.




Das Raimundtheater in Lvien

an hat die Beobachtung gemacht, daß sich die Zahl der Theater
in Wien während der letzten hundert Jahre nicht dauernd hat
vermehren können: die beiden Hoftheater und die Theater in der
Leopoldstadt, an der Wien und in der Josefstadt, diese fünf bilden
den bleibenden Bestand; was sonst dazu kam, verschwand immer
wieder bald, so das Treumannthcater, das Harmonietheater, das Ringtheater
unglückseligen Angedenkens, das Stadttheater. Als darum vor drei Jahren
auf dem Weghnbergrund das Volkstheater errichtet wurde, versprachen ihm
Ortskundige keine lange Dauer. Nun aber hält dieses nicht nur immer noch
gut aus -- obwohl es von seinem ursprünglichen Prvgrcimm stark abgewichen
ist --, sondern man hat sogar den Mut gefunden, noch ein siebentes großes
Theater zu gründen, das Naimundtheater. Am 28. November ist es er¬
öffnet worden, nachdem kaum ein Jahr zuvor der Grundstein dazu gelegt
worden war.

Das neue Theater, vou dem Wiener Architekten Noth einfach, aber solid und
mit Geschmack gebant, liegt ans dem Boden des alten Vorstadtgrnndes Gumpen-
dorf; es ist aber nicht ganz richtig, wenn es im Prolog, mit dem das Theater
eröffnet wurde, heißt, es befinde sich da, wo die Wiege Raimunds gestanden
habe, denn Raimund war in Mariahilf geboren, und Gumpendvrf gehört nur
heute zu dem sechsten Gemeiudebezirk, dem mau den Namen Mariahilf ge¬
geben hat. Es ist sehr weit von dem Mittelpunkte der Stadt entfernt; man
braucht eine starke halbe Stunde, um zu Fuß von der Ringstraße hinzukommen.
Aber das ist ganz gut, denn das Wiener Leben bedarf der Dezentralisation,
'kund dehnt sich gerade in dieser südwestlichen Richtung das Stadtgebiet sehr
weit aus: auf Gumpendvrf folge" jenseits des alten Linienwalles noch ein paar
stark bevölkerte Jndustriebezirle, die mit ihren letzten Ausläufern beinahe Schön-
brunn erreichen. Ans die Bewohner der umliegenden Stadtteile, denen es zu
weit und umständlich und vielleicht anch zu teuer ist, andre Theater zu be¬
suchen, rechnet denn auch das Unternehmen vor allein, die Preise sind so
niedrig augesetzt, wie in keinem andern Wiener Theater, ausgenommen etwa
kleine, unbequeme Josefstädter, wo mir Lokalpossen gegeben werden; der


Grenzboten IV 18W 7Z
Das Raimundtheater in Wien

ans den Blättern dieses Lebens anschaut, und man darf schließlich nicht all¬
zusehr mit ihr rechten, daß ihr das Geschick zu hundert guten Gaben die Milde
und die heitere Beweglichkeit des Geistes versagt hatte.




Das Raimundtheater in Lvien

an hat die Beobachtung gemacht, daß sich die Zahl der Theater
in Wien während der letzten hundert Jahre nicht dauernd hat
vermehren können: die beiden Hoftheater und die Theater in der
Leopoldstadt, an der Wien und in der Josefstadt, diese fünf bilden
den bleibenden Bestand; was sonst dazu kam, verschwand immer
wieder bald, so das Treumannthcater, das Harmonietheater, das Ringtheater
unglückseligen Angedenkens, das Stadttheater. Als darum vor drei Jahren
auf dem Weghnbergrund das Volkstheater errichtet wurde, versprachen ihm
Ortskundige keine lange Dauer. Nun aber hält dieses nicht nur immer noch
gut aus — obwohl es von seinem ursprünglichen Prvgrcimm stark abgewichen
ist —, sondern man hat sogar den Mut gefunden, noch ein siebentes großes
Theater zu gründen, das Naimundtheater. Am 28. November ist es er¬
öffnet worden, nachdem kaum ein Jahr zuvor der Grundstein dazu gelegt
worden war.

