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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

Wette"! Schacht) stammt nicht von dem persischen sebg,b, sondern von dem alt¬
nordischen sKÄ, schräg! Laster ist, da die Endung -er "machen" bedeutet (Donner
und Doria!), soviel wie Lastenmacher, Belastendes n. s. w. Das wenige Richtige
in dem Buche ist fast wörtlich aus Kluges Wörterbuch abgeschrieben.

Es widersteht uns, noch von dem Unsinn zu reden, der auf den 130 Seiten
Einleitung über die keltgermanischeu (!) Sprachen und ihr Verhältnis zu allen (!)
andern Sprachen in anmaßenden Tone als neue Weisheit vorgetragen wird. Wir
legen das Buch aus der Hand mit dem Bedauern, daß die Namen von zwei Ge¬
lehrten, wie Clensby und Vigfussvn uicht davor sicher gewesen sind, ihm daran¬
gesetzt zu werden.


Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger in Deutschland,
Holland und Skandinavien. Von Johannes Bolle. Hamburg und Leipzig, L. Boß, 18W

Unsre klassische Oper, die Oper Mozarts, ist aus der Vermählung zweier
Kunstgattungen entsprossen, so verschieden, wie sie nnr auf der Bühne gedacht
werden können. Um I liOV drang gleichzeitig im Süden und im Norte" die Musik
auf das Theater: in Italien wollten humanistisch gebildete Kreise Italiens das
Drama der Griechen wieder aufleben lassen, in England hatten gewandte Schau¬
spieler den Einfall, volkstümliche Stücke in Strophen abzufassen und gesungen dar¬
zustellen. So gut wir nun, dank der Musikwissenschaft und der Litteraturgeschichte
(Opitz hat das erste deutsche Operutextbuch geschrieben), über das Eindringen der
neuen Kunst unterrichtet sind, so wenig haben wir bisher über die Ausbreitung
und Wirkung der von England herüberkommenden Singspiele gewußt. Dn er¬
scheint die in dem siebenten Hefte der "Thentergeschichtlichen Forschungen" gesam¬
melte Bibliotheksbeute eines so eifrigen Jägers wie Bolle als eine willkommne
Hilfe. Der Verfasser giebt in dem Bändchen nicht nur eine Skizze von der Ent¬
stehung und dem Charakter dieser Singspiele und ein genaues Verzeichnis und eine
Inhaltsangabe der zweiunddreißig Stücke, die er aufgetrieben hat, sondern teilt
mich einige ganz mit, darunter ein paar in holländischer und deutscher oder eng¬
lischer und deutscher Fassung neben einander. Auch die Musik fehlt nicht, und sie
ist das beste daran: an Stelle der ursprünglichen Art, das ganze Stück liedmäßig
Strophe für Strophe nach einer Melodie absingen zu lassen, tritt bald eine ziem¬
lich bunte Reihe von Strophen und Melodien, teilweise sogar den einzelnen Rollen
angepaßt; einfache Weisen und zierliche, künstlich gefügte mehrstimmige Sätze wechseln
nach Begabung und Bildung der Komponisten. An den Texten wäre nichts ver¬
loren gewesen, es sind fast lauter zotige Harlekinade".

Schade, daß gerade die Musik zum Teil in einer ganz unmöglichen Gestalt
gegeben ist; hätte sich der Herausgeber drzu nicht mit einem Musikhistoriker ver-
binden können?





*) In der zweiten Hälfte des ältern Wortes Schachzabel (Schachbrett) das lateinische
t-tlurb, zu erkennen, wird der Verfasser abgehalten "wegen gewaltsamer Lautäuderung." Also
von Lautverschiebung keine Ahnung!
Litteratur

Wette"! Schacht) stammt nicht von dem persischen sebg,b, sondern von dem alt¬
nordischen sKÄ, schräg! Laster ist, da die Endung -er „machen" bedeutet (Donner
und Doria!), soviel wie Lastenmacher, Belastendes n. s. w. Das wenige Richtige
in dem Buche ist fast wörtlich aus Kluges Wörterbuch abgeschrieben.

Es widersteht uns, noch von dem Unsinn zu reden, der auf den 130 Seiten
Einleitung über die keltgermanischeu (!) Sprachen und ihr Verhältnis zu allen (!)
andern Sprachen in anmaßenden Tone als neue Weisheit vorgetragen wird. Wir
legen das Buch aus der Hand mit dem Bedauern, daß die Namen von zwei Ge¬
lehrten, wie Clensby und Vigfussvn uicht davor sicher gewesen sind, ihm daran¬
gesetzt zu werden.


Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger in Deutschland,
Holland und Skandinavien. Von Johannes Bolle. Hamburg und Leipzig, L. Boß, 18W

