Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mehr Kreuzer I

in diesem Büchlein so ziemlich alle Angaben, die nötig sind, um sich einen
Begriff von dem Gefechtswert der Schiffe zu machen. Da alle heutigen See¬
wasser noch gar nicht im Kriege erprobt sind, so kann sich natürlich selbst der
Fachmann nur einen annähernden Begriff von ihren voraussichtlichen Leistungen
machen. Für den Laien genügt es, bei Panzerschiffen die Große und Anzahl
der Geschütze, die Dicke und Anordnung des Panzers, bei Kreuzern und Avisos
die Geschwindigkeit, den Kohlenvorrat und die Zahl der Geschütze, endlich bei
den Torpedofahrzeugen die Anzahl zu wissen. Er wird dann finden, daß die
französische und die russische Panzerflotte zusammen ungefähr denselben oder
einen etwas größer" Gefechtswert haben, als die Panzerflotten des Dreibundes.
Dabei ist die französische Panzerflotte reichlich doppelt so stark wie die russische;
vou der Panzerflvtte des Dreibundes sind etwa vier Neuntel italienisch, drei
Neuntel deutsch und zwei Neuntel österreichisch. Die deutsche Flotte würde also
gegen die ganze russische und die halbe französische Angriffsflotte einen sehr
schweren Stand haben. Wenn der Nordostseekanal als Zwickmühle dienen
könnte, würde freilich die Lage für uns etwas günstiger sein; doch darf man
nicht vergessen, daß eine so enge Fahrstraße durch eine feindliche List, z. B.
durch das "zufällige" Versenken eines feindlichen Handelsschiffes plötzlich für
längere Zeit gesperrt werden kann. Von unsrer eignen Panzerflotte könnten wir
jedenfalls kein Geschwader abgeben, um die Franzosen durch Bedrohung ihrer
eignen Küste zu zwingen, wenigstens die Hülste ihrer Panzerflotte gegen uns
bereit zu halten. Niu trotzdem unsre Pflicht gegen den italienischen Bundes¬
genossen erfüllen zu können, der in der schwierigen Lage ist, eine sehr aus¬
gedehnte Küste gegen Angriffe schützen zu müssen, würden wir wohl unsre besten
ungepanzerten Schiffe, zu mehreren Kreuzergeschwaderu vereinigt, gegen die
französischen Küsten des Kanals und die Bucht von Biskaya aussenden müssen.
Dann bleiben aber nur ein paar kleine Kreuzer für den Schutz unsrer ganzen
Handelsflotte frei.

Soll die deutsche Flagge nicht wieder vom Meere hinweggefegt werden,
so bedarf sie des Schutzes durch eine Kriegsmacht, die feindliche Kreuzer¬
geschwader anzugreifen vermag. Eine "Defensive" giebt es auf hoher See
nicht; die Kampfweise ist von beiden Seiten offensiv; der Schwächere ent¬
flieht dem Kampfe. Wir müssen also eine Angriffsflotte haben, wenn wir
unsern Seehandel schützen wollen. Indem man fortwährend mit dem Land-
Heere Vergleiche anstellte, hat mau sich in Deutschland ganz merkwürdige
Begriffe von der Flotte gemacht. Namentlich hat man das Schlagwort vou
der Defensivflotte erfunden. Als von einer Angriffsflotte die Rede war,
fürchtete man, der Eifer der Fachleute wolle Deutschland eine Marine ersten
Ranges schaffen, so verderblich hatte der verkehrte Begriff "Defensivslotte"
gewirkt.

Um ein Bild zu erhalten, in welcher Weise bei den fünf Seestciciteu, um


Mehr Kreuzer I

in diesem Büchlein so ziemlich alle Angaben, die nötig sind, um sich einen
Begriff von dem Gefechtswert der Schiffe zu machen. Da alle heutigen See¬
wasser noch gar nicht im Kriege erprobt sind, so kann sich natürlich selbst der
Fachmann nur einen annähernden Begriff von ihren voraussichtlichen Leistungen
machen. Für den Laien genügt es, bei Panzerschiffen die Große und Anzahl
der Geschütze, die Dicke und Anordnung des Panzers, bei Kreuzern und Avisos
die Geschwindigkeit, den Kohlenvorrat und die Zahl der Geschütze, endlich bei
den Torpedofahrzeugen die Anzahl zu wissen. Er wird dann finden, daß die
französische und die russische Panzerflotte zusammen ungefähr denselben oder
einen etwas größer» Gefechtswert haben, als die Panzerflotten des Dreibundes.
Dabei ist die französische Panzerflotte reichlich doppelt so stark wie die russische;
vou der Panzerflvtte des Dreibundes sind etwa vier Neuntel italienisch, drei
Neuntel deutsch und zwei Neuntel österreichisch. Die deutsche Flotte würde also
gegen die ganze russische und die halbe französische Angriffsflotte einen sehr
schweren Stand haben. Wenn der Nordostseekanal als Zwickmühle dienen
könnte, würde freilich die Lage für uns etwas günstiger sein; doch darf man
nicht vergessen, daß eine so enge Fahrstraße durch eine feindliche List, z. B.
durch das „zufällige" Versenken eines feindlichen Handelsschiffes plötzlich für
längere Zeit gesperrt werden kann. Von unsrer eignen Panzerflotte könnten wir
jedenfalls kein Geschwader abgeben, um die Franzosen durch Bedrohung ihrer
eignen Küste zu zwingen, wenigstens die Hülste ihrer Panzerflotte gegen uns
bereit zu halten. Niu trotzdem unsre Pflicht gegen den italienischen Bundes¬
genossen erfüllen zu können, der in der schwierigen Lage ist, eine sehr aus¬
gedehnte Küste gegen Angriffe schützen zu müssen, würden wir wohl unsre besten
ungepanzerten Schiffe, zu mehreren Kreuzergeschwaderu vereinigt, gegen die
französischen Küsten des Kanals und die Bucht von Biskaya aussenden müssen.
Dann bleiben aber nur ein paar kleine Kreuzer für den Schutz unsrer ganzen
Handelsflotte frei.

