Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
^nZIias

Stadt ist es das Natürliche, von Industrie und Handel AU leben, weil sie ja
das ackerbauende Land hinter sich hat, dessen Ergänzung sie ist; wenn aber ein
ganzes Land als Stadt leben will, so kann das nur so lange gehn, und
nur unter ungeheuren Leiden der Bevölkerung gehn, als es andre Lander
zur Verfügung hat, die sich von diesem Stadtungeheuer als sein Land be¬
handeln lassen. Das Natürliche für ein Land ist, daß das Wohlbefinden seiner
Bevölkerung mehr mit seinem wechselnden Ernteausfall als mit seiner Handels¬
bilanz schwankt.

Was nun die Frage nach dem Zusammenhange der Geschicke des eng¬
lischen Volkes mit seiner Handelspolitik anlangt, so trägt das vorliegende Buch
zur Entscheidung in dem theoretischen Streite zwischen den Freihändlern und
Schntzzöllnern nichts bei, und auch bei den einzelnen darin beleuchteten Wen¬
dungen läßt sich, wie der Verfasser hervorhebt, meistens nicht deutlich erkennen,
ob sie mehr von der Zollpolitik Englands und seiner Konkurrenten oder mehr
von andern, natürlichern Ursachen, wie Volksvermehrung, Ernteausfall, fort¬
schreitendem Gewerbesleiß der andern Völker herbeigeführt wurden. Im all¬
gemeinen aber bestätigt es die längst bekannten Thatsachen, die dem Cvbden-
klub, möchte er theoretisch noch so Recht haben, jede Aussicht auf praktische
Erfolge für die nächste Zukunft versperren. Englands Industrie und Handel sind
groß geworden unter einer rücksichtslosen Schutzzoll- und Mvnopolwirtschaft
-- ob durch sie oder trotz ihr, darüber mögen die Theoretiker streiten --, die
so weit ging, daß, nach Lord Chnthams Ausspruch, die Bewohner seiner Ko¬
lonien anch nicht einen Nagel zu einem Hufeisen anfertigen durften. Es hat
sich vor etwa fünfzig Jahren zum Freihandel bekehrt"') bei einer Lage der
Weltwirtschaft, die seine Schutzzölle überflüssig machte, da ja eine Industrie,
die alle Konkurrenten vernichtet hatte und die Welt beherrschte, keines Schutzes
mehr bedürfte. Es hat sich aber in der von seinen Theoretikern gepredigten
Hoffnung, es werde dirs vorkskiox ut Anz portal und alle übrigen Staaten
würden Ackerbanstaaten bleiben, gründlich getäuscht. Fast alle Staaten von
Bedeutung sind mehr oder weniger Industriestaaten geworden. Ob durch den
Schutzzoll, dem sie sich nach einer Periode gemäßigten Freihandels zuwandten,
oder trotz seiner, mag wiederum dahingestellt bleiben. Und weiter mag auch
noch ununtersucht bleiben, ob diese industrielle Entwicklung der andern Länder
ein Glück für sie ist. Aber daß jedes für sich allein, Schutzzoll und Steigerung
der Industrie wie beides zusammen, den Engländern geschadet hat, leugnet in
England niemand. Und mitten in dieser schutzzöllnerischen Entwicklung steht



*) Ohne jedoch aus Finanzzvlle zu verzichten. "So finden wir das überraschende Ver¬
hältnis, daß das freihändlerische Großbritannien einen griißern Teil seiner Staatseinnahmen
durch Zölle aufbringt, als die meisten schutzzöllnerischen Staaten, nämlich ein Viertel."
(Fuchs, S. 18.)
^nZIias

Stadt ist es das Natürliche, von Industrie und Handel AU leben, weil sie ja
das ackerbauende Land hinter sich hat, dessen Ergänzung sie ist; wenn aber ein
ganzes Land als Stadt leben will, so kann das nur so lange gehn, und
nur unter ungeheuren Leiden der Bevölkerung gehn, als es andre Lander
zur Verfügung hat, die sich von diesem Stadtungeheuer als sein Land be¬
handeln lassen. Das Natürliche für ein Land ist, daß das Wohlbefinden seiner
Bevölkerung mehr mit seinem wechselnden Ernteausfall als mit seiner Handels¬
bilanz schwankt.