Das neue Theater, vou dem Wiener Architekten Noth einfach, aber solid und
mit Geschmack gebant, liegt ans dem Boden des alten Vorstadtgrnndes Gumpen-
dorf; es ist aber nicht ganz richtig, wenn es im Prolog, mit dem das Theater
eröffnet wurde, heißt, es befinde sich da, wo die Wiege Raimunds gestanden
habe, denn Raimund war in Mariahilf geboren, und Gumpendvrf gehört nur
heute zu dem sechsten Gemeiudebezirk, dem mau den Namen Mariahilf ge¬
geben hat. Es ist sehr weit von dem Mittelpunkte der Stadt entfernt; man
braucht eine starke halbe Stunde, um zu Fuß von der Ringstraße hinzukommen.
Aber das ist ganz gut, denn das Wiener Leben bedarf der Dezentralisation,
'kund dehnt sich gerade in dieser südwestlichen Richtung das Stadtgebiet sehr
weit aus: auf Gumpendvrf folge» jenseits des alten Linienwalles noch ein paar
stark bevölkerte Jndustriebezirle, die mit ihren letzten Ausläufern beinahe Schön-
brunn erreichen. Ans die Bewohner der umliegenden Stadtteile, denen es zu
weit und umständlich und vielleicht anch zu teuer ist, andre Theater zu be¬
suchen, rechnet denn auch das Unternehmen vor allein, die Preise sind so
niedrig augesetzt, wie in keinem andern Wiener Theater, ausgenommen etwa
kleine, unbequeme Josefstädter, wo mir Lokalpossen gegeben werden; der