Unsre klassische Oper, die Oper Mozarts, ist aus der Vermählung zweier
Kunstgattungen entsprossen, so verschieden, wie sie nnr auf der Bühne gedacht
werden können. Um I liOV drang gleichzeitig im Süden und im Norte» die Musik
auf das Theater: in Italien wollten humanistisch gebildete Kreise Italiens das
Drama der Griechen wieder aufleben lassen, in England hatten gewandte Schau¬
spieler den Einfall, volkstümliche Stücke in Strophen abzufassen und gesungen dar¬
zustellen. So gut wir nun, dank der Musikwissenschaft und der Litteraturgeschichte
(Opitz hat das erste deutsche Operutextbuch geschrieben), über das Eindringen der
neuen Kunst unterrichtet sind, so wenig haben wir bisher über die Ausbreitung
und Wirkung der von England herüberkommenden Singspiele gewußt. Dn er¬
scheint die in dem siebenten Hefte der „Thentergeschichtlichen Forschungen" gesam¬
melte Bibliotheksbeute eines so eifrigen Jägers wie Bolle als eine willkommne
Hilfe. Der Verfasser giebt in dem Bändchen nicht nur eine Skizze von der Ent¬
stehung und dem Charakter dieser Singspiele und ein genaues Verzeichnis und eine
Inhaltsangabe der zweiunddreißig Stücke, die er aufgetrieben hat, sondern teilt
mich einige ganz mit, darunter ein paar in holländischer und deutscher oder eng¬
lischer und deutscher Fassung neben einander. Auch die Musik fehlt nicht, und sie
ist das beste daran: an Stelle der ursprünglichen Art, das ganze Stück liedmäßig
Strophe für Strophe nach einer Melodie absingen zu lassen, tritt bald eine ziem¬
lich bunte Reihe von Strophen und Melodien, teilweise sogar den einzelnen Rollen
angepaßt; einfache Weisen und zierliche, künstlich gefügte mehrstimmige Sätze wechseln
nach Begabung und Bildung der Komponisten. An den Texten wäre nichts ver¬
loren gewesen, es sind fast lauter zotige Harlekinade«.

Schade, daß gerade die Musik zum Teil in einer ganz unmöglichen Gestalt
gegeben ist; hätte sich der Herausgeber drzu nicht mit einem Musikhistoriker ver-
binden können?





*) In der zweiten Hälfte des ältern Wortes Schachzabel (Schachbrett) das lateinische
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von Lautverschiebung keine Ahnung!
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[0055] Litteratur Wette"! Schacht) stammt nicht von dem persischen sebg,b, sondern von dem alt¬ nordischen sKÄ, schräg! Laster ist, da die Endung -er „machen" bedeutet (Donner und Doria!), soviel wie Lastenmacher, Belastendes n. s. w. Das wenige Richtige in dem Buche ist fast wörtlich aus Kluges Wörterbuch abgeschrieben. Es widersteht uns, noch von dem Unsinn zu reden, der auf den 130 Seiten Einleitung über die keltgermanischeu (!) Sprachen und ihr Verhältnis zu allen (!) andern Sprachen in anmaßenden Tone als neue Weisheit vorgetragen wird. Wir legen das Buch aus der Hand mit dem Bedauern, daß die Namen von zwei Ge¬ lehrten, wie Clensby und Vigfussvn uicht davor sicher gewesen sind, ihm daran¬ gesetzt zu werden. Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger in Deutschland, Holland und Skandinavien. Von Johannes Bolle. Hamburg und Leipzig, L. Boß, 18W Unsre klassische Oper, die Oper Mozarts, ist aus der Vermählung zweier Kunstgattungen entsprossen, so verschieden, wie sie nnr auf der Bühne gedacht werden können. Um I liOV drang gleichzeitig im Süden und im Norte» die Musik auf das Theater: in Italien wollten humanistisch gebildete Kreise Italiens das Drama der Griechen wieder aufleben lassen, in England hatten gewandte Schau¬ spieler den Einfall, volkstümliche Stücke in Strophen abzufassen und gesungen dar¬ zustellen. So gut wir nun, dank der Musikwissenschaft und der Litteraturgeschichte (Opitz hat das erste deutsche Operutextbuch geschrieben), über das Eindringen der neuen Kunst unterrichtet sind, so wenig haben wir bisher über die Ausbreitung und Wirkung der von England herüberkommenden Singspiele gewußt. Dn er¬ scheint die in dem siebenten Hefte der „Thentergeschichtlichen Forschungen" gesam¬ melte Bibliotheksbeute eines so eifrigen Jägers wie Bolle als eine willkommne Hilfe. Der Verfasser giebt in dem Bändchen nicht nur eine Skizze von der Ent¬ stehung und dem Charakter dieser Singspiele und ein genaues Verzeichnis und eine Inhaltsangabe der zweiunddreißig Stücke, die er aufgetrieben hat, sondern teilt mich einige ganz mit, darunter ein paar in holländischer und deutscher oder eng¬ lischer und deutscher Fassung neben einander. Auch die Musik fehlt nicht, und sie ist das beste daran: an Stelle der ursprünglichen Art, das ganze Stück liedmäßig Strophe für Strophe nach einer Melodie absingen zu lassen, tritt bald eine ziem¬ lich bunte Reihe von Strophen und Melodien, teilweise sogar den einzelnen Rollen angepaßt; einfache Weisen und zierliche, künstlich gefügte mehrstimmige Sätze wechseln nach Begabung und Bildung der Komponisten. An den Texten wäre nichts ver¬ loren gewesen, es sind fast lauter zotige Harlekinade«. Schade, daß gerade die Musik zum Teil in einer ganz unmöglichen Gestalt gegeben ist; hätte sich der Herausgeber drzu nicht mit einem Musikhistoriker ver- binden können? *) In der zweiten Hälfte des ältern Wortes Schachzabel (Schachbrett) das lateinische t-tlurb, zu erkennen, wird der Verfasser abgehalten „wegen gewaltsamer Lautäuderung." Also von Lautverschiebung keine Ahnung!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/55>, abgerufen am 04.07.2024.