Was nun die Frage nach dem Zusammenhange der Geschicke des eng¬
lischen Volkes mit seiner Handelspolitik anlangt, so trägt das vorliegende Buch
zur Entscheidung in dem theoretischen Streite zwischen den Freihändlern und
Schntzzöllnern nichts bei, und auch bei den einzelnen darin beleuchteten Wen¬
dungen läßt sich, wie der Verfasser hervorhebt, meistens nicht deutlich erkennen,
ob sie mehr von der Zollpolitik Englands und seiner Konkurrenten oder mehr
von andern, natürlichern Ursachen, wie Volksvermehrung, Ernteausfall, fort¬
schreitendem Gewerbesleiß der andern Völker herbeigeführt wurden. Im all¬
gemeinen aber bestätigt es die längst bekannten Thatsachen, die dem Cvbden-
klub, möchte er theoretisch noch so Recht haben, jede Aussicht auf praktische
Erfolge für die nächste Zukunft versperren. Englands Industrie und Handel sind
groß geworden unter einer rücksichtslosen Schutzzoll- und Mvnopolwirtschaft
— ob durch sie oder trotz ihr, darüber mögen die Theoretiker streiten —, die
so weit ging, daß, nach Lord Chnthams Ausspruch, die Bewohner seiner Ko¬
lonien anch nicht einen Nagel zu einem Hufeisen anfertigen durften. Es hat
sich vor etwa fünfzig Jahren zum Freihandel bekehrt"') bei einer Lage der
Weltwirtschaft, die seine Schutzzölle überflüssig machte, da ja eine Industrie,
die alle Konkurrenten vernichtet hatte und die Welt beherrschte, keines Schutzes
mehr bedürfte. Es hat sich aber in der von seinen Theoretikern gepredigten
Hoffnung, es werde dirs vorkskiox ut Anz portal und alle übrigen Staaten
würden Ackerbanstaaten bleiben, gründlich getäuscht. Fast alle Staaten von
Bedeutung sind mehr oder weniger Industriestaaten geworden. Ob durch den
Schutzzoll, dem sie sich nach einer Periode gemäßigten Freihandels zuwandten,
oder trotz seiner, mag wiederum dahingestellt bleiben. Und weiter mag auch
noch ununtersucht bleiben, ob diese industrielle Entwicklung der andern Länder
ein Glück für sie ist. Aber daß jedes für sich allein, Schutzzoll und Steigerung
der Industrie wie beides zusammen, den Engländern geschadet hat, leugnet in
England niemand. Und mitten in dieser schutzzöllnerischen Entwicklung steht