Soll die deutsche Flagge nicht wieder vom Meere hinweggefegt werden,
so bedarf sie des Schutzes durch eine Kriegsmacht, die feindliche Kreuzer¬
geschwader anzugreifen vermag. Eine „Defensive" giebt es auf hoher See
nicht; die Kampfweise ist von beiden Seiten offensiv; der Schwächere ent¬
flieht dem Kampfe. Wir müssen also eine Angriffsflotte haben, wenn wir
unsern Seehandel schützen wollen. Indem man fortwährend mit dem Land-
Heere Vergleiche anstellte, hat mau sich in Deutschland ganz merkwürdige
Begriffe von der Flotte gemacht. Namentlich hat man das Schlagwort vou
der Defensivflotte erfunden. Als von einer Angriffsflotte die Rede war,
fürchtete man, der Eifer der Fachleute wolle Deutschland eine Marine ersten
Ranges schaffen, so verderblich hatte der verkehrte Begriff „Defensivslotte"
gewirkt.

Um ein Bild zu erhalten, in welcher Weise bei den fünf Seestciciteu, um


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0570" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216294"/>
          <fw type="header" place="top"> Mehr Kreuzer I</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2182" prev="#ID_2181"> in diesem Büchlein so ziemlich alle Angaben, die nötig sind, um sich einen<lb/>
Begriff von dem Gefechtswert der Schiffe zu machen. Da alle heutigen See¬<lb/>
wasser noch gar nicht im Kriege erprobt sind, so kann sich natürlich selbst der<lb/>
Fachmann nur einen annähernden Begriff von ihren voraussichtlichen Leistungen<lb/>
machen. Für den Laien genügt es, bei Panzerschiffen die Große und Anzahl<lb/>
der Geschütze, die Dicke und Anordnung des Panzers, bei Kreuzern und Avisos<lb/>
die Geschwindigkeit, den Kohlenvorrat und die Zahl der Geschütze, endlich bei<lb/>
den Torpedofahrzeugen die Anzahl zu wissen. Er wird dann finden, daß die<lb/>
französische und die russische Panzerflotte zusammen ungefähr denselben oder<lb/>
einen etwas größer» Gefechtswert haben, als die Panzerflotten des Dreibundes.<lb/>
Dabei ist die französische Panzerflotte reichlich doppelt so stark wie die russische;<lb/>
vou der Panzerflvtte des Dreibundes sind etwa vier Neuntel italienisch, drei<lb/>
Neuntel deutsch und zwei Neuntel österreichisch. Die deutsche Flotte würde also<lb/>
gegen die ganze russische und die halbe französische Angriffsflotte einen sehr<lb/>
schweren Stand haben. Wenn der Nordostseekanal als Zwickmühle dienen<lb/>
könnte, würde freilich die Lage für uns etwas günstiger sein; doch darf man<lb/>
nicht vergessen, daß eine so enge Fahrstraße durch eine feindliche List, z. B.<lb/>
durch das &#x201E;zufällige" Versenken eines feindlichen Handelsschiffes plötzlich für<lb/>
längere Zeit gesperrt werden kann. Von unsrer eignen Panzerflotte könnten wir<lb/>
jedenfalls kein Geschwader abgeben, um die Franzosen durch Bedrohung ihrer<lb/>
eignen Küste zu zwingen, wenigstens die Hülste ihrer Panzerflotte gegen uns<lb/>
bereit zu halten. Niu trotzdem unsre Pflicht gegen den italienischen Bundes¬<lb/>
genossen erfüllen zu können, der in der schwierigen Lage ist, eine sehr aus¬<lb/>
gedehnte Küste gegen Angriffe schützen zu müssen, würden wir wohl unsre besten<lb/>
ungepanzerten Schiffe, zu mehreren Kreuzergeschwaderu vereinigt, gegen die<lb/>
französischen Küsten des Kanals und die Bucht von Biskaya aussenden müssen.<lb/>
Dann bleiben aber nur ein paar kleine Kreuzer für den Schutz unsrer ganzen<lb/>
Handelsflotte frei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2183"> Soll die deutsche Flagge nicht wieder vom Meere hinweggefegt werden,<lb/>
so bedarf sie des Schutzes durch eine Kriegsmacht, die feindliche Kreuzer¬<lb/>
geschwader anzugreifen vermag. Eine &#x201E;Defensive" giebt es auf hoher See<lb/>
nicht; die Kampfweise ist von beiden Seiten offensiv; der Schwächere ent¬<lb/>
flieht dem Kampfe. Wir müssen also eine Angriffsflotte haben, wenn wir<lb/>