Grenzboten IV 18W 7Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0585" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216309"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Raimundtheater in Wien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2221" prev="#ID_2220"> ans den Blättern dieses Lebens anschaut, und man darf schließlich nicht all¬<lb/>
zusehr mit ihr rechten, daß ihr das Geschick zu hundert guten Gaben die Milde<lb/>
und die heitere Beweglichkeit des Geistes versagt hatte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Raimundtheater in Lvien</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2222"> an hat die Beobachtung gemacht, daß sich die Zahl der Theater<lb/>
in Wien während der letzten hundert Jahre nicht dauernd hat<lb/>
vermehren können: die beiden Hoftheater und die Theater in der<lb/>
Leopoldstadt, an der Wien und in der Josefstadt, diese fünf bilden<lb/>
den bleibenden Bestand; was sonst dazu kam, verschwand immer<lb/>
wieder bald, so das Treumannthcater, das Harmonietheater, das Ringtheater<lb/>
unglückseligen Angedenkens, das Stadttheater. Als darum vor drei Jahren<lb/>
auf dem Weghnbergrund das Volkstheater errichtet wurde, versprachen ihm<lb/>
Ortskundige keine lange Dauer. Nun aber hält dieses nicht nur immer noch<lb/>
gut aus &#x2014; obwohl es von seinem ursprünglichen Prvgrcimm stark abgewichen<lb/>
ist &#x2014;, sondern man hat sogar den Mut gefunden, noch ein siebentes großes<lb/>
Theater zu gründen, das Naimundtheater. Am 28. November ist es er¬<lb/>
öffnet worden, nachdem kaum ein Jahr zuvor der Grundstein dazu gelegt<lb/>
worden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2223" next="#ID_2224"> Das neue Theater, vou dem Wiener Architekten Noth einfach, aber solid und<lb/>
mit Geschmack gebant, liegt ans dem Boden des alten Vorstadtgrnndes Gumpen-<lb/>
dorf; es ist aber nicht ganz richtig, wenn es im Prolog, mit dem das Theater<lb/>
eröffnet wurde, heißt, es befinde sich da, wo die Wiege Raimunds gestanden<lb/>
habe, denn Raimund war in Mariahilf geboren, und Gumpendvrf gehört nur<lb/>
heute zu dem sechsten Gemeiudebezirk, dem mau den Namen Mariahilf ge¬<lb/>
geben hat. Es ist sehr weit von dem Mittelpunkte der Stadt entfernt; man<lb/>
braucht eine starke halbe Stunde, um zu Fuß von der Ringstraße hinzukommen.<lb/>
Aber das ist ganz gut, denn das Wiener Leben bedarf der Dezentralisation,<lb/>
'kund dehnt sich gerade in dieser südwestlichen Richtung das Stadtgebiet sehr<lb/>
weit aus: auf Gumpendvrf folge» jenseits des alten Linienwalles noch ein paar<lb/>
stark bevölkerte Jndustriebezirle, die mit ihren letzten Ausläufern beinahe Schön-<lb/>
brunn erreichen. Ans die Bewohner der umliegenden Stadtteile, denen es zu<lb/>
weit und umständlich und vielleicht anch zu teuer ist, andre Theater zu be¬<lb/>
suchen, rechnet denn auch das Unternehmen vor allein, die Preise sind so<lb/>
niedrig augesetzt, wie in keinem andern Wiener Theater, ausgenommen etwa<lb/>
kleine, unbequeme Josefstädter, wo mir Lokalpossen gegeben werden; der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 18W 7Z</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0585] Das Raimundtheater in Wien ans den Blättern dieses Lebens anschaut, und man darf schließlich nicht all¬ zusehr mit ihr rechten, daß ihr das Geschick zu hundert guten Gaben die Milde und die heitere Beweglichkeit des Geistes versagt hatte. Das Raimundtheater in Lvien an hat die Beobachtung gemacht, daß sich die Zahl der Theater in Wien während der letzten hundert Jahre nicht dauernd hat vermehren können: die beiden Hoftheater und die Theater in der Leopoldstadt, an der Wien und in der Josefstadt, diese fünf bilden den bleibenden Bestand; was sonst dazu kam, verschwand immer wieder bald, so das Treumannthcater, das Harmonietheater, das Ringtheater unglückseligen Angedenkens, das Stadttheater. Als darum vor drei Jahren auf dem Weghnbergrund das Volkstheater errichtet wurde, versprachen ihm Ortskundige keine lange Dauer. Nun aber hält dieses nicht nur immer noch gut aus — obwohl es von seinem ursprünglichen Prvgrcimm stark abgewichen ist —, sondern man hat sogar den Mut gefunden, noch ein siebentes großes Theater zu gründen, das Naimundtheater. Am 28. November ist es er¬ öffnet worden, nachdem kaum ein Jahr zuvor der Grundstein dazu gelegt worden war. Das neue Theater, vou dem Wiener Architekten Noth einfach, aber solid und mit Geschmack gebant, liegt ans dem Boden des alten Vorstadtgrnndes Gumpen- dorf; es ist aber nicht ganz richtig, wenn es im Prolog, mit dem das Theater eröffnet wurde, heißt, es befinde sich da, wo die Wiege Raimunds gestanden habe, denn Raimund war in Mariahilf geboren, und Gumpendvrf gehört nur heute zu dem sechsten Gemeiudebezirk, dem mau den Namen Mariahilf ge¬ geben hat. Es ist sehr weit von dem Mittelpunkte der Stadt entfernt; man braucht eine starke halbe Stunde, um zu Fuß von der Ringstraße hinzukommen. Aber das ist ganz gut, denn das Wiener Leben bedarf der Dezentralisation, 'kund dehnt sich gerade in dieser südwestlichen Richtung das Stadtgebiet sehr weit aus: auf Gumpendvrf folge» jenseits des alten Linienwalles noch ein paar stark bevölkerte Jndustriebezirle, die mit ihren letzten Ausläufern beinahe Schön- brunn erreichen. Ans die Bewohner der umliegenden Stadtteile, denen es zu weit und umständlich und vielleicht anch zu teuer ist, andre Theater zu be¬ suchen, rechnet denn auch das Unternehmen vor allein, die Preise sind so niedrig augesetzt, wie in keinem andern Wiener Theater, ausgenommen etwa kleine, unbequeme Josefstädter, wo mir Lokalpossen gegeben werden; der Grenzboten IV 18W 7Z

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/585
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/585>, abgerufen am 04.07.2024.