*) Ohne jedoch aus Finanzzvlle zu verzichten. „So finden wir das überraschende Ver¬
hältnis, daß das freihändlerische Großbritannien einen griißern Teil seiner Staatseinnahmen
durch Zölle aufbringt, als die meisten schutzzöllnerischen Staaten, nämlich ein Viertel."
(Fuchs, S. 18.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215782"/>
          <fw type="header" place="top"> ^nZIias</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_143" prev="#ID_142"> Stadt ist es das Natürliche, von Industrie und Handel AU leben, weil sie ja<lb/>
das ackerbauende Land hinter sich hat, dessen Ergänzung sie ist; wenn aber ein<lb/>
ganzes Land als Stadt leben will, so kann das nur so lange gehn, und<lb/>
nur unter ungeheuren Leiden der Bevölkerung gehn, als es andre Lander<lb/>
zur Verfügung hat, die sich von diesem Stadtungeheuer als sein Land be¬<lb/>
handeln lassen. Das Natürliche für ein Land ist, daß das Wohlbefinden seiner<lb/>
Bevölkerung mehr mit seinem wechselnden Ernteausfall als mit seiner Handels¬<lb/>
bilanz schwankt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_144" next="#ID_145"> Was nun die Frage nach dem Zusammenhange der Geschicke des eng¬<lb/>
lischen Volkes mit seiner Handelspolitik anlangt, so trägt das vorliegende Buch<lb/>
zur Entscheidung in dem theoretischen Streite zwischen den Freihändlern und<lb/>
Schntzzöllnern nichts bei, und auch bei den einzelnen darin beleuchteten Wen¬<lb/>
dungen läßt sich, wie der Verfasser hervorhebt, meistens nicht deutlich erkennen,<lb/>
ob sie mehr von der Zollpolitik Englands und seiner Konkurrenten oder mehr<lb/>
von andern, natürlichern Ursachen, wie Volksvermehrung, Ernteausfall, fort¬<lb/>
schreitendem Gewerbesleiß der andern Völker herbeigeführt wurden. Im all¬<lb/>
gemeinen aber bestätigt es die längst bekannten Thatsachen, die dem Cvbden-<lb/>
klub, möchte er theoretisch noch so Recht haben, jede Aussicht auf praktische<lb/>
Erfolge für die nächste Zukunft versperren. Englands Industrie und Handel sind<lb/>
groß geworden unter einer rücksichtslosen Schutzzoll- und Mvnopolwirtschaft<lb/>
&#x2014; ob durch sie oder trotz ihr, darüber mögen die Theoretiker streiten &#x2014;, die<lb/>
so weit ging, daß, nach Lord Chnthams Ausspruch, die Bewohner seiner Ko¬<lb/>
lonien anch nicht einen Nagel zu einem Hufeisen anfertigen durften. Es hat<lb/>
sich vor etwa fünfzig Jahren zum Freihandel bekehrt"') bei einer Lage der<lb/>
Weltwirtschaft, die seine Schutzzölle überflüssig machte, da ja eine Industrie,<lb/>
die alle Konkurrenten vernichtet hatte und die Welt beherrschte, keines Schutzes<lb/>
mehr bedürfte. Es hat sich aber in der von seinen Theoretikern gepredigten<lb/>
Hoffnung, es werde dirs vorkskiox ut Anz portal und alle übrigen Staaten<lb/>
würden Ackerbanstaaten bleiben, gründlich getäuscht. Fast alle Staaten von<lb/>
Bedeutung sind mehr oder weniger Industriestaaten geworden. Ob durch den<lb/>
Schutzzoll, dem sie sich nach einer Periode gemäßigten Freihandels zuwandten,<lb/>
oder trotz seiner, mag wiederum dahingestellt bleiben. Und weiter mag auch<lb/>
noch ununtersucht bleiben, ob diese industrielle Entwicklung der andern Länder<lb/>
ein Glück für sie ist. Aber daß jedes für sich allein, Schutzzoll und Steigerung<lb/>
der Industrie wie beides zusammen, den Engländern geschadet hat, leugnet in<lb/>
England niemand.  Und mitten in dieser schutzzöllnerischen Entwicklung steht</p><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> *) Ohne jedoch aus Finanzzvlle zu verzichten. &#x201E;So finden wir das überraschende Ver¬<lb/>
hältnis, daß das freihändlerische Großbritannien einen griißern Teil seiner Staatseinnahmen<lb/>
durch Zölle aufbringt, als die meisten schutzzöllnerischen Staaten, nämlich ein Viertel."<lb/>
(Fuchs, S. 18.)</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] ^nZIias Stadt ist es das Natürliche, von Industrie und Handel AU leben, weil sie ja das ackerbauende Land hinter sich hat, dessen Ergänzung sie ist; wenn aber ein ganzes Land als Stadt leben will, so kann das nur so lange gehn, und nur unter ungeheuren Leiden der Bevölkerung gehn, als es andre Lander zur Verfügung hat, die sich von diesem Stadtungeheuer als sein Land be¬ handeln lassen. Das Natürliche für ein Land ist, daß das Wohlbefinden seiner Bevölkerung mehr mit seinem wechselnden Ernteausfall als mit seiner Handels¬ bilanz schwankt. Was nun die Frage nach dem Zusammenhange der Geschicke des eng¬ lischen Volkes mit seiner Handelspolitik anlangt, so trägt das vorliegende Buch zur Entscheidung in dem theoretischen Streite zwischen den Freihändlern und Schntzzöllnern nichts bei, und auch bei den einzelnen darin beleuchteten Wen¬ dungen läßt sich, wie der Verfasser hervorhebt, meistens nicht deutlich erkennen, ob sie mehr von der Zollpolitik Englands und seiner Konkurrenten oder mehr von andern, natürlichern Ursachen, wie Volksvermehrung, Ernteausfall, fort¬ schreitendem Gewerbesleiß der andern Völker herbeigeführt wurden. Im all¬ gemeinen aber bestätigt es die längst bekannten Thatsachen, die dem Cvbden- klub, möchte er theoretisch noch so Recht haben, jede Aussicht auf praktische Erfolge für die nächste Zukunft versperren. Englands Industrie und Handel sind groß geworden unter einer rücksichtslosen Schutzzoll- und Mvnopolwirtschaft — ob durch sie oder trotz ihr, darüber mögen die Theoretiker streiten —, die so weit ging, daß, nach Lord Chnthams Ausspruch, die Bewohner seiner Ko¬ lonien anch nicht einen Nagel zu einem Hufeisen anfertigen durften. Es hat sich vor etwa fünfzig Jahren zum Freihandel bekehrt"') bei einer Lage der Weltwirtschaft, die seine Schutzzölle überflüssig machte, da ja eine Industrie, die alle Konkurrenten vernichtet hatte und die Welt beherrschte, keines Schutzes mehr bedürfte. Es hat sich aber in der von seinen Theoretikern gepredigten Hoffnung, es werde dirs vorkskiox ut Anz portal und alle übrigen Staaten würden Ackerbanstaaten bleiben, gründlich getäuscht. Fast alle Staaten von Bedeutung sind mehr oder weniger Industriestaaten geworden. Ob durch den Schutzzoll, dem sie sich nach einer Periode gemäßigten Freihandels zuwandten, oder trotz seiner, mag wiederum dahingestellt bleiben. Und weiter mag auch noch ununtersucht bleiben, ob diese industrielle Entwicklung der andern Länder ein Glück für sie ist. Aber daß jedes für sich allein, Schutzzoll und Steigerung der Industrie wie beides zusammen, den Engländern geschadet hat, leugnet in England niemand. Und mitten in dieser schutzzöllnerischen Entwicklung steht *) Ohne jedoch aus Finanzzvlle zu verzichten. „So finden wir das überraschende Ver¬ hältnis, daß das freihändlerische Großbritannien einen griißern Teil seiner Staatseinnahmen durch Zölle aufbringt, als die meisten schutzzöllnerischen Staaten, nämlich ein Viertel." (Fuchs, S. 18.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/58
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/58>, abgerufen am 22.07.2024.