unsern Seehandel schützen wollen. Indem man fortwährend mit dem Land-<lb/>
Heere Vergleiche anstellte, hat mau sich in Deutschland ganz merkwürdige<lb/>
Begriffe von der Flotte gemacht. Namentlich hat man das Schlagwort vou<lb/>
der Defensivflotte erfunden. Als von einer Angriffsflotte die Rede war,<lb/>
fürchtete man, der Eifer der Fachleute wolle Deutschland eine Marine ersten<lb/>
Ranges schaffen, so verderblich hatte der verkehrte Begriff &#x201E;Defensivslotte"<lb/>
gewirkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2184" next="#ID_2185"> Um ein Bild zu erhalten, in welcher Weise bei den fünf Seestciciteu, um</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0570] Mehr Kreuzer I in diesem Büchlein so ziemlich alle Angaben, die nötig sind, um sich einen Begriff von dem Gefechtswert der Schiffe zu machen. Da alle heutigen See¬ wasser noch gar nicht im Kriege erprobt sind, so kann sich natürlich selbst der Fachmann nur einen annähernden Begriff von ihren voraussichtlichen Leistungen machen. Für den Laien genügt es, bei Panzerschiffen die Große und Anzahl der Geschütze, die Dicke und Anordnung des Panzers, bei Kreuzern und Avisos die Geschwindigkeit, den Kohlenvorrat und die Zahl der Geschütze, endlich bei den Torpedofahrzeugen die Anzahl zu wissen. Er wird dann finden, daß die französische und die russische Panzerflotte zusammen ungefähr denselben oder einen etwas größer» Gefechtswert haben, als die Panzerflotten des Dreibundes. Dabei ist die französische Panzerflotte reichlich doppelt so stark wie die russische; vou der Panzerflvtte des Dreibundes sind etwa vier Neuntel italienisch, drei Neuntel deutsch und zwei Neuntel österreichisch. Die deutsche Flotte würde also gegen die ganze russische und die halbe französische Angriffsflotte einen sehr schweren Stand haben. Wenn der Nordostseekanal als Zwickmühle dienen könnte, würde freilich die Lage für uns etwas günstiger sein; doch darf man nicht vergessen, daß eine so enge Fahrstraße durch eine feindliche List, z. B. durch das „zufällige" Versenken eines feindlichen Handelsschiffes plötzlich für längere Zeit gesperrt werden kann. Von unsrer eignen Panzerflotte könnten wir jedenfalls kein Geschwader abgeben, um die Franzosen durch Bedrohung ihrer eignen Küste zu zwingen, wenigstens die Hülste ihrer Panzerflotte gegen uns bereit zu halten. Niu trotzdem unsre Pflicht gegen den italienischen Bundes¬ genossen erfüllen zu können, der in der schwierigen Lage ist, eine sehr aus¬ gedehnte Küste gegen Angriffe schützen zu müssen, würden wir wohl unsre besten ungepanzerten Schiffe, zu mehreren Kreuzergeschwaderu vereinigt, gegen die französischen Küsten des Kanals und die Bucht von Biskaya aussenden müssen. Dann bleiben aber nur ein paar kleine Kreuzer für den Schutz unsrer ganzen Handelsflotte frei. Soll die deutsche Flagge nicht wieder vom Meere hinweggefegt werden, so bedarf sie des Schutzes durch eine Kriegsmacht, die feindliche Kreuzer¬ geschwader anzugreifen vermag. Eine „Defensive" giebt es auf hoher See nicht; die Kampfweise ist von beiden Seiten offensiv; der Schwächere ent¬ flieht dem Kampfe. Wir müssen also eine Angriffsflotte haben, wenn wir unsern Seehandel schützen wollen. Indem man fortwährend mit dem Land- Heere Vergleiche anstellte, hat mau sich in Deutschland ganz merkwürdige Begriffe von der Flotte gemacht. Namentlich hat man das Schlagwort vou der Defensivflotte erfunden. Als von einer Angriffsflotte die Rede war, fürchtete man, der Eifer der Fachleute wolle Deutschland eine Marine ersten Ranges schaffen, so verderblich hatte der verkehrte Begriff „Defensivslotte" gewirkt. Um ein Bild zu erhalten, in welcher Weise bei den fünf Seestciciteu, um

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/570
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/570>, abgerufen am 22.07.2024.