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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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französische Volk ist auch ohne großen Seehandel zufrieden, sein eignes Land
liefert ihm reichliche Lel'ensgüter. Grund zur Handelseifersucht liegt also nicht
mehr vor. Warum sollten nun beide Völker in einen ernsthaften Krieg mit
einander geraten? Man blicke doch zurück in die Geschichte: die blutigsten und
hartnäckigsten Kriege und namentlich Seekriege entstanden aus Handelseifer¬
sucht, obwohl an andern Gründen zum Kriegführen kein Mangel war. Nach
meiner Ansicht ist es wahrscheinlicher, daß im Laufe der kommenden Jahrzehnte
England und Deutschland an einander geraten werden; denn die Zunahme des
deutschen Seehandels und der deutschen Schiffahrt, die Tüchtigkeit der deutscheu
Seeleute und Kaufleute, das alles wird von dem Engländer mit wachsenden,
Mißbehagen betrachtet. Wie es eine Zeit gab, wo den Engländern die Hanseaten
lästig wurden und sie öfter die Stahlhofkaufleute bedrohten, weil die han¬
sischen Jslandfahrer englische Handelsübergriffe uicht geduldet hatten, so kann
auch eine Zeit kommen, wo die Handelscifersncht zwischen den Kaufleuten beider
Völker wieder zu Anmaßungen und Streitigkeiten führt. Kurz, in Bezug ans
den Schutz des Seehandels sind die der deutschen Flotte zufallenden Aufgaben
dieselben, wie die der französischen; dabei hat aber die deutsche Marine mehr
als doppelt so viele Hochseehandclsschiffe zu schützen.

Vielleicht hat der Reichsbote die Nebenanfgaben einer Kriegsflotte gemeint:
Küsten- und Kolouialschutz. Nun giebt es aber wahrscheinlich in keinem andern
Lande so viele und gute Küstenbefestigungen, wie in Frankreich; darübergeben
die Karten und die militärtechnischeu Werke genügende Auskunft. Um die
vielen sehr nahe am Meere liegenden Häfen zu schützen, ist freilich eine Flotte
von Kttstenverteidigern ebenso gut nötig, wie bei uns zum Schutz der Ostsee¬
küste. Aber eine tüchtige Zahl weittragender Kanonen ans dem Lande und
eine Anzahl von Torpedobooten für die Nachtverteidigung würde nötigenfalls
diese Aufgabe auch übernehmen können. Der beste Schutz der französischen
wie der deutschen Kolonien liegt in der völligen Reizlosigkeit, die sie auszeichnet.
Uns brächten die französischen und den Franzosen brächten unsre Kolonien
keinerlei dauernden Vorteil. Übrigens hat Frankreich seinen Kolonialbesitz,
wenigstens die für den Kreuzerkrieg wichtigen Stützpunkte, mit Festungswerken
versehen; zur Verteidigung der besten Plätze sind überdies Kolonialtruppeu
vorhanden. Genug, weder die ausgedehnte Landesküste, noch der Kolonialbesitz
machen Frankreichs stärkere Flotte nötig. Sogar seine Herrschaft im Mittel¬
meer und der ungestörte Seeverkehr mit seinen wichtigsten Besitzungen in Algier
und Tunis ist für Frankreich -- volkswirtschaftlich betrachtet -- keineswegs
von größerer Bedeutung, als für uns die Möglichkeit einer ungestörten Fort-
setzung unsers Seehandels während eines längern Kriegs. Es läge im Inter-
esse unsers Vaterlands, wenn einmal ein Sachverständiger die Notwendigkeit
des Schutzes unsers Seehandels vom volkswirtschaftlichen Standpunkt ausführ¬
licher begründen wollte.


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französische Volk ist auch ohne großen Seehandel zufrieden, sein eignes Land
liefert ihm reichliche Lel'ensgüter. Grund zur Handelseifersucht liegt also nicht
mehr vor. Warum sollten nun beide Völker in einen ernsthaften Krieg mit
einander geraten? Man blicke doch zurück in die Geschichte: die blutigsten und
hartnäckigsten Kriege und namentlich Seekriege entstanden aus Handelseifer¬
sucht, obwohl an andern Gründen zum Kriegführen kein Mangel war. Nach
meiner Ansicht ist es wahrscheinlicher, daß im Laufe der kommenden Jahrzehnte
England und Deutschland an einander geraten werden; denn die Zunahme des
deutschen Seehandels und der deutschen Schiffahrt, die Tüchtigkeit der deutscheu
Seeleute und Kaufleute, das alles wird von dem Engländer mit wachsenden,
Mißbehagen betrachtet. Wie es eine Zeit gab, wo den Engländern die Hanseaten
lästig wurden und sie öfter die Stahlhofkaufleute bedrohten, weil die han¬
sischen Jslandfahrer englische Handelsübergriffe uicht geduldet hatten, so kann
auch eine Zeit kommen, wo die Handelscifersncht zwischen den Kaufleuten beider
Völker wieder zu Anmaßungen und Streitigkeiten führt. Kurz, in Bezug ans
den Schutz des Seehandels sind die der deutschen Flotte zufallenden Aufgaben
dieselben, wie die der französischen; dabei hat aber die deutsche Marine mehr
als doppelt so viele Hochseehandclsschiffe zu schützen.

Vielleicht hat der Reichsbote die Nebenanfgaben einer Kriegsflotte gemeint:
Küsten- und Kolouialschutz. Nun giebt es aber wahrscheinlich in keinem andern
Lande so viele und gute Küstenbefestigungen, wie in Frankreich; darübergeben
die Karten und die militärtechnischeu Werke genügende Auskunft. Um die
vielen sehr nahe am Meere liegenden Häfen zu schützen, ist freilich eine Flotte
von Kttstenverteidigern ebenso gut nötig, wie bei uns zum Schutz der Ostsee¬
küste. Aber eine tüchtige Zahl weittragender Kanonen ans dem Lande und
eine Anzahl von Torpedobooten für die Nachtverteidigung würde nötigenfalls
diese Aufgabe auch übernehmen können. Der beste Schutz der französischen
wie der deutschen Kolonien liegt in der völligen Reizlosigkeit, die sie auszeichnet.
Uns brächten die französischen und den Franzosen brächten unsre Kolonien
keinerlei dauernden Vorteil. Übrigens hat Frankreich seinen Kolonialbesitz,
wenigstens die für den Kreuzerkrieg wichtigen Stützpunkte, mit Festungswerken
versehen; zur Verteidigung der besten Plätze sind überdies Kolonialtruppeu
vorhanden. Genug, weder die ausgedehnte Landesküste, noch der Kolonialbesitz
machen Frankreichs stärkere Flotte nötig. Sogar seine Herrschaft im Mittel¬
meer und der ungestörte Seeverkehr mit seinen wichtigsten Besitzungen in Algier
und Tunis ist für Frankreich — volkswirtschaftlich betrachtet — keineswegs
von größerer Bedeutung, als für uns die Möglichkeit einer ungestörten Fort-
setzung unsers Seehandels während eines längern Kriegs. Es läge im Inter-
esse unsers Vaterlands, wenn einmal ein Sachverständiger die Notwendigkeit
des Schutzes unsers Seehandels vom volkswirtschaftlichen Standpunkt ausführ¬
licher begründen wollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/573>, abgerufen am 22.07.2024.