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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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russische Kriegshafen Liban. Wie gering die allgemeine Kenntnis von Marinc-
augelcgeuheiten ist, beweist das lächerliche Geschrei, Frankreich wolle den
Russen eine Marinestation im Mittelmeer abtreten, und wenn dies geschähe,
so würde Italien Deutschland den Hafen von Syrakus oder Agostino zur Ver¬
fügung stellen. Und dieser Unsinn scheint nicht einmal bloß Journalisten
Kopfschmerzen zu machen! Es ist doch wohl "unter Kameraden" ganz gleich-
giltig, wem der Hafen gehört; in Kriegszeiten wie in Friedenszeiten wird der
Vundesgenosfe, der Freund doch stets im Hafen des Freundes gut aufgenommen,
geschlitzt, nen ausgerüstet und verpflegt werden. Was zum Teufel hätte es
also zu bedeuten, im Mittelmeer, wo französische und italienische Flotten¬
stationen "mit allein Komfort der Neuzeit" vorhanden sind, anch noch russische
oder deutsche anlegen zu wollen? Mit England liegt die Sache deshalb anders,
weil dieses Land überhaupt in der angenehmen Lage ist, anf eigne Rechnung
und Gefahr für sich allein zu handeln.

Die Flotten unsrer jetzigen Bundesgenossen Italien und Osterreich werden
im Kriegsfalle so reiche Beschäftigung im Mittelmeer finden, daß auf ihre
Hilfe zum Schutze unsrer Handelsflotte nicht zu rechnen ist. Man bedenke
nur, welche großen Küstenstrecken Italien zu verteidigen hat! Da die russische
Marine allein schon jetzt ungefähr über eine gleiche Zahl von Panzerschiffen
verfügt, wie Deutschland, so ist Frankreich in der Lage, etwa zwei Drittel
seiner Angriffsflotte im Mittelmeer gegen unsre Bundesgenossen zu verwenden.
Wenn nun auch Italien in dem letzten Jahrzehnt eine stattliche Panzerflotte
gebaut hat, so hat es doch den sehr berechtigten Wunsch, nicht den Hauptstoß
der französischen Flotte ans sich allein nehmen zu müssen.

Das deutsche Volk, insbesondre sein Parlament, versteht leider herzlich
wenig von den Aufgaben der Kriegsflotte. Heere lassen sich im Notfalle heut¬
zutage aus dem Boden stampfen, aber keine Kriegsschiffe und keine Seeleute.
Bei wirklichem Verständnis für die Sachlage müßte unsre Volksvertretung die
Forderungen der Marineverwaltnng aus eignem Antrieb erhöhen, wie es im
Jahre 1891 die französische Marinebndgetkvmmission gethan hat.

Aber es fehlt der Kriegsflotte nicht bloß die Stütze in der Volksvertretung.
"Es ist -- sagt Admiral Batsch in seinem neuesten Buche Deutsch Seegras --
nicht zu leugnen, daß die Popularität der Flotte heutzutage nur eine ober¬
flächliche Erscheinung ist. Man halte Umschau in der Litteratur, und man
wird finden, daß für Bücher, die Marinescichen in ernstem Tone behandeln,
kein Markt ist. Noch heute ist die Flotte nur ein Gebiet der deutschen Lyrik.
Wer heute mit dem herrschenden Teile der öffentlichen Meinung Freundschaft
schließen will, erklärt eine wirkliche Flotte für Utopie. Das ist der Ausdruck,
dem man in den Erzeugnissen der Litteratur -- selbst der fachmännischer --
nicht selten begegnet; und mit dem einflußreichen Teile der öffentlichen Mei¬
nung auf gutem Fuß zu stehen, ist für alle Fälle bequem."


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russische Kriegshafen Liban. Wie gering die allgemeine Kenntnis von Marinc-
augelcgeuheiten ist, beweist das lächerliche Geschrei, Frankreich wolle den
Russen eine Marinestation im Mittelmeer abtreten, und wenn dies geschähe,
so würde Italien Deutschland den Hafen von Syrakus oder Agostino zur Ver¬
fügung stellen. Und dieser Unsinn scheint nicht einmal bloß Journalisten
Kopfschmerzen zu machen! Es ist doch wohl „unter Kameraden" ganz gleich-
giltig, wem der Hafen gehört; in Kriegszeiten wie in Friedenszeiten wird der
Vundesgenosfe, der Freund doch stets im Hafen des Freundes gut aufgenommen,
geschlitzt, nen ausgerüstet und verpflegt werden. Was zum Teufel hätte es
also zu bedeuten, im Mittelmeer, wo französische und italienische Flotten¬
stationen „mit allein Komfort der Neuzeit" vorhanden sind, anch noch russische
oder deutsche anlegen zu wollen? Mit England liegt die Sache deshalb anders,
weil dieses Land überhaupt in der angenehmen Lage ist, anf eigne Rechnung
und Gefahr für sich allein zu handeln.

Die Flotten unsrer jetzigen Bundesgenossen Italien und Osterreich werden
im Kriegsfalle so reiche Beschäftigung im Mittelmeer finden, daß auf ihre
Hilfe zum Schutze unsrer Handelsflotte nicht zu rechnen ist. Man bedenke
nur, welche großen Küstenstrecken Italien zu verteidigen hat! Da die russische
Marine allein schon jetzt ungefähr über eine gleiche Zahl von Panzerschiffen
verfügt, wie Deutschland, so ist Frankreich in der Lage, etwa zwei Drittel
seiner Angriffsflotte im Mittelmeer gegen unsre Bundesgenossen zu verwenden.
Wenn nun auch Italien in dem letzten Jahrzehnt eine stattliche Panzerflotte
gebaut hat, so hat es doch den sehr berechtigten Wunsch, nicht den Hauptstoß
der französischen Flotte ans sich allein nehmen zu müssen.

Das deutsche Volk, insbesondre sein Parlament, versteht leider herzlich
wenig von den Aufgaben der Kriegsflotte. Heere lassen sich im Notfalle heut¬
zutage aus dem Boden stampfen, aber keine Kriegsschiffe und keine Seeleute.
Bei wirklichem Verständnis für die Sachlage müßte unsre Volksvertretung die
Forderungen der Marineverwaltnng aus eignem Antrieb erhöhen, wie es im
Jahre 1891 die französische Marinebndgetkvmmission gethan hat.

Aber es fehlt der Kriegsflotte nicht bloß die Stütze in der Volksvertretung.
„Es ist — sagt Admiral Batsch in seinem neuesten Buche Deutsch Seegras —
nicht zu leugnen, daß die Popularität der Flotte heutzutage nur eine ober¬
flächliche Erscheinung ist. Man halte Umschau in der Litteratur, und man
wird finden, daß für Bücher, die Marinescichen in ernstem Tone behandeln,
kein Markt ist. Noch heute ist die Flotte nur ein Gebiet der deutschen Lyrik.
Wer heute mit dem herrschenden Teile der öffentlichen Meinung Freundschaft
schließen will, erklärt eine wirkliche Flotte für Utopie. Das ist der Ausdruck,
dem man in den Erzeugnissen der Litteratur — selbst der fachmännischer —
nicht selten begegnet; und mit dem einflußreichen Teile der öffentlichen Mei¬
nung auf gutem Fuß zu stehen, ist für alle Fälle bequem."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/568>, abgerufen am 25.08.